Fortwährender Erklärungsnotstand

Zur Geschichte und Vorgeschichte der RAF

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Es bleibt dabei: Die bleierne Zeit ist in Deutschland neben der Nazizeit die Medienmaschine schlechthin. Immer wieder erscheinen auch Bücher, die sich um Aufklärung wenigstens bemühen. Zwei davon seien hier stellvertretend vorgestellt.

Das erste davon, "Rudi Dutschke, Andreas Baader und die RAF" erschienen in der Hamburger Edition des Instituts für Sozialforschung ist ein Kuriosum. Es enthält Beiträge von drei verschiedenen Autoren (resp. von zwei Autoren und einer Autorin), die einander in Stil und Anliegen ferner nicht sein könnten. In der Tat sind die Unterschiede so krass, dass man sich fragt, was dieses Buch programmatisch eigentlich zusammenhält.

Erfinder der Stadtguerilla in der BRD

Nach den einleitenden Worten Jan Philipp Reemtsmas zum Thema schreibt Wolfgang Kraushaar über "Rudi Dutschke und den bewaffneten Kampf". Ein historisch orientierter, klar aufgebauter Text, der anhand von neueren wie älteren Quellen zu einem eindeutigen Schluss kommt: Rudi Dutschke war nicht der sympathische Linksradikale von nebenan, ein ebenso begabter wie letztlich erfolgloser Redner und Agitator, der gegen Ende seines Lebens, milde geworden, die reformistischen Grünen mitgründete. Er müsse vielmehr als der Erfinder der Stadtguerilla in der BRD gelten.

Das kann niemand völlig überraschen, der zum Beispiel je das berühmte Interview von Dutschke mit Günter Gauss gesehen hat, in dem er mit heiserer Stimme, heiligem Ernst und vollkommen humorfrei über die Veränderung der Gesellschaft spricht. Eine gewisse Unbedingtheit strahlte er ja ohnehin aus, kaum ein Foto von ihm, das sie nicht transportiert. Aber Kraushaar muss sich nicht auf Eindrücke und Stimmungen verlassen, um seine These zu belegen. Über das sogenannte "Organisationsreferat", das Dutschke auf der Frankfurter SDS-Delegiertenkonferenz im September 1967 hielt, und die handschriftlichen Notizen aus dem Nachlass lassen sich Überlegungen Dutschkes zum bewaffneten Kampf bis zum Februar 1966 zurückverfolgen. In mindestens zwei Fällen (Februar 1968) wurden Dutschkes Ideen dergestalt praktisch, dass er Sprengstoff in der Gegend herumkutschierte, mit dem Anschläge auf Sendemasten des amerikanischen Soldatensenders AFN und auf amerikanische Kriegsschiffe verübt werden sollte. Beide Male kamen die Pläne nicht zur Ausführung, in einem Fall stammte die bereits funktionsfähige Bombe von dem Verfassungsschutzagenten Peter Urbach.

Kraushaar schließt aus dem vorliegenden Material zweierlei: Erstens ist die immer wieder gern gehörte Theorie vom bewaffneten Kampf als Verfallsprodukt der Studentenrevolte falsch. Rudi Dutschke, der maßgebliche Kopf der Revolte, dachte nicht nur an den bewaffneten Kampf, bevor die Revolte eigentlich begann, sondern war kurz vor ihrem Höhepunkt dazu bereit, seine Überlegungen selbst in die Praxis umzusetzen. Zweitens, und das gehört mit zum widersprüchlichen Bild, das Kraushaar zeichnet, war Dutschke als Erfinder der Stadtguerilla-Strategie ein entschiedener Gegner der Form, in der die RAF dann ihr eigenes Konzept Stadtguerilla formulierte und in die Katastrophe führte.

Kein Gedanke an soziale Emanzipation - "Sie wollen töten"

Es ist gut belegt, dass er nicht nur einzelne Aktionen der RAF und der Bewegung 2. Juni ablehnte (wie z.B. die Erschießung des Berliner Kammergerichtspräsidenten Günter von Drenkmanns), sondern die beiden Hauptgruppen des bewaffneten Kampfs als solche und ihre gesamte Praxis. Versuche von Ulrike Meinhof, ihn noch aus dem Untergrund für die RAF zu rekrutieren, wies er laut Aussage seiner Witwe empört zurück.

Diese individuellen Terroristen ... denken nicht an soziale Emanzipation, die denken nicht an eine Befreiung des Volkes. Sie wollen töten.

In mindestens einem anderen Punkt unterschied er sich genau so deutlich von den bewaffneten Antiimperialisten à la Baader & Meinhof: die Existenzberechtigung Israels stand für ihn nie zur Disposition.

Wer sich nach der ebenso kritischen wie trennscharfen Untersuchung Kraushaars auf die weiteren Texte freut, wird dann von Karin Wieland herbe enttäuscht. Übergangslos stürzt sich ihr Text "a." auf das Leben von Andreas Baader und macht daraus ein Histörchen, wie man es schon oft gehört hat. Baader, der verzogene und gewalttätige Jugendliche, der sich, in Berlin gestrandet, erst als gelangweilter Dandy definiert und dann, nach dem Zusammentreffen mit Gudrun Ensslin eine neue Identität als Terrorist zusammenbastelt, die RAF als Vehikel seines tödlichen Narzissmus benutzend.

