Europa spaltet die polnischen Konservativen

Die Partei "Recht und Gerechtigkeit" der Kaczynski-Brüder bricht auseinander und könnte zur Gründung einer neuen erzkonservativen Partei führen

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Am 1. April ratifizierte das polnische Parlament den EU-Reformvertrag. Drei Wochen lang debattierte der Sejm über den Vertrag von Lissabon, da die PiS des ehemaligen Regierungschefs Jaroslaw Kaczynski die nötige Zwei-Drittel-Mehrheit verhinderte. Mit dieser Verhinderungspolitik wollte der Zwillingsbruder des polnischen Präsidenten die Position seiner Partei als einzige konservative Kraft festigen. Doch einiges spricht dafür, dass Kaczynski damit das Gegenteil erreichte. Immer mehr spricht dafür, dass neue konservative Gruppierungen entstehen – auf Kosten der PiS.

Große Freunde einer europäischen Verfassung waren die Kaczynski-Zwillinge nie. Dies bewiesen sie eindrucksvoll im letzten Jahr, als sie sich mit Händen und Füßen gegen diese wehrten (Zwei gegen Alle). Als eine Gefahr für die polnische Souveränität, bezeichneten sie die Verfassung, obwohl diese eigentlich die immer größer werdende europäische Staatengemeinschaft nur handlungsfähiger machen sollte. Erst als die europäischen Regierungschefs den Kaczynski-Zwillingen entgegenkamen (Polens religiöser Sonderweg bei den europäischen Menschenrechten), konnte die als EU-Reformvertrag verkleidete Verfassung auf dem Gipfel von Lissabon beschlossen werden.

Als einen Erfolg für sich und für Polen bezeichneten damals die Kaczynskis das Ergebnis von Lissabon. Doch diese Worte fielen mitten im Wahlkampftrubel und scheinen heute keinen Wert mehr zu haben. Diesen Eindruck konnte man jedenfalls in den Märzwochen bekommen, als das polnische Parlament den EU-Reformvertrag ratifizieren sollte. Während die Regierungskoalition aus PO und der Bauernpartei PSL dem Vertrag zustimmen wollte, und dabei von der kleinsten Oppositionspartei, der LiD unterstützt wurde, verhinderte die Kaczynski-Partei PiS mit ihrem "Nein" die nötige Zwei-Drittel-Mehrheit.

Immer wieder verlangte die rechtskonservative Partei Veränderungen am Vertragswerk, die vor allem die europäische Menschenrechtscharta betrafen. Unterstützt wurde die Partei dabei vom polnischen Staatsoberhaupt Lech Kaczynski. In einer TV-Botschaft, die ähnlich wie ein Werbespot aufgebaut war, wandte sich der Zwilling des Parteivorsitzenden und ehemaligen Premierministers an das Volk, und sprach sich gegen den Reformvertrag aus. Dabei warnte er vor der Homo-Ehe und möglichen Schadenersatzforderungen deutscher Vertriebener, visuell untermalt von Filmaufnahmen einer schwulen Trauung und einer Deutschlandkarte in den Grenzen von 1938.

Die erhoffte Wirkung blieb jedoch aus. In mehreren repräsentativen Umfragen sprach sich die Mehrheit der Polen für den EU-Reformvertrag aus, weshalb Premierminister Donald Tusk der PiS schon mit einem Referendum drohte, falls es im Sejm zu keiner Einigung kommen sollte. Doch die polnischen Bürger werden nicht aufgerufen, an den Wahlurnen selber über den EU-Reformvertrag abzustimmen. Nachdem sich Premierminister Donald Tusk und Präsident Lech Kaczynski bei einem vertraulichen Treffen auf einen Kompromiss geeinigt haben – Polen tritt nicht der europäischen Menschenrechtscharta bei –, ratifizierte der Sejm am 1. April, nach fast drei Wochen Debatte, den EU-Reformvertrag.

Mit der Ratifizierung des EU-Reformvertrages kann Donald Tusk nun einen weiteren Erfolg in seiner kurzen Regierungszeit vorweisen. Für Jaroslaw Kaczynski und seine Recht und Gerechtigkeit ist die Entscheidung des Parlaments dagegen eine weitere innenpolitische Niederlage, welche ihn und die Partei immer tiefer in eine Krise stürzt. Dabei wollte Jaroslaw Kaczynski mit seinem Widerstand gegen den EU-Reformvertrag eigentlich das Gegenteil erreichen – die Partei sollte ihre Führungsrolle innerhalb der polnischen Konservativen betonieren und Kaczynskis Position innerhalb der Partei gestärkt werden.

