Fernziel Marsexpedition

Das langfristige Ziel der europäischen Raumfahrtagentur ESA ist klar - aber der Weg dorthin ist noch weit

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2033 sollen die ersten europäischen "Marsmenschen" den rötlichen Staub des vierten Planeten des Sonnensystems per pedes aufwirbeln. Das zukunftsorientierte und richtungsweisende Aurora-Programm der Europäischen Weltraumagentur ESA will den hürdenreichen, langen und kostspieligen Weg zum Mars ebnen. Ermutigt durch die jüngsten Erfolge der Mars-Express-Mission, der Titan-Landesonde Huygens, des Mondorbiters SMART-1, des Venus-Satelliten Venus Express und dem Langzeitaufenthalt von Thomas Reiter auf der Internationalen Raumstation ISS, bündelt die ESA verstärkt ihre Energien, um das Fundament für eine erste interplanetare bemannte Expedition zu legen.

14. Januar 2005 um Punkt 11.13 Uhr MEZ: Eine büchsenähnliche Kapsel taucht mit einer Geschwindigkeit von 20.000 Stundenkilometern vollautomatisch, ohne Steuertriebwerk, im steilen Winkel in 1270 Kilometer Höhe in die dichte Atmosphäre des geheimnisumwitterten Saturnmondes Titan ein. Bereits vier Minuten nach seinem Eintritt in die Gashülle des Trabanten schickt der ESA-Lander Huygens das erste Datenpaket an seine Muttersonde Cassini. Nach fünf Minuten bremst die dichte Stickstoffatmosphäre den fremden Eindringling ab, bevor sich in einer Höhe von rund 180 Kilometer zunächst ein kleinerer Fallschirm öffnet, der den oberen Hitzeschutzschild wegzieht. Der erste Hauptfallschirm entfaltet sich. Schon 42,5 Sekunden später arbeiten die Instrumente des Landers auf Hochtouren. Ein dritter Fallschirm verlängert den Sinkflug der Eintauchsonde auf zweieinhalb Stunden.

Während dieser Zeit schwebt Huygens mit pausenlos arbeitenden Sensoren der Oberfläche des Titan entgegen und analysiert die Umgebung und die chemische Zusammensetzung der dunstigen Atmosphäre, sammelt Daten über Temperatur, Luftdruck, Windrichtung, Windstärke, elektrische Eigenschaften, Wolkendichte und vieles andere mehr.

Cassini-Aufnahme vom 22. Februar 2007. Auf dem Bildausschnitt sind Titans Methanseen (schwarz) und Landmassen zu sehen (helle Strukturen). Bild: NASA/JPL

Nach dem Durchbrechen der Wolkendecke, quasi in der letzten Phase des Abstiegs, nehmen zwei Kameraaugen die bislang unbekannte Oberfläche des Himmelskörpers ins Visier und schießen die ersten Bilder. Augenblicklich funkt der sondeneigene Computer sämtliche Daten und Bilder an das Cassini-Mutterschiff, die dort vierfach zwischengespeichert und dann zur Erde gesendet werden. Um 13.34 Uhr MEZ landet die Sonde auf felsigem Terrain und bleibt vier Stunden lang auf Sendung.

Cassini-Aufnahme einer riesigen Wolke am bzw. über dem Südpol des Saturnmondes Titan. Bild: NASA/JPL/USGS

Kein außerirdisches Artefakt

Als vor mehr als zwei Jahren die ESA-Sonde Huygens diese bilderbuchmäßige Landung hinlegte, nahm das erste Mal in der Raumfahrtgeschichte ein irdischer Flugkörper mit der Oberfläche einer fremden Welt im äußeren Sonnensystem Tuchfühlung auf: Europa schrieb Raumfahrtgeschichte auf hohem Niveau, so wie bereits ein Jahr zuvor.

eihnachten 2003 platzierte die ESA ihre erste Forschungssonde in der Mars-Umlaufbahn. Noch heute funkt Mars Express hochwertige wissenschaftliche Bits und Bytes en masse in 3D-Qualität zur Erde. Dabei konnte die Sonde so ganz nebenher mit einem alten Mysterium aufräumen. Was Paläo-SETI-Anhänger gemeinhin als "Marsgesicht" bezeichnen und immer noch zum außerirdischen Artefakt hochstilisieren, hat dank der europäischen Sonde nunmehr endgültig sein Gesicht verloren: Es entpuppte sich als rein zufällig entstandene, marsgeologische Gebirgsformation.

Schwerer Gesichtsverlust für das angebliche "Marsgesicht". Bild: ESA/DLR/FU Berlin (G. Neukum), MOC (Malin Space Science Systems)

Nicht minder erfolgreich operiert die Venus-Express-Sonde seit Mitte April 2006 in der Umlaufbahn des zweiten Planeten des Sonnensystems. Als preisgünstige Evaluierungsmission konzipiert, lehnt sich Venus Express in puncto Hardware stark an die vorangegangene ESA-Kometenjägermission Rosetta und an Mars Express an.