Andreas und seine kleine Horrorshow

Der Text wäre als literarische Erzählung bloß langweilig, weil er Hunderte von Vorgängern desselben Zuschnitts hat, historisch-politologisch gesehen ist er ein Totalausfall. Die Konzentration auf eine Personenkritik Baaders, auf tatsächliche oder angenommene Persönlichkeitsstörungen der Kern-RAFler, das depperte Nacherzählen von Vorlieben für bestimmte Schusswaffen, Autos und dumme Sprüche lässt den Text an keiner Stelle über ein müdes Pastiche hinauskommen. So viel wird in diesem Text nicht gesagt, dass man ihn als Schattenwerfer bezeichnen könnte - das Bänkellied vom Andreas und seiner kleinen Horrorshow lässt durch läppische Taschenspielertricks alles verschwinden, was tatsächlich der Betrachtung wert wäre.

Mit dem politischen Anspruch der RAF verschwindet praktischerweise der gesellschaftliche Kontext, in dem sie agierte, Karin Wieland braucht ihn ja auch bloß als Staffage für ihren Sex & Crime-Einakter (was in seltsamer Weise den Vorwurf auf sie selbst zurückfallen lässt, den sie den RAFlern macht). Wie ein zarter Hauch im Hintergrund erscheint die BRD jener Zeit als ein sozialdemokratisches Musterländle, an dem eigentlich nichts zu bedauern war als die Verhaltensgestörten der RAF, die den sauberen Modernisierungsprozess der Republik mit ihren Mordkampagnen belasteten. Der Vietnamkrieg, der doch immerhin an sich, für die bundesrepublikanische Realität dieser Zeit und zumindest als Vorwand für die Aktivitäten der RAF ernst zu nehmen ist, wird nicht einmal benannt.

Wenn es nach Karin Wieland geht, dann ist die RAF nichts weiter als ein Synonym für Andreas Baader und seine Neurosen gewesen; wäre das irgendwie zu machen, hätte sie ihn wahrscheinlich auch noch für die Brigate Rosse, die CCC, die Action Directe und jede andere linksradikale Terrorgruppe verantwortlich gemacht, die einem nur einfallen kann. Kein Wort zur Wahnhaftigkeit der RAF-Texte und Anschlagserklärungen, die die geistige Verstrahlung ihrer Verfasser deutlicher macht als jede laienpsychologische Ferndiagnose. Es ist ja sehr gut möglich, dass Andreas Baader ein Schwein war, nur spielt es für die Bewertung und Erklärung der RAF kaum eine Rolle.

Stadtguerilla in Deutschland eine objektive Dummheit

Die Stadtguerilla in Deutschland war eine objektive Dummheit, gleichgültig, von wem sie begangen wurde, und zwar vor allem deswegen, weil die revolutionären Potenziale, die sie sich einbildete, nicht existierten, ergo der Konflikt, den sie inszenierte, keine politisch-gesellschaftliche Wirklichkeit hatte, und der Wunsch, diese Wirklichkeit zu erzwingen, nirgendwo enden konnte, als in der totalen politischen, moralischen und militärischen Niederlage. Wenn die Rede von Rudi Dutschke als dem Revolutionär ohne Revolution zutrifft, dann bestand die RAF aus Stadtguerilleros ohne Krieg. Das macht ihre Lächerlichkeit aus, und dass sie ihrem lächerlichen Konstrukt Menschenleben zu opfern bereit waren, ihren grausigen Wahn. Das Volk, dem die RAF angeblich diente, wollte nichts von ihr wissen, wollte ihre Mitglieder hängen sehen; dass das so kommen würde, hätten sie wissen können, bevor sie ihre erste Bombe legten.

Man könnte dieses Gemisch aus Selbstüberschätzung, falscher Analyse, Grausamkeit und typisch deutscher Verbohrtheit nüchtern anhand der Texte und Taten der RAF analysieren - Karin Wieland aber personalisiert die Vorgänge fröhlich auf Andreas Baader hin, ohne Interesse an der Struktur des Konflikts und ohne Gespür für die seltsame negative Faszination, die ihr Text überall ausdrückt. Am Ende bleibt wenig übrig als gouvernantenhafte Vorwürfe an die Adresse des "Dandys" Andreas Baader, der nicht nur ein Mordbube war, sondern auch noch gern Seidenhemden trug, schnelle Autos fuhr und Oma Erna ihr klein Häuschen in Unordnung hinterließ, nachdem er darin gehaust hatte. Die Autorin hat nach Auskunft des Klappentextes also "Politische Theorie und Ideengeschichte" studiert. Dafür betätigt sie sich in ihrem Text "a." viel zu gern als Hobbypsychologin.