Seit der Niederlage bei den vorgezogenen Parlamentswahlen im Oktober 2007 befindet sich die rechtskonservative Recht und Gerechtigkeit in einem desolaten Zustand. Nach außen hin gibt sich die Partei zwar immer noch geschlossen und stark, doch die Risse innerhalb der Partei, vor allem die Kritik am Führungsstil von Jaroslaw Kaczynski, werden immer größer und dadurch nach außen hin auch immer sichtbarer.

Die ersten Anzeichen einer innerparteilichen Krise gab es bereits kurz nach den Parlamentswahlen vom letzten Jahr. Damals machten die populären PiS-Präsidiumsmitglieder Ludwik Dorn, Pawel Zalewski und Kazimierz M. Ujazdowski ihren Parteivorsitzenden Jaroslaw Kaczynski für die Wahlniederlage verantwortlich, indem sie ihm einen „undemokratischen Führungsstil“ vorwarfen, und legten aus Protest ihre Parteiämter nieder. Kaczynski wehrte sich gegen diesen Vorwurf und drohte im Gegenzug seinen Kritikern mit parteiinternen Konsequenzen. Pawel Zalewski und der ehemalige Sejmmarschall Ludwik Dorn zogen sich darauf zurück, während der Ex-Kultusminister Kazimierz M. Ujazdowski nicht nachgab und öffentlich seinen Austritt aus der PiS erklärte.

Ein Austritt, der für die Partei Folgen hatte. Mit dem in der Parteibasis beliebten Ujazdowski traten landesweit zighundert andere Mitglieder aus der PiS aus. Manche fanden in der Bürgerplattform von Donald Tusk eine neue politische Heimat, andere wiederum folgten Ujazdowskis Beispiel und gründeten regionale Initiativen, die sich mittlerweile zu der von Ujazdowski initiierten Gruppierung Polska XXI zusammengetan haben. Gemeinsam mit anderen konservativen Politikern, wie dem ehemaligen Präsidentschaftskandidaten der PO Jan Rokita und dem beliebten Breslauer Stadtpräsidenten Rafal Dutkiewicz, dem Ambitionen für die nächsten Präsidentschaftswahlen nachgesagt werden, möchte Ujazdowski mit dieser Plattform den Weg für einen modernen, aufgeklärten und pro-europäischen Konservatismus in Polen ebnen, und könnte somit langfristig auch eine Alternative zu der PiS schaffen.

Für manche Politiker der PiS scheint "Polska XXI" aber schon jetzt eine interessante Option zu sein. Wenige Tage nach der Ratifizierung des EU-Reformvertrags, trat der Sejmabgeordnete Lucjan Karasiewicz vor die Presse und verkündete seinen Austritt aus der Partei. Mit Jaroslaw Kaczynskis wechselnder Meinung gegenüber dem EU-Reformvertrag begründete er seine Entscheidung, gleichzeitig aber auch mit der Entwicklung der Partei seit der Wahlniederlage vom letzten Jahr. „In den letzten Monaten ist die Partei immer mehr nach rechts gerückt“, sagte der Befürworter des Vertrags von Lissabon und gab bekannt, sich zukünftig in der von Ujazdowski gegründeten Initiative engagieren zu wollen.

Kompromiss mit Regierungskoalition ärgert die Rechten

Und weitere, vor allem junge PiS-Politiker, könnten dem Beispiel von Lucjan Karasiewicz folgen. Schon während der Debatte um die Ratifizierung des EU-Reformvertrages spekulierte die polnische Presse über eine Spaltung von Recht und Gerechtigkeit, da sich Abgeordnete der Partei immer wieder für den gesamten Reformvertrag, inklusive der europäischen Menschenrechtscharta, aussprachen und ankündigten, notfalls auch für die Vorlage der Regierung und gegen die eigene Partei zu stimmen. Für Jaroslaw Kaczynski wäre so ein Fall ein Horrorszenario gewesen, für seinen Widersacher Donald Tusk ein weiterer Erfolg – und dies ausgerechnet mit einigen Stimmen aus dem Lager der größten Oppositionspartei. Deshalb kann man den Kompromiss zwischen Premierminister Tusk und dem laut Verfassung eigentlich überparteilichen Präsidenten Lech Kaczynski, auch als einen Rettungsring für die PiS verstehen.

