Finnlands Erfolgsweg: Distanz zum Menschen, Nähe zur digitalen Technik

Bild: Pxhere.com/CC0

Das Land hat mit 51,9 Fällen auf 100.000 Einwohner die geringste Infektionsrate innerhalb der EU

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

"Die Gesamtmortalität in Finnland liegt in diesem Jahr auf dem Niveau der Vorjahre, sagte Pekka Jousilahti vom Ministerium für Gesundheit und Soziales gegenüber der Zeitung "Helsingin Sanomat" am Montag. Es ist eine der Meldungen, die zu belegen scheinen, dass Finnland die Epidemie von SARS-Cov-2 im Griff hat. Von einer zweiten Welle kann in dem Land im Norden Europas mit seinen 5,5 Millionen Einwohnern noch keine Rede sein.

Finnland hat mit 51,9 Fälle auf 100.000 Einwohner die geringste Infektionsrate innerhalb der EU, so die Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten. Nach Stand vom 13. November befinden sich 73 Menschen aufgrund von Covid-19 im Krankenhaus, davon 15 auf der Intensivstation. In Finnland wurden inzwischen insgesamt 18.858 Coronavirus-Infektionen gemeldet, 369 Bewohner starben an oder mit Covid-19.

Mit seinen vornehmlich verstreut lebenden Bewohnern hat die Republik im Norden Europas eine gute Ausgangsposition für eine Epidemie, auf der anderen Seite ist das Land auch verletzlich durch eine überalterte Gesellschaft. Laut Eurostat machen Menschen über 65 Jahren ein Fünftel der Gesellschaft aus. Auch dies ist EU-Rekord. Darum werden die Alten besonders geschützt. Nach Kaisu Pitkälä, Geriatrie-Professor an der Universität Helsinki, wird bei jedem entdeckten Fall in den Altersheimen das ganze Personal und alle Bewohner getestet.

Wichtig ist auch das hohe Testvolumen. Auf 1000 Einwohner kamen bislang knapp 300 Tests. Das Land ist in 20 Krankenhausdistrikte aufgeteilt, die für die Testungen verantwortlich sind. Im bevölkerungsreichen Distrikt um Helsinki werden derzeit 4000 Tests täglich gemacht, in drei Wochen könnte dies auf 22.000 täglich erhöht werden, wenn sich das Virus stärker ausbreiten sollte. Bei der Nachverfolgung hilft die im August eingeführte App "Corona Flash", die 2,5 Millionen der Finnen auf ihrem Smartphone haben und die die Nutzer informiert, wenn ein anderer Nutzer, dem man näher gekommen war, infiziert wurde - wenn jener dies vorher gemeldet hatte.

Auch der hohe Stand der Digitalisierung machte für die finnischen Berufstätigen das Arbeiten zu Hause leicht, zudem ist der Drang nach Geselligkeit bei den Finninnen und Finnen recht schwach ausgeprägt. Ein anderer Faktor ist das Vertrauen.

Noch heute sind Restaurants und Kneipen

Im Gegensatz zum Nachbarn Schweden, in der die Politik die Pandemie erstmals herunter spielte und dann einen Lockdown vermied, zeigte die sozialdemokratische Regierungschefin Sanna Marin schon nach dem ersten Fall Ende Februar starke Präsenz in den Medien und versprach eine offene Kommunikationspolitik und Transparenz. Anfang März wurde dann ein strenger Lockdown beschlossen, Ende März der besonders betroffene Großraum Helsinki vom Rest des Landes abgeriegelt. Später wurden die Bestimmungen wieder zurückgefahren. Im Juni wurde dann selbst der Besuch der Altenheime wieder gestattet. Dank der klaren Ansagen und einem recht hohen Staatsvertrauen gibt es keine nennenswerte Corona-Skeptiker-Bewegung in Finnland.

Noch heute sind Restaurants und Kneipen offen, in den fünf "Risikobezirken" gibt es die Auflage, ab 23 Uhr zu schließen. Einen Rückschlag erfuhr jedoch eine finnische Tradition: In manchen Regionen sollen nun die öffentlichen Saunen geschlossen werden. Allerdings sind die Saunen in den Privathaushalten weit verbreitet.