Auf einem ganz anderen Niveau fliegt dann zunächst Jan Philipp Reemtsma ein. Ausgangspunkt für seine Überlegungen (die wiederum mit denen von Kraushaar und Wieland wenig zu tun haben), sind die Verständigungen des Psychoanalytikers Horst Eberhard Richter mit dem ehemaligen RAF-Mitglied Birgit Hogefeld (immer noch in Haft), die auch in Buchform vorliegen.

"Die waren halt verrückt"

Im Kern wirft er der ehemaligen Terroristin und dem Psychologen vor, einander gegenseitig auf den Leim gegangen zu sein. Richter nobilitiere Hogefeld durch sein pausenloses Gestochere nach "Gründen", wo doch eigentlich nur individueller Wahn sei, Hogefeld erweise sich im Austausch für die Aufwertung durch den berühmten Gesprächspartner als gelehrige Schülerin, die sogar Diagnosen wie "paranoide Position" übersieht, wenn dafür nur einige ihrer Gründe ernst genommen werden. Reemtsma kann plausibel machen, dass hier eine Tendenz zum psychologischen Herumgründeln und zum Gefühlskitsch nüchterne Bestandsaufnahmen verhindert und dadurch falsche Selbstbilder stützt, das Verhältnis Richter-Hogefeld macht er als destruktive Symbiose kenntlich. Auch sein Hinweis, bei den RAF-Aktionen könne es sich nicht, wie oftmals behauptet, um die Kompensation von vorausgegangenen Ohnmachtserfahrungen, sondern nur um genuine Machterfahrungen gehandelt haben, ist wichtig, weil er den RAF-Akteuren ein Stück Unschuld nimmt, an das nicht einmal sie selbst eigentlich geglaubt haben.

Und dann geht er in dieselbe Psychologisierungsfalle wie seine Mitautorin Wieland. Indem er den Wahn der RAF rein auf den persönlichen Wahn ihrer Mitglieder reduziert, indem er die Geschichte der RAF eigentlich als Krankengeschichte ihrer Mitglieder behandelt, landet er schließlich bei ähnlich einfachen Mustern, wie er sie als Ergebnis des identitären Konstruktionen bei den RAF-Mitgliedern ausmacht. Es ist natürlich bei Reemtsma alles ein wenig komplizierter als bei Karin Wieland. Der individuelle Wahn der RAFler ist dann doch um fünf Ecken gesellschaftlich vermittelt, das krankhafte Haschen nach Distiktionsgewinn um den Preis des Todes erklärt sich für ihn teilweise aus gesellschaftlichen Prädispositionen. So endogen ist das alles also doch nicht. Reemtsma mobilisiert Luhmann, Arendt und Haffner, um sich abzusichern; Adorno hätte sich auch noch gut in der Reihe der Gewährsleute gemacht, die entsprechenden Textstellen wären ja zu finden gewesen. Auch gibt es hier und da eine intelligente Provokation, um linke Beißreflexe abzurufen. Aber letztendlich ist das Ergebnis des Textes im Verhältnis zum methodischen Aufwand, den er betreibt, doch denkbar dürftig. "Die waren halt verrückt" - so einfach kann man es sich natürlich auch machen, aber dass jemand wie Reemtsma es sich so einfach macht, ist schon erstaunlich.

Wenn man dem ganzen Buch wohl will, könnte man ihm unterstellen, dass es Mythen beseitigen will. Aber wenn zwei von drei Autoren in einem offensichtlich eilig zusammengewürfelten Band diesen Anspruch nicht einlösen, darf das Unternehmen als gescheitert gelten.

Doppelexistenz

Ganz im Unterschied zu "Doppelt leben - Bernward Vesper und Gudrun Ensslin, Die Tübinger Jahre" von Michael Kapellen. Eigentlich wäre gerade dieses Buch kein Beispiel für die RAF-Medienmaschine, denn es misst sich selbst überhaupt kein Urteil über die Geschichte der RAF zu - das ist einfach nicht sein Thema. Aber andererseits taucht darin Gudrun Ensslin in ihrer vorterroristischen Phase auf und zudem hat der Verlag natürlich nicht davon absehen können, das Buch in den RAF-Zusammenhang einzuordnen, den es von sich aus überhaupt nicht beansprucht. Was es am deutlichsten mit "Rudi Dutschke und der bewaffnete Kampf" verbindet, ist der Versuch der psychologischen Annäherung an eine Person aus dem RAF-Umkreis; freilich ist das Verfahren ein völlig anderes, und die Ergebnisse sind weitaus valider.

Dass Bernward Vesper der früh gescheiterte Sohn des Nazi-Barden Will Vesper eine solch umfangreiche Monographie wie die Kapellens überhaupt verdient, kommt daher, dass er bei all seinen Widersprüchen ein Autor von Rang war. Hauptsächlich ist das belegt durch seinen einzigen Roman "Die Reise", der posthum 1977 erschien.

Seine Versuche, zuerst mit Freunden, dann vor allem mit Gudrun Ensslin in den Jahren 1962 - 1964 in Tübingen eine bedeutsame literarisch-editorisch-politische Tätigkeit zu entfalten, sind nicht nur in ihrer teilweise manischen Richtungslosigkeit interessant und provozierend, sondern bieten auch einen Blick auf die Stil- und