Europäische Energiepolitik: Von einem Problem zum nächsten taumeln

Seite 2: Die Russland-Sanktionen und die Rettungs-Pipeline

Ein weiterer Punkt der absurden Energiepolitik sind nach Auffassung des Autors die Sanktionen gegen Russland, die vor allem dazu führen, dass die Energiepreise für die Verbraucher steigen, ohne auch nur die geringste Wirkung auf das angebliche Ziel zu entfalten.

Wertmäßig sind trotz der Sanktionen die Wareneinfuhren aus Russland nach Deutschland im ersten Halbjahr dieses Jahres sogar um mehr als 50 Prozent auf 22,6 Milliarden Euro gestiegen. Das hat das Statistische Bundesamt in Wiesbaden am Freitag mitgeteilt. "Mengenmäßig sanken die Einfuhren aus Russland jedoch um 24,0 Prozent gegenüber dem 1. Halbjahr 2021."

Um es in einer einfacheren Sprache übersetzt auszudrücken. Russland, dass über die Sanktionen geschwächt werden soll, hat etwa ein Viertel weniger – vor allem Öl und Gas – geliefert, dafür hat das Land aber deutlich mehr Geld bekommen. Ein rundes Geschäft für Russland, ein Knieschuss für Deutschland? Den bezahlen natürlich die Verbraucher teuer.

Um die Gasabhängigkeit von Russland zu senken, soll nun – wieder einmal – auf Gas aus anderen Quellen gesetzt werden. MidCat-Pipeline zur Befreiung von der russischen Gas-Abhängigkeit?, fragte Telepolis Anfang März.

Sechs Monate sind seither ins Land gegangen. Nun erkennt offenbar auch Bundeskanzler Olaf Scholz, dass es da doch schon eine Pipeline gibt, die von der größten Regasifizierungsanlage im Hafen Barcelona schon bis an den Rand der Pyrenäen gelegt wurde. Die Röhre wurde bis Hostalric verlegt, insgesamt etwa eine halbe Milliarde Euro wurden schon in das Projekt gesteckt.

Deshalb will Scholz, ohne das Wort MidCat in den Wort zu nehmen, den Bau einer Pipeline von Portugal und Spanien über Frankreich nach Mitteleuropa einsetzen. Doch er weiß um das MidCat-Projekt. Denn er erwähnte, dass eine solche Pipeline längst hätte gebaut werden sollen, die nun vermisst werde, wie Scholz am Donnerstag bei seiner Sommerpressekonferenz in Berlin bekundete.

Die Pipeline würde jetzt "einen massiven Beitrag zur Entlastung und Entspannung der Versorgungslage" leisten. Er habe deshalb bei seinen Kollegen in Spanien, Portugal und Frankreich sowie bei EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen "sehr dafür geworben, dass wir zum Beispiel ein solches Projekt anpacken". Ja, die Pipeline würde das leisten, könnte sie auch, wenn die Sozialdemokraten-Kollegen in Madrid sie nicht gestoppt hätten.

Wie sich Marktbedürfnisse ändern

Dabei war MidCat einst ein "prioritäres" Infrastrukturprojekt der EU. Denn in Spanien und Portugal finden sich acht Regasifizierungsanlagen und damit etwa ein Drittel der gesamten europäischen Kapazität. Doch mit fadenscheinigen Begründungen wurde das Projekt 2019 vor allem auf Druck von den Genossen aus Madrid gestoppt. Es entspreche "nicht den Marktbedürfnissen", wurde erklärt und es sei "nicht ausgereift genug, um berücksichtigt zu werden", wurde als Ausrede für eine politische Entscheidung angefügt.

Denn es war, wieder einmal, eine kurzfristige politische Entscheidung aus Spanien im Dauerkrieg mit dem abtrünnigen Katalonien. Dort soll einfach nichts investiert werden, obwohl doch der Sozialdemokrat Pedro Sánchez angeblich eine Lösung per Dialog sucht, der allerdings seit drei Jahren nicht beginnt, während man die Katalanen aber über Pegasus ausspioniert.

