Flurfunk in der Krise

Seite 3: Hatten die Sachsen beim "anfänglicher Impfwillen" die DDR vergessen?

Dritter Aspekt der funk-Faktoren: Organisatorische Schwierigkeiten im Ablauf der Impfkampagnen: Das Bundesland Sachsen zum Beispiel habe "im Frühjahr 27.000 Corona-Impfdosen zu wenig erhalten". Das könnte einen "anfänglichen Impfwillen" – wo sollte der denn hergekommen sein? – ausgebremst haben.

Dieses nur scheinbar selbstkritische Motiv von gelegentlichen Organisations- und Kommunikationsproblemen findet sich nicht nur hier, sondern oft, wenn Kritik und Kontrolle der gegenwärtigen Verhältnisse medial eher simuliert werden. Tenor: Im Großen und Ganzen stimme alles, aber hier und da gebe es halt Pannen. Auch dies entlastet von womöglich nötiger Grundsatzkritik.

Vierter und fünfter Faktor: Die dritte Welle sei zwar stark gewesen, aber viele dürften in ihrem Umfeld damals eher harmlose Corona-Verläufe erlebt haben. Zudem lagen die Corona-Zahlen im Sommer 2021 in den jetzt besonders betroffenen Regionen eher unter dem Bundesdurchschnitt, wie funk schreibt: "Zusammen mit Lockerungen könnte der Ernst der Lage so in Vergessenheit geraten sein."

Diese Phänomene sind sicher nicht von der Hand zu weisen, aber das fragwürdige Narrativ bleibt auch hier: Die (einzelnen) Leute kapieren es halt nicht, und damit sind sie letztlich verantwortlich. Die Ebene von "Gesellschaft" und deren Verantwortung für die Lage taucht kaum auf.

Wie schon Margaret Thatcher als eine der politischen Pionierinnen des Neoliberalismus gesagt haben soll: "There is no such thing as society.".

Last but not least funk-Faktor Nummer sechs: In Ostdeutschland gibt es nur wenige Konzerne und sonstige große betriebliche Organisationen. Daher seien auch weniger Betriebsärzt:innen vor Ort, wodurch diese als Bestandteil von Impf-Infrastruktur kaum eine Rolle spielten (im Unterschied zu Westdeutschland).

Auch dieses Phänomen ist treffend beobachtet, doch auch hier nicht ansatzweise soziale Reflexion: Warum ist Ostdeutschland in weiten Teilen deindustrialisiert, inwiefern wurden Polikliniken systematisch abgewickelt, weshalb gibt es kaum noch "Gemeindekrankenschwestern"?

Insgesamt erscheint dieser funk-Beitrag als typisch für viele Erklärungsversuche in reichweitenstarken und etablierten Medien: Als problematische Vermischung von oberflächlich wahrgenommenen Phänomenen, von Über-Individualisierung der Verantwortung und von Ost-West-Schieflagen. Von Eigentums- und Machtverhältnissen nicht zu reden.