Folgen des Klimawandels: Hochwasserschäden werden häufiger und teurer
Immer häufiger kommt es zu sintflutartigen Regenfällen in Europa. Ganze Städte stehen unter Wasser. Wie können wir uns schützen?
Die Lage an der Oder in Brandenburg entspannt sich wieder: Allmählich sinken die Pegel. Vielerorts sind am Aufräumarbeiten im Gange. In Frankfurt (Oder) wurde die Alarmstufe von Drei auf Zwei heruntergestuft. Der Hochwasserscheitel der Oder hatte am Sonntagnachmittag den Pegel Hohensaaten-Finow südlich von Schwedt (Uckermark) passiert.
Vor wenigen Tagen befand sich der Scheitelpunkt des Hochwassers auf Höhe des Oderbruchs. Laut Umweltminister Axel Vogel (Grüne) konnte das Wasser in die Mündung der Warthe abfließen, ein Zufluss der Oder. Die Warthe mit ihren ausgedehnten Überschwemmungsflächen könne viel Wasser aufnehmen, erklärte der brandenburgische Umweltminister.
Künftig müssten einige Flüsse für den Hochwasserschutz stärker in den Blick genommen werden – etwa die Schwarze Elster, die Spree und die Neiße. Man müsse noch zusätzliche Polder anlegen. Der Minister begrüßt daher die Forderung der Bundesumweltministerin nach ausgewiesenen Überschwemmungsgebieten mit komplettem Bauverbot.
Hochwasserpolder im Nationalpark Unteres Odertal geflutet
Damit sich der Fluss auf das große Auengebiet ausdehnen kann, leitete das Landesumweltamt die Flutung von Hochwasserpolder bei Schwedt ein. Es werde eine landwirtschaftliche Fläche von rund 3.700 Hektar überschwemmt, hieß es. Die Flutung entlaste die Deiche und tiefer liegende Grundstücke.
Allerdings mussten Landwirte vorher ihre Tiere und Heu aus dem Gebiet herausbringen. Tiere und Pflanzen im Nationalpark hingegen hätten Strategien entwickelt, sich dem Wasser anzupassen. Zugvögel wie Gänse könnten dort noch mühelos rasten. Auch einige Baumarten kommen mit Überschwemmung zurecht: So können Weiden bis zu 200 Tagen im Wasser stehen.
Lesen Sie auch
Überflutungen in Valencia: Wie eine größere Katastrophe verhindert werden kann
Zu spät und zu wenig: Flutopfer in Spanien greifen Politiker an
Starkregen-Risiko: Was Kommunen und Bürger jetzt tun müssen
Hochwasser-Wahlkampf in Österreich: Wer punktet, wer säuft ab?
Hochwasserschäden: Wer soll das noch bezahlen?
Seit einigen Jahren werden Flüsse bundesweit renaturiert, allerdings geht es mit der Renaturierung nur langsam voran. Das Ziel der Nationalen Biodiversitätsstrategie – zehn Prozent der ursprünglichen Flussauen wieder zu vernässen – funktioniert nur, wenn Landwirte und Landbesitzer mitziehen.
In den Deichen wurden Hunderte Biber getötet
In der letzten Septemberwoche in mehreren Landkreisen per Sonderverordnung mehr als hundert Biber getötet. Angaben des Kreises Märkisch-Oderland zufolge wurden immer wieder Schadstellen in den Deichen entdeckt, die von den Bibern verursacht wurden. Damit wurde der derzeitige Biberbestand um drei Prozent reduziert.
Laut Umweltministerium lag im Februar die Zahl der Biber in Brandenburg bei rund 3.700 Tieren und habe sich damit auf dem Bestand der beiden Vorjahre bewegt. In Europa zählen Biber normalerweise zu den streng geschützten Arten.
Neues Gesetz soll Hochwasserschutz modernisieren
Vor dem Hintergrund stets neuer Hochwasserereignisse fordert Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) nun einen "moderneren Hochwasserschutz, der sich an die veränderten Klimabedingungen anpasst". Mit dem Gesetz soll etwa das Bauen von Deichen und Dämmen beschleunigt werden, indem die Vergabe von Aufträgen erleichtert wird.
