Fauler Kompromiss im Schuldenstreit
Die Eurogruppe redet erstmals über Erleichterungen für Griechenland. Gleichzeitig fordert sie aber neue, diesmal sogar automatische Budgetkürzungen
Es ist fast schon Routine: Immer, wenn es um Griechenland geht, liegen sich die Gläubiger, der Internationale Währungsfonds (IWF) und die EU-Kommission in den Haaren. Und jedesmal wird der Streit auf dem Rücken des am höchsten verschuldeten Landes der Eurozone ausgetragen.
An diesem traurigen Ritual hat sich auch im Jahr sieben der Krise nichts geändert. Trotz der neuen massiven Rentenkürzungen und Steuererhöhungen, die das griechische Parlament am Sonntagabend beschlossen hatte, verschob die Eurogruppe die Entscheidung über fällige Finanzspritzen auf ihre nächste Sitzung am 24. Mai.
Auch die Erleichterungen beim Schuldendienst, die der IWF fast schon ultimativ angemahnt hatte, wurden auf die lange Bank geschoben. Ein Schuldenschnitt sei ausgeschlossen, sagte Eurogruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem nach dem Krisentreffen in Brüssel.
Denkbar seien aber kurz-, mittel- und langfristige Entlastungen, etwa durch Streckung der Schuldentilgung und Weitergabe von Zinsgewinnen. Sie sollen aber erst ab 2018 eingeleitet werden. Vorher müsse Griechenland erstmal einen Primärüberschuss (vor dem Schuldendienst) von 3,5 Prozent der Wirtschaftsleistung erzielen.
Hardliner fordern Notfallplan
Damit haben sich die Hardliner in der Eurogruppe durchgesetzt, die wie üblich vom deutschen Finanzminister Wolfgang Schäuble angeführt wurden. Sie wollten erreichen, dass die Gläubiger ("der deutsche Steuerzahler") auf keinen Cent ihrer Forderungen verzichten müssen. Außerdem hatten sie einen "Notfallplan" mit weiteren drastischen Kürzungen gefordert.
Der griechische Premierminister Alexis Tsipras wollte diesen zusätzlichen Plan, der weit über die Vereinbarungen für den dritten Bailout vom letzten Sommer hinausgeht, ursprünglich verhindern. In seiner Not hatte er sich sogar an den französischen Staatschef François Hollande und an Bundeskanzlerin Angela Merkel gewandt.
Doch nun soll der "Notfallplan" trotzdem kommen - wenn auch in leicht veränderter Form. Statt bereits jetzt neue Kürzungen "auf Vorrat" zu beschließen, soll Tsipras nun einen neuen "Mechanismus" einführen, sagte Dijsselbloem. Er würde automatische Austeritäts-Maßnahmen, aber auch neue neoliberale Strukturreformen und Steuererhöhungen auslösen, wenn Athen das Budgetziel verfehlt.
Allerdings bestehen erhebliche Zweifel daran, dass ein Primärüberschuss von 3,5 Prozent überhaupt erreichbar ist. Sogar IWF-Chefin Christine Lagarde hatte dies in einem Brandbrief an die Eurogruppe in Frage gestellt und stattdessen einen Schuldenschnitt oder andere, weitreichende Erleichterungen gefordert.
Andernfalls werde sich der IWF aus dem Hilfsprogramm zurückziehen, hatte Lagarde gedroht. Dies brachte vor allem Schäuble in Bedrängnis, der auf einer Beteiligung des (amerikanisch dominierten) IWF besteht. Schäuble hatte im letzten Jahr durchgesetzt, dass Griechenland nur dann geholfen wird, wenn der IWF "an Bord" bleibt.
Fauler Kompromiss
Die letzte Entscheidung steht nun immer noch aus. Der IWF sei mit dem Kompromiss aber zufrieden, behauptete Dijsselbloem. Dabei ist es ein überaus fauler Kompromiss. Statt die aus Sicht des IWF unrealistischen Sparziele zu lockern, werden sie nun sogar noch verschärft - durch die automatischen Sparbeschlüsse "auf Vorrat".
Gleichzeitig wird die seit Jahren diskutierte Senkung der Schuldenlast erneut auf die lange Bank geschoben. De facto handelt es sich nur um kosmetische Manöver. Lagarde kann damit eigentlich nicht einverstanden sein.
Am Rande des Brüsseler Treffens wurde deshalb auch die Möglichkeit diskutiert, dass sich der IWF nur noch beratend am laufenden Programm beteiligt, nicht aber mit eigenen, frischen Krediten. Vor allem die EU-Kommission und Frankreich könnten sich mit diesem Gedanken anfreunden. Auch Tsipras wäre darüber nicht unglücklich.
Schäuble wollte sich zu dieser Möglichkeit nicht äußern - er verließ das Treffen wortlos, ohne die sonst übliche Pressekonferenz. Offenbar will er sich alle Optionen offen halten - und keine Angriffsfläche bieten: Der CDU-Mann steht wegen seiner harten Haltung neuerdings nämlich auch in der Bundesregierung in Berlin unter Beschuss.
Am Wochenende hatte sogar Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel den Finanzminister kritisiert und eine schnelle Lösung des Schuldenstreits gefordert. "Alle wissen, dass diese Erleichterung der Schuldenlast irgendwann kommen muss. Es macht keinen Sinn, sich davor immer wieder zu drücken", sagte der SPD-Chef.
Nun wurde immerhin die Diskussion darüber aufgenommen. Der griechische Finanzminister Euklid Tsakalotos feierte dies als großen Erfolg. Zugleich spielte er die geforderten neuen Sparbeschlüsse herunter: "Die griechische Regierung und die drei Institutionen glauben daran, dass wir diesen Mechanismus nicht benötigen werden", sagte er mit Blick auf Vorratsmaßnahmen.
Sie sollen nun am 24. Mai diskutiert und - wenn möglich - auch beschlossen werden. Außerdem will die Eurogruppe dann eine Analyse der Schuldentragfähigkeit diskutieren. Laut Wall Street Journal könnte es bei dieser Debatte erneut hoch hergehen. Denn die Schätzungen sind überaus wackelig - eine Verbesserung ist nach der Analyse durchaus nicht ausgemacht.
Im Gegenteil: Zwar soll die Schuldenquote bis 2060 im günstigsten Fall von derzeit 176 auf 62 Prozent der Wirtschaftsleistung fallen. Bei ungünstigen Vorzeichen könnte sie aber auch auf 258 Prozent emporschnellen. Griechenland wäre damit endgültig im Schuldenturm gefangen; die Austeritätspolitik würde nie enden.