Exil für Taylor?

Sollte der liberianische Präsident, Warlord und Kriegsverbrecher ins Ausland fliehen können und Immunität vor dem Kriegsverbrechertribunal erhalten, so würde das internationale Recht noch ein Stück unglaubwürdiger werden

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Angeblich hat der liberianische Staatspräsident Charles Taylor zugestimmt, demnächst in einem geordneten Prozess zurückzutreten und das Land zu verlassen. Nigeria will ihm vorerst Exil gewähren, sein Präsident Olusegan Obsanjo bietet ihm überdies an, ihn nicht an Sierra Leone auszuliefern. Dort wurde gegen Taylor an dem vom UN-Sicherheitsrat mit der Resolution 1343 (2001) eingerichteten internationalen Kriegsverbrechertribunal Anklage wegen Kriegsverbrechen erhoben. Für die internationale Gemeinschaft und vor allem auch für die US-Regierung, die eine Entsendung von Truppen nur erwägt, wenn Taylor außer Landes geht, wird dies ein kniffliges Problem: Friedenmission nur, wenn Kriegsverbrechen ungesühnt bleiben?

Bevor noch irgendetwas entschieden ist, haben wendige Betrüger, die von der Leichtgläubigkeit der Menschen profitieren wollen, in der Masche der so genannten Nigeria-Connection (15 Jahre Nigeria-Connection), auf die Situation in Liberia reagiert. Es werden bereits Emails von einem William Taylor versendet, der angeblich im Auftrag der Taylor-Familie Goldstaub und 100-Dollar-Scheine an ein sicheres Finanz- und Sicherheitsunternehmen in Europa geschickt hat. Dort also lagern bescheidene 65 Millionen Dollar in einer Metallbox, die sofort der Bank eines Willigen überstellt werden, der 25 Prozent in Besitz nehmen kann und den Rest investieren soll.

Kriegsverbrecher und Kriegsgewinnler

Tatsächlich ist Charles Taylor, der nach jahrelangem Bürgerkrieg 1997 zum Präsidenten des von freigelassenen amerikanischen Sklaven gegründeten Staats gewählt wurde, schwer reich. Der Kriegsgewinnler, der nach einem Studium in den USA durch einen Putsch Samuel K. Doe, den ersten Staatschef eines lokalen Volks, stürzte, aber wegen rivalisierender Warlords nicht die Macht übernehmen konnte, ist während des von 1989 bis 1997 währenden Bürgerkriegs mitverantwortlich für den Tod von Hunderttausenden und die Vertreibung von einer Million von Menschen.

Dafür aber hat er durch den Krieg, aber auch mit der Abholzung des Urwalds, bis zu 400 Millionen US-Dollar verdient. Vermutlich ist er aber noch weitaus reicher. Ihm gehören vermutlich die mindestens 3,8 Milliarden Dollar, die auf Schweizer Banken liegen (The Usual Suspects). Die Menschen in Liberia sind trotz der reichen Bodenschätze arm und ohne Arbeit. Die Infrastruktur des Landes ist weitgehend zerstört, es gibt kaum Elektrizität oder sauberes Wasser. Allerdings wurden, was sicherlich auch den Unwillen von Taylor erregte, aufgrund der Anklage am 23. Juni vom Schweizer Justizministerium auf Veranlassung des Kriegsverbrechertribunals alle Konten vorläufig eingefroren. Vermutlich sollte auch deswegen die Klage gegen ihn fallen gelassen werden, zumal er als mittelloser Diktator kaum mehr interessant für ein Land sein dürfte, das ihm Exil anbietet, wenn dadurch nicht andere Interessen gefördert werden sollen.

Das Geld in der Schweiz soll vorwiegend aus Sierra Leone kommen. Taylor hatte bis 1999 Foday Sankohs Revolutionary United Front (RUF) in dem Land unterstützt und mit Waffen sowie Kämpfern versorgt, wofür er Rohdiamanten erhielt. Den Waffenhandel - und seinen eigenen Reichtum - wiederum finanziert Taylor großenteils durch die Abholzung der Wälder. Die RUF wütete besonders grausam, ist für den Tod und die Verstümmelung Zehntausender von Menschen verantwortlich und setzte auch Kindersoldaten ein, eine weitere Finesse von Taylors Söldnerheeren. Allerdings hatte Taylor auch in anderen Ländern wie in Guinea oder der Elfenbeinküste seine blutigen Finger im Spiel. Erst letztes Jahr ließ er Söldner in die Elfenbeinküste einmarschieren. Für die von der RUF begangenen Kriegsverbrechen wurde Taylor als mitverantwortlich angeklagt. Die Klage vom internationalen Kriegsverbrechertribunal in Sierra Leone datiert zwar bereits vom März, wurde aber erst am 4. Juni bekannt gegeben, als sich Taylor gerade zu Friedensverhandlungen mit anderen Staatschefs in Ghana aufhielt.