Die neuen Brücken sollen mehr Abstand zur Wasseroberfläche haben als bisher. Beim Bau sollen für Hochwasser angepasste Materialien verwendet werden. Gegen Starkregen sollen Städte und Gemeinden künftig selbst vorsorgen und eigene Konzepte erarbeiten.
Es soll ihnen ermöglicht werden, in Überschwemmungsgebieten "spezielle Gefahrengebiete" auszuweisen, in denen wirklich ein Bauverbot komplett umgesetzt werde, damit nicht weitere Schäden entstünden. Gemeint ist der Bau von neuen Gebäuden, schon bestehende seien davon nicht betroffen.
Nicht jede Kommune werde eine Gesetzesänderung benötigen, erklärte die Umweltministerin im ARD-Interview. Es gebe im Moment zu viele Ausnahmen. Deshalb werde die Neuregelung für manche betroffenen Kommunen "sehr hilfreich" sein.
Eigentümer müssen Maßnahmen zustimmen
Private Grundstückseigentümer, deren Flächen in betroffenen Gebieten liegen, behindern immer wieder Maßnahmen zum Hochwasserschutz, kritisiert der Städte- und Gemeindebund. Der Gesetzgeber müsste Eigentümer gesetzlich verpflichten, ihre Grundstücke zu tauschen, fordert der Städte- und Gemeindebund.
Alternativ könnte der Bund klare Regeln aufstellen, wann Eigentümer solche Maßnahmen dulden müssen. Umweltministerin Lemke will den Kommunen mehr Möglichkeiten geben, Hindernisse vor Ort zu beseitigen – ohne Zwang oder Enteignung.
Planungs- und Genehmigungsverfahren dauern zu lange
Viele Verfahren, die in der Planung seien, benötigen teilweise Jahrzehnte, um genehmigt zu werden, klagt Holger Schüttrumpf von der RWTH Aachen. Der Hochwasserexperte sieht Lemkes Gesetzentwurf als Schritt in die richtige Richtung. Doch bis das Gesetz in der Praxis erprobt werden kann, wird es noch dauern. Zunächst müssen es die anderen Ministerien, vorwiegend die Koalitionspartner FDP und SPD, in der Ressortabstimmung absegnen.
Nicht Teil des Gesetzes ist eine verpflichtende Elementarschadenversicherung, die in den vergangenen Monaten intensiv diskutiert wurde. Unterdessen werden die Hochwasserkatastrophen für Hausbesitzer immer teurer: Die Versicherungsprämien werden sich voraussichtlich verdoppeln. Derzeit sind rund nur 50 Prozent der Gebäude überhaupt mit Elementarschutz versichert.
Neue Studie ermittelt Auswirkungen des Sturmtiefs in Europa
Die Monate Juni, Juli und August dieses Jahres waren im globalen Durchschnitt so warm wie nie seit Beginn der Wetteraufzeichnung, schrieb der EU-Klimawandeldienst Copernicus noch Anfang September.
Wenige Tage später verursachte das Sturmtief Boris sintflutartige Regenfälle. Ganze Städte in Mitteleuropa wurden überflutet: Ob in Deutschland, Polen, Tschechien, Slowakei, Österreich, Ungarn, Rumänien – überall stiegen die Flusspegel, standen Straßen und Städte unter Wasser.
Rund zwei Millionen Menschen waren direkt von den Überschwemmungen betroffen. Über vier Tage hinweg kam es zu starken lokalen Regenfällen, die nationale Niederschlagsrekorde brachen. Besonders hart traf es die Städte in der polnisch-tschechischen Grenzregion sowie in Österreich.
In allen Ländern kam es zu Stromausfällen, zur Schließung von Schulen, Fabriken und Krankenhäusern. Tausende mussten ihre Häuser verlassen. Mehrere Personen wurden vermisst. Zu diesem Schluss kamen Wissenschaftler aus sieben europäischen Ländern sowie den USA, die in einer aktuellen Studie im Rahmen von World Weather Attribution (WWA) die Auswirkungen des Sturmtiefs Boris über Europa untersuchten.
