Flurfunk in der Krise

Seite 2: DDR in Bayern und Baden-Württemberg?

Erster Aspekt: In der DDR habe es 20 Pflichtimpfungen gegeben. Es könne jetzt die Gegenreaktion geben, dass sich Menschen nicht vom Staat zum Impfen zwingen lassen wollten. Diese Menschen fassten Ablehnung als Teil ihrer Identität auf.

Dazu wäre zu sagen: Inwiefern sollte gleich der erste Einfluss-Faktor gleichsam "von außen" kommen, also hier letztlich aus DDR-Verhältnissen? Entgegen landläufiger Mythen hat es in der DDR laut dem Berliner Sozialmediziner und Gesundheitspolitiker Heinrich Niemann genau eine Pflichtimpfung für alle gegeben, jene gegen Pocken, die es zugleich übrigens auch in der Bundesrepublik gegeben hat.

Niemann zufolge ist es ausgesprochener "Quatsch", dass die niedrigeren Corona-Impfquoten noch Ausdruck der DDR-Diktatur seien. Man betrachte dazu nur auch die niedrige Impfquote in weiten Teilen Bayerns und Baden-Württembergs.

Zum Unterschied zwischen den Impfkampagnen in DDR und der BRD sagt Niemann:

In der Bundesrepublik gibt es eine Liste mit Impfempfehlungen. In der DDR gab es eine praktisch gleichlautende Liste mit Pflichtimpfungen für Kinder. Aber wenn Eltern partout nicht wollten, haben sie unterschrieben und das Kind wurde nicht geimpft. Dann habe das Kind allerdings nicht in den Kindergarten gedurft.

Heinrich Niemann

Zudem sei eine Ordnungsstrafe möglich gewesen, "das wurde aber nie gemacht in der DDR".

Es erscheint an der Stelle wichtig: Versuche von Schuldzuweisungen an die DDR-Vergangenheit wie hier gleich im ersten funk-Faktor lassen Selbstkritik an den jetzigen ökonomischen, politischen und kulturellen Verhältnissen tendenziell überflüssig erscheinen. Oder wie es Niemann sagt: Es solle vor allem entschuldigen, "dass man nichts machen muss".

Zweiter Aspekt der funk-Faktoren: die Hypothese eines Zusammenhanges von Impfablehnung und AfD-Nähe, die eine Studie der TU Dresden belege. Sofern sich auf die MIDEM-Studie der TU Dresden bezogen wird, so werden schon in deren Zusammenfassung vor einem etwaigen Zusammenhang zwischen Impfskepsis und AfD-Nähe demographische Faktoren genannt, etwa geringes Einkommen und relativ niedrige formale Bildung, Aspekte also, die direkt mit der sozio-ökonomischen Wirklichkeit hier und heute zu tun haben.

Das zu thematisieren und zu problematisieren wäre vermutlich aufwendiger als das Etikett "AfD-nah".