Doch mit diesem Kompromiss bzw. Rettungsring hat sich für die PiS eine andere Front aufgetan. „Das ist Verrat“, wetterte der Redemptoristenpfarrer Tadeusz Rydzyk nach der Ratifizierung des EU-Reformvertrages und fand damit viel Zustimmung unter den Europa-Skeptikern innerhalb der PiS, die sich seit Jahren dem Gründer von Radio Maryja eng verbunden fühlen. Und wie weit diese Verbundenheit geht, zeigte sich bei der Abstimmung im Sejm. Während einige Europa-Skeptiker zwischen Parteidisziplin und eigenem Gewissen hin und hergerissen waren und sich deshalb der Stimme enthielten, stimmte ein Teil von ihnen gegen den EU-Reformvertrag – obwohl Jaroslaw Kaczynski einige Stunden vorher den Vertrag noch als eine „gute Sache“ bezeichnet hatte.

Doch der Einfluss von Tadeusz Rydzyk auf bestimmte Teile der PiS scheint mittlerweile größer zu sein, als der des Parteivorsitzenden Jaroslaw Kaczynski. In den Tagen danach meldeten sich die Gegner des Vertrags von Lissabon immer wieder zu Wort und äußerten ihren Unmut über die Entscheidung des Parlaments, natürlich in den Medien des politisch umtriebigen Geistlichen.

Jaroslaw Kaczynski ist der Einfluss von Tadeusz Rydzyk innerhalb seiner Partei bekannt. Nicht verwunderlich, denn schließlich ist es ein Einfluss, den Jaroslaw Kaczynski selbst zugelassen hat. Im Jahr 2005 taten sich die zwei machtbewussten Männer zusammen und bildeten eine Zweckgemeinschaft, von der jeder der beiden profitierte. Kaczynski bekam Zugang zu den Medien des Redemptoristenpfarrers, was ihm den Wahlerfolg 2005 einbrachte, Rydzyk wiederum wurde zu einer zentralen Figur in der polnischen Politik. Doch diese Zweckgemeinschaft hielt nicht lange an. Im April 2007, als das polnische Parlament über die Verschärfung des Abtreibungsgesetzes debattierte, kam es zu einem Bruch zwischen Rydzyk und Kaczynski, was zur Folge hatte, dass sich bereits damals einige Abgeordnete der PiS aus der Partei verabschiedeten (Heirate unsere Tochter!).

Und der Geistliche, der trotz Ermahnungen des Vatikans und einzelner polnischer Bischöfe nicht die Finger von der Politik lassen kann, scheint mittlerweile eigene konkrete politische Ziele zu haben. Bereits Anfang des Jahres gab es einige Anzeichen dafür, dass Rydzyk vorhat, eine erzkonservative Partei zu gründen. Gerüchte, die mittlerweile immer realistischer werden. So veröffentlichte die Tageszeitung "Dziennik" bereits das Programm der neuen Rydzyk-Partei, in der neben PiS-Politikern auch ehemalige Mitglieder der Liga Polnischer Familien ihre neue politische Heimat finden sollen. Jaroslaw Kaczynski scheint jedenfalls keine Zweifel mehr an einer Rydzyk-Partei mehr zu haben. „Soviel ich weiß, wird die Gründung einer neuen rechten Formierung mittlerweile vorbereitet“, sagte Jaroslaw Kaczynski Anfang März in einem Interview für die Internetseite seiner eigenen Partei.

Und welche verheerenden Folgen die Gründung einer Rydzyk-Partei für die PiS hätte, zeigt sich auch am Verhalten der linken Opposition. Im Vorfeld der vorgezogenen Parlamentswahlen vom letzten Jahr entstand aus der SLD und der Demokratischen Partei des Wahlbündnis Linke und Demokraten. Ihr einziger gemeinsamer Nenner war die Gegnerschaft zu den Kaczynski-Zwillingen und deren Recht und Gerechtigkeit. Doch nun am 29. März wurde die Zusammenarbeit offiziell beendet, „da die PiS keine Gefahr mehr für die politische Politik darstellt", wie es in der Begründung von Wojciech Olejniczak hieß. Nun soll die Entstehung einer neuen Linken in Polen forciert werden.