Fernsehen macht träge und dumm
Psychologen haben erstmals die psychophysiologischen Auswirkungen des Fernsehens bei Vielsehern untersucht
Ungezählte Untersuchungen und Vermutungen gibt es bereits über die Auswirkungen eines übermäßigen Fernsehkonsums. Vor allem wollte man herausbekommen, wie und ob Inhalte, beispielsweise Gewaltdarstellungen, auf die Zuschauer und vor allem die Kinder sich negativ auswirken. Umstritten ist allerdings noch immer, ob das Sehen von Gewaltdarstellungen auch die Gewaltbereitschaft bei Kindern erhöht. Unumstritten ist jedoch, dass trotz der ausgerufenen Internetgesellschaft Fernsehen bei Kindern und Jugendlichen noch immer die wichtigste, jedenfalls längste Freizeitbeschäftigung ist. Psychologen aus Freiburg haben jetzt erstmals psycho-physiologischen Folgen der jungen Dauerglotzer untersucht.
Dass übermäßiges Fernsehen zumindest eines bewirkt, ist schon lange klar und liegt auch auf der Hand: es fördert die Dickleibigkeit und reduziert die körperliche Bewegung. Das sagt man ja auch der Benutzung von Computern und dem Internet nach, was normalerweise ja auch nur sitzend geschieht. Aber schon lange wird vermutet, dass das Fernsehen auch andere körperliche Auswirkungen haben könnte, was bislang allerdings nicht recht in den Blick gekommen ist, weil man sich meist nur um die Informationen oder Inhalte gekümmert hat. Schon Marshall McLuhan hatte angeregt, Medien und insbesondere das Fernsehen als Mittel zu sehen, die unsere Körper beeinflussen. Medien waren für ihn nicht nur Erweiterungen unseres Körpers, sondern sie massieren ihn auch: "Das Medium ist Massage." Das Visuelle beim Fernsehen, so McLuhan, sei nur eine Komponente, es werde vor allem der "aktive, erforschende Tastsinn erweitert, der alle Sinne zugleich einbezieht". Fernsehen war für den Medientheoretiker vornehmlich ein taktiles Medium, das uns durchknetet, indem die Bilder auf uns, auf unseren Körper projiziert werden.
Das war freilich nur eine spekulative Hypothese. Wissenschaftler der Forschungsgruppe Psychophysiologie unter Leitung von Michael Myrtek am Psychologischen Institut der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg haben jetzt erstmals einige der körperlichen Auswirkungen des Fernsehkonsums bei 200 11- und 15jährigen Schülern untersucht, wie Spektrum der Wissenschaft (gebührenpflichtig) berichtet. Die Schüler trugen 23 Stunden lang ein Gerät mit sich, das die durch Messelektroden erfassten Daten zur Herzfrequenz und Bewegungsaktivität speicherte. Aus diesen Werten wurde dann die körperliche, emotionale und geistige Beanspruchung ermittelt. Alle 15 Minuten mussten die Schüler zudem eingeben, wie ihr aktuelles Befinden gerade ist und was sie machen.
Im Vergleich von Freizeit und Schule scheinen die Kinder und Jugendlichen, bei normalen Schultagen wenig verwunderlich, emotional stärker in der Freizeit beansprucht zu werden. Das aber offenbar vorwiegend beim Fernsehen. Vielseher allerdings seien stärker gegenüber den Spektakeln auf dem Bildschirm abgestumpft als Wenigseher, dafür aber stehen sie in der Schule unter mehr Stress - vielleicht ist der Unterricht gegenüber dem Fernsehen zu langweilig, da kaum Schnitte gemacht werden und auch der Sound fehlt -, und sie haben auch schlechtere Noten, besonders in Deutsch. Die Psychologen meinen, das rühre daher, dass Vielseher natürlich weniger Zeit zum Lesen, aber auch zum Sprechen mit anderen haben.
Auch wenn die Vielseher beim Fernsehen weit herumgekommen, sind sie als sitzende Zuschauer doch ziemlich eingeschränkt in Sachen Welterfahrung. Sie führen seltener Gespräche, lernen weniger oft ein Musikinstrument, körperlich sind sie schlaffer und weniger häufig mit Freunden zusammen. Das ist alles auch ganz einfach eine Frage der Zeitökonomie. Aufgrund der Ergebnisse kommen die Psychologen zum Schluss, dass die Eltern den Fernsehkonsum ihrer Kinder streng kontrollieren sollten, so dass nicht mehr als eine Stunde pro Tag die Glotze eingeschaltet ist. Da werden dann die meisten Eltern auch ein leuchtendes Vorbild sein ...
Durchschnittlich sitzen Kinder zwei Stunden täglich vor dem Fernseher, Vielseher oft bis zu vier Stunden und manchmal auch mehr. Bei einer groß angelegten amerikanischen Studie, die Ende des letzten Jahres veröffentlicht wurde (Am Tropf der Medien), ergab sich, dass Kinder in den USA durchschnittlich 38 Stunden wöchentlich und fünfeinhalb Stunden täglich Medien nutzen, überwiegend noch immer das Fernsehen, während Computer- oder Internetnutzung meist noch keine große Bedeutung hatten. 64 Prozent sitzen täglich mehr als eine Stunde und 17 Prozent sogar mehr als fünf Stunden vor dem Fernsehbildschirm. Gemessen wurde in dieser Studie auch ein Zufriedenheitsindex, wobei sich herausstellte, dass die starken Mediennutzer unter den Kindern aus allen gesellschaftlichen Schichten, die mehr als 10 Stunden täglich mit den Medien verbringen, am weitesten unten rangieren (was man ja auch erst einmal schaffen muss). Probleme mit den Eltern und in der Schule sind mit hoher Mediennutzung korreliert. Am längsten läuft der Fernseher bei Kindern, die Minoritäten angehören oder die in Familien von Alleinerziehenden aufwachsen. Und meistens glotzen die Kinder auch allein. Daher wird auch von den Eltern, die die Kinder gerne mal vor den Fernseher setzen, um Ruhe zu haben, wenig Einschränkungsinitiative zu erwarten sein.