In Ghana, das er nach der offiziellen Bekanntgabe der Klage und des Haftbefehls mit einem Flugzeug der Fluglinie des Landes verlassen konnte, hatte er seinen Rücktritt in Aussicht gestellt, was selbstverständlich nicht uneigennützig geschah. Aufgrund der UN-Sanktionen für den Handel mit Waffen und Diamanten floss in den letzten Jahren nicht mehr soviel Geld in die Kasse. Daher kürzte der Präsident den Lohn seiner Soldaten, die daraufhin auch mehr und mehr die Lust zum Kämpfen verloren, weswegen die Rebellen immer weitere Teile des Landes beherrschen konnten, bis sie schließlich in die Hauptstadt Monrovia vordrangen.

Am 17. Juni schloss Taylor zwar mit den beiden Rebellengruppen einen Waffenstillstand, der die Bildung einer Übergangsregierung ohne ihn vorsah, verkündete aber später, dass er doch noch bis zum Ende seiner Amtszeit im Januar 2004 seine Präsidentschaft beanspruche. Darauf brachen wieder Kämpfe aus, bis dann die Vereinigten Liberianer für Versöhnung und Demokratie (LURD) einen einseitigen Waffenstillstand verkündeten, um angeblich eine humanitäre Katastrophe in Monrovia zu verhindern. Die Regierung sagte allerdings, die Rebellen seien vertrieben worden. Taylor hatte sich dann an die US-Regierung und die Völkergemeinschaft gewandt und um Hilfe gebeten, wobei es ihm in erster Linie um sich selbst und sein Vermögen gehen dürfte.

Das ungeliebte internationale Recht

US-Präsident Bush hatte schon Ende Juni gefordert, dass Taylor das Land verlassen müsse. Mittlerweile erwägt die US-Regierung auch die Entsendung von Truppen, um sich an einer internationalen Friedensgruppe zu beteiligen. Inzwischen ist ein US-Team in Liberia eingetroffen, das die Lage erkunden soll. Die 11 Mitgliedsländer der Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS hatten angeboten, Soldaten nach Liberia zu entsenden. Die Regierung von Ghana, Gastgeber des Treffens der ECOWAS-Staaten, hatte nichts getan, um Taylor festzuhalten, wozu sie eigentlich verpflichtet gewesen wäre. ECOWAS gab in einer Verlautbarung bekannt, dass die Anklage zur falschen Zeit erhoben worden sei. Der Außenminister Ghanas meinte, die Anklage sei eine Sache zwischen dem Gericht und dem Angeklagten. Die Regierung könne hier keine Position einnehmen.

Der rechtliche Konflikt, der mit der Situation in Liberia entsteht (oder durch das Verhalten Ghanas eigentlich schon entstanden ist), ist schwerwiegend, gerade nach dem Irak-Krieg und dem aktiven Widerstand der US-Regierung gegenüber der internationalen Gerichtsbarkeit in Form des ICC. Möglicherweise könnte das Land schneller zur Ruhe kommen und müssten weniger Menschen sterben, wenn Taylor tatsächlich Exil in Nigeria oder anderswo erhielte und nicht an das Kriegsverbrechertribunal ausgeliefert würde. Nigeria hätte damit freilich der UN zuwider gehandelt. Die Regierung hatte 2001 das Statut von Rom ratifiziert. Möglicherweise hat der nigerianische Präsident das Angebot durchaus mit dem Einverständnis der US-Regierung gemacht. Nigeria will allerdings nur Zwischenstation sein, bis Taylor einen Endabnehmer für sich - und seine Milliarden? - gefunden hat.

Zu erwarten freilich ist, dass in dem verarmten, von einem Jahrzehnt des grausamen Bürgerkriegs verwüsteten Land nicht so schnell Frieden einkehren wird, auch wenn Taylor das Land verlässt. Ließe man den Warlord und Kriegsgewinnler einfach ziehen, so würde auf jeden Fall das Ansehen der internationalen Justiz schwer geschädigt werden. Die US-Regierung windet sich, wie beispielsweise der Sprecher des Außenministeriums Richard Boucher auf einer Pressekonferenz am 3. Juli. Er bejahte zwar die Frage, ob die US-Regierung wolle, dass Taylor das Land verlasse, aber auch, dass er als Kriegsverbrecher zur Verantwortung gezogen werden müsse. Beides aber wird wohl nicht zu haben sein. Bush wird auf seiner Afrika-Reise auch Nigeria besuchen.

David Crane, der Hauptankläger des Kriegsverbrechertribunals in Sierra Leone, will die Anklage jedenfalls nicht fallen lassen, wie er der LA Times sagte: "Für Kriegsverbrecher darf es keine weiche Landung geben. Charles Taylor ist der Kern einer gemeinsamen kriminellen Unternehmung, die Westafrika terrorisiert und destabilisiert hat. Ließe man dieses Mann mit den Verbrechen, die er begangen hat - Tötung, Vergewaltigung oder Verstümmelung von 500.000 Menschen -, so wäre dies eine schwer wiegende Ungerechtigkeit." Und natürlich auch ein Modell für andere Kriegsverbrecher, die sich Millionen von Menschen als Geiseln nehmen, um weiterhin in Freiheit ein Leben in Luxus führen zu können. Gegen eine Immunität für Taylor sprechen sich auch Menschenrechtsorganisation wie Human Rights Watch