Mithilfe dieses kostensparenden Recycling-Konzepts sollen nach Gutdünken der ESA künftig auch in Zeiten eingeschränkter Budgets ehrgeizige unbemannte Missionen ihren Weg ins All finden. Einer dieser kostengünstigen kleinen und kompakten Satelliten war einmal der nur 110 Millionen Euro teure und kühlschrankgroße erste ESA-Mondorbiter SMART-1, der am 3. September 2006 ganz selbstlos im Dienste der Wissenschaft gezielt auf dem Mond zerschellte. 18 Monate zuvor schwenkte das Raumgefährt noch in die lunare Umlaufbahn und umrundete den Erdtrabanten auf einer elliptischen Bahn sage und schreibe 2000-mal, analysierte die chemische Beschaffenheit des Mondes und suchte nach Wasser in Form von Eis.

SMART-Aufnahme des Mondkraters Hopmann. Bild: ESA/SPACE-X (Space Exploration Institute)

"Bei jedem Umlauf um den Mond schoss SMART-1 zirka zehn Fotos, so dass wir zurzeit mehr als 20.000 Bilder haben", freute sich der Leiter der Mission Bernard Foing kurz nach dem Crash der kleinen Sonde auf dem Mond. "Trotz SMART-1 ist unser Wissen über den Mond immer noch unvollständig. Dennoch war die Mission ein großer Erfolg."

Lunare Basis und Planetenjagd

Doch der clevere SMART-1 leistete weitaus mehr. Denn in der ersten Missionsphase testeten die ESA-Ingenieure ein neuartiges solar-elektrisches Antriebssystem, das einmal die zukünftige interplanetare Raumfahrt beflügeln könnte: den Ionenantrieb, der in der Raumfahrt bisher kaum genutzt wurde. Dieser arbeitet mit zehnmal höherer Effizienz als herkömmliche chemische Antriebe und erlaubt zudem völlig neue Navigationsmöglichkeiten, die bei künftigen interplanetaren und solaren ESA-Missionen wie etwa bei BepiColombo zum Merkur (Start 2013) und dem Solar Orbiter (Start 2015) zum Einsatz kommen sollen.

BepiColombo soll in sechs Jahren starten. Erst im August 2019 wird der Forschungsroboter in den Merkur-Orbit einschwenken. Bild: EADS Astrium

Bei alledem konnte SMART-1 dank seiner sensiblen Farbkamera AMIE die bislang besten Bilder der Mondoberfläche aufnehmen - sowohl im sichtbaren als auch im UV- und im nahen Infrarot-Bereich. Aus diesen Daten soll alsbald eine sehr präzise dreidimensionale Karte der Mondoberfläche hervorgehen. Zur Überraschung vieler Mondexperten und zur Freude der US-Raumfahrtbehörde NASA entdeckte SMART-1 auch ein Gebiet in der Nähe des Nordpols, in dem die Sonne ständig scheint - selbst im Winter.

An solcherlei lichtverwöhnten Regionen ist die NASA deshalb interessiert, weil sie auf dem Erdsatelliten bis zum Jahr 2024 den Bau einer bemannten Forschungsstation angehen will, auf der später einmal vierköpfige Astronautenteams für jeweils eine Woche forschen und arbeiten sollen - insgesamt 180 Tage im Jahr.

Bild: UESA - AOES Medialab

Und dies erfolgt nicht allein aus wissenschaftlichen Motiven, sondern auch, so die Wunschvorstellung der NASA, zu kommerziellen Zwecken. Schließlich ist der erdnächste natürliche Satellit nicht nur ein astronomisch-exogeologisch interessanter Himmelskörper, sondern auch eine potenziell hochwertige Rohstoffquelle. Zu einem lunaren Exportschlager könnte hierbei vor allem das sogenannte Helium-3 avancieren. Dieses auf der Erde höchst selten anzutreffende Gas ist nach Ansicht vieler Experten ein idealer nuklearer Brennstoff, sofern es auf dem Mond in dem Maße und in der Masse vorhanden ist wie bislang angenommen.

Ein alter und treuer Begleiter der Erde... Bild: Lick Observatory

Ungeachtet aller hochfliegenden Pläne der NASA liegt die Mondbasis aber nicht nur zeitlich und räumlich in weiter Ferne. "Alles befindet sich noch in der Planungsphase", so der für die bemannte Raumfahrt zuständige ESA-Manager Bernhard Hufenbach.

Bild: Pat Rawlings/SAIC/NASA JSC

Hufenbach nahm Anfang Dezember des letzten Jahres in Houston (Texas/USA) im Rahmen der 2nd Space Exploration Conference an einer richtungweisenden Besprechung teil, der auf Einladung der NASA 14 internationale Agenturen beiwohnten, darunter auch die ESA. "Unser Anliegen ist es jedoch, die Exploration ins All international und global zu koordinieren. Dies gilt auch für Missionen jenseits des Mondes - ob bemannt oder unbemannt."

Bereits mit Trägersystemen, die heute existieren, könne man einen sinnvollen Beitrag zum Aufbau der Mondstation leisten, so Hufenbach. Beispielsweise habe man Studien darüber durchgeführt, ob eine modifizierte Ariane-5-Rakete für eine Expedition zum Mond als Trägersystem in Frage käme. Hierbei sei es zu einem interessanten Resultat gekommen: "Wir glauben, dass eine überarbeitete und leistungsstärkere Version der Ariane-5 durchaus in der Läge wäre, vier Tonnen Nutzlast auf die Mondoberfläche zu befördern."

Ariane 5 ECA. Bild: ESA/CNES/ARIANESPACE-Service Optique CSG