Um die Katalanen zu schwächen, soll auch weiter in Katalonien nichts investiert werden. Sogar die regierungsnahe spanische Zeitung El País stellte im Mai fest, dass nur 35 Prozent der Investitionen, die im Haushalt veranschlagt waren, real in Katalonien getätigt wurden.

Die in Katalonien regierende Republikanische Linke (ERC), die für den Haushalt gestimmt hat, hat sich an der Nase herumführen lassen. Das veranschlagte Geld gibt man, wie üblich, lieber in der spanischen Hauptstadt Madrid aus. Dort wurde sogar fast doppelt so viel investiert, als eigentlich im Haushalt vorgesehen war. Dort regieren allerdings die politischen rechten Gegner.

Eigentlich sollte MidCat 2022 fertiggestellt werden

Eigentlich sollte MidCat 2022 fertiggestellt werden. Dann hätte schon längst Gas über die Pipeline bis nach Nordeuropa fließen können. Doch weiter fehlt das letzte Teilstück, das "South Transit Eastern Pyrenees" (STEP) genannt wird. STEP wurde vor drei Jahren die Genehmigung verweigert.

Da Scholz nun fordert, springen die Genossen in Spanien und überbieten sich in Ankündigungen. So erklärt die spanische Vizepräsidentin Teresa Ribera, in nur acht Monaten könnte STEP auf der spanischen Seite fertiggestellt werden.

Das darf schon wegen der Bürokratie bezweifelt werden. Dazu kommt Koalitionsstreit, denn der Juniorpartner Podemos ist aus Umweltschutzgründen gegen das Projekt, da die Formation kein Geld in fossile Energien investiert sehen will.

Natürlich soll der europäische Steuerzahler nun die Suppe auslöffeln, die man in Spanien eingeschenkt hat. Ribera, auch Ministerin für den Ökologischen Übergang, erklärt nun für das längst begonnene Projekt, dass MidCat eine "sehr bedeutende Investition" erfordere.

Dieses Projekt sei europäisch und daher sollte es von Brüssel finanziert werden, sagte sie. Hätte man das Projekt wie geplant fertiggestellt, wäre es billiger geworden und man könnte schon jetzt das Gas fließen lassen.

Woher soll das Gas kommen?

Es findet sich aber in der gesamten Gemengelage erratischer Politik noch ein weiterer großer Stolperstein. Woher soll das Gas kommen? Wie Antworten auf die Cum-Ex-Verwicklungen bleibt Scholz auch hier schmallippig (Olaf Scholz bei der Sommer-Pressekonferenz: Aus Berlin nichts Neues). Die Frachter für Flüssiggas sind knapp und können nicht aus dem Boden gestampft werden.

Es gibt aber zwei Pipelines aus Algerien, die nach Spanien führen. Die eine, die Marokko durchquert, ist aber wegen des Streits mit Marokko um die vom autoritären Königreich besetzte Westsahara schon trocken. Über sie wird derzeit trotz des wenigen Gases, das Europa zur Verfügung steht, mit Marokko ein Land beliefert, dass eine illegale Besatzung vorantreibt und einen Krieg in der Westsahara führt.

Mit den Lieferungen der deutschen RWE an Marokko wird der große Lieferant Algerien weiter verärgert. Das nordafrikanische Land droht Spanien längst, den Gashahn komplett abzustellen und hat schon die Handelsbeziehungen eingefroren, da Spanien plötzlich die Souveränität Marokkos über die Westsahara - gegen alle UN-Resolutionen - anerkannt hat.

Auf diesem Weg befindet sich auch das deutsche Außenministerium unter Annalena Baerbock, das seit dem Jahreswechsel die Positionen Marokkos vertritt. Immer offener tritt die Bundesregierung für die von Marokko angestrebte Autonomielösung ein, was auch mit einer dubiosen Wasserstoff-Strategie in Verbindung steht.

Ohne eine Kehrtwende ist wohl kaum damit zu rechnen, dass Algerien bereit ist, sich gegen den historischen Verbündeten Russland zu stellen. Ist Scholz also bereit, für Algerien-Gas eine Wende einzuleiten in der Marokko zur Entkolonisierung der Westsahara gezwungen wird?