Streit gab es jedoch um die Masken. Im Oktober versuchte die Opposition vergeblich Krista Kiuru, der Ministerin für Familie und Pflege, das Vertrauen zu entziehen, da sie im Frühjahr nicht den Mundschutz empfohlen hatte. Erst im August forderte die Regierung die Bevölkerung auf, im Nahverkehr wie in anderen öffentlichen Innenraum Nase und Mund zu bedecken. Mittlerweile werden die Masken sukzessive in den Schulen eingeführt.

Schon jetzt verspricht die finnische Regierung die kostenlose Verteilung des Impfstoffes, der Anfang des kommenden Jahres verfügbar sein würde, dabei sollen drei Typen angeboten werden: RNA-Impfstoff, Andenoviral-Vektoren-Impfstoff und ein Impfstoff auf Proteinbasis.

Das finnische Emmentaler-Modell

Bis es soweit ist, will eine Expertengruppe aus 30 Personen (Mediziner, Biologen, Volkswirte) die bisherigen Methoden in der Epidemie ausbauen und verbessern. Sie legten kürzlich dazu ihren dritten Bericht vor.

Dabei gehen sie vom Emmentaler-Modell aus, dessen Käsescheiben die einzelnen Methoden verkörpern, die einzeln für sich "Löcher" haben, jedoch zusammen einen guten Schutz bieten. Die Experten begrüßen weder ein Durchinfizieren der jungen Bewohner des Landes noch einen weiteren Lockdown, sondern setzen auf Restriktionen in den Gebieten des Ausbruchs und eine koordinierte Bekämpfung der Cluster. Wenn rechtzeitig reagiert werde, könne ein Lockdown der ganzen Gesellschaft verhindert werden.

Die Volkswirtin Sanna Kurronnen glaubt, dass die Restriktionen jedoch nicht so schlimm für die Ökonomie des Landes seien, wie die Epidemie selbst, da diese die Menschen verängstige, in ihrer Mobilität und ihrem normalen Verhalten einschränkt.

Der Ökonomie soll nun der Tourismus helfen

Fuhr Finnland bislang eine restriktive Politik gegen einreisende Ausländer, soll auf Druck vor allem von Lappland, das von ausländischen Gästen lebt, ein Gesetz ausgearbeitet werden, das es Touristen auch aus Ländern mit höheren Fallzahlen ab Weihnachten erlaubt, in Finnland ihren Urlaub zu verbringen. Dazu bedarf es eines speziellen Testkonzepts sowie umfangreiches Testen an der Grenze. Auch sollen Tunnels und Bubbles helfen, die Touristen von den Einheimischen fern zu halten. Zu nahe ran an die Finnen kommen die ausländischen Gäste sowieso nicht - "social distancing" ist bereits von früh auf im Verhaltensmuster der introvertiert veranlagten Einheimischen verankert.

Die bislang geringen Fall- und Todeszahlen führen zu einem selbstbewussten Auftreten der finnischen Politik. Die finnische Premierministerin Sanna Marin forderte in dem amerikanischen Magazin Politico die anderen EU-Staaten zu mehr Koordination auf und kritisierte sie auch: "Ein Mitgliedsstaat (Finnland), der erfolgreich war, die Verbreitung der Epidemie zu bremsen, wird erst wirklich geschützt sein, wenn wir alle erfolgreich sind."

Wobei "Erfolg" relativ ist. Welche Todesopfer die Pandemie wirklich fordert, wird sich in Finnland wie auch in anderen Ländern erst später herausstellen. Als die drei primären Todesursachen gelten Krebs- und Herzerkrankungen sowie Demenz. Gerade bei der Krebsbehandlung haben sich die Wartezeiten zwischen Diagnose und Behandlung mehr als verdoppelt. Ende August befanden sich mehr als sechs Monate lang fast 18.000 Menschen in der Warteschlange für Nicht-Notfallversorgung, verglichen mit 2000 zur gleichen Zeit im Vorjahr.