Angesichts des Ausmaßes der Schäden des Sturmtiefs sagte die Europäische Union zehn Milliarden Euro den von den extremen Überschwemmungen betroffenen Mitgliedsländern zu.
"Europa erwärmt sich schneller als der Rest der Welt"
Der vom Menschen verursachte Klimawandel, der die Erde seit der vorindustriellen Ära bereits um 1,3 Grad Celsius erwärmt hat, verdoppelt die Wahrscheinlichkeit für Extremwetterereignisse und führt dazu, dass die Regenfälle um sieben Prozent stärker werden, lautet ein weiteres Ergebnis der WWA-Forscher. Wobei die Zunahme der Niederschläge nur vorsichtig geschätzt ist, könnte sie auch höher ausfallen.
Die Überschwemmungen von 1997 und 2002 in Mitteleuropa wurden als einmalige Ereignisse in einem Jahrhundert beschrieben. Zwei Jahrzehnte später jedoch habe sich die globale Erwärmung von 0,5 auf 1,3 Grad Celsius erhöht, sodass sie wieder aufgetreten sind, erklärt der polnische Klimatologe Bogdan H. Chojnicki, Mitglied der WWA-Forschungsgruppe.
So war in diesem außergewöhnlich warmen Sommer das Mittelmeer so warm wie nie zuvor, wobei entsprechend viel Wasser verdunstete. Weil die Luft über dem Meer sich intensiv erwärmte, nahm sie mehr Feuchtigkeit auf als sonst. Die warmen feuchten Luftmassen aus Südeuropa trafen auf kalte Polarluft, die über die Alpen zog. Dieser Kontrast zwischen kalter und warmfeuchter Luft führte zu Sturm und extremen Regenfällen über Mitteleuropa.
Bessere Frühwarnsysteme retteten Menschenleben
Schätzungen zufolge kamen 24 Menschen im zurückliegenden Sturm zu Tode. Im Jahr 2002 hingegen, als Deutschland, Österreich, die Tschechische Republik, Rumänien, die Slowakei und Ungarn vom Hochwasser betroffen waren, ließen 232 Menschen ihr Leben. 2021 waren es in Westeuropa insgesamt mehr als 200 Menschen.
Weniger Todesopfer als früher – dies sei ein Erfolg der umfangreichen Investitionen in Vorhersagen und Frühwarnsysteme in den vergangenen Jahrzehnten, erklärten die Wissenschaftler. In ganz Europa wurden Notfallmanagementsysteme ausgebaut, die Bevölkerung gewarnt. Zudem wurden Stauseen präventiv geleert und Hochwasserschutzmauern errichtet.
Lesen Sie auch
KI-Modelle können extrem genaue Flutwarnungen liefern
Die Länder müssen sich auf noch nie dagewesene Überschwemmungen einstellen und den Klimawandel in die Flächennutzungsplanung integrieren, fordert Maja Vahlberg, Mitautorin und technische Beraterin des Klimazentrums des Roten Kreuzes.
Die Bebauung in überschwemmungsgefährdeten Gebieten müsse reduziert und großflächige Überschwemmungsgebiete müssen geschaffen sowie weitere Warnsysteme aufgebaut werden.
Klimawandel als existenzielle Bedrohung
Erwärmt sich die Erde bis in die 2050er Jahre um zwei Grad über dem vorindustriellen Niveau, werden mindestens noch einmal fünf Prozent mehr Regen fallen, treten extreme Niederschläge um fünfzig Prozent häufiger auf als heute, schätzen die Wissenschaftler.
Solange Öl, Gas und Kohle nicht durch erneuerbare Energien ersetzt werden, werden Stürme wie "Boris" noch stärkere Regenfälle auslösen und zu Überschwemmungen führen, die die Wirtschaft zerstören.
Joyce Kimutai, Imperial College London
Der Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen schafft nicht nur Arbeitsplätze und senkt die Energierechnungen, sie macht die Städte auch zu gesünderen Orten zum Leben und verringert das Risiko von tödlichen Überschwemmungen, betont Klimaforscherin Friederike Otto. Vor diesem Hintergrund appellieren die Wissenschaftler dringend, den Klimawandel zu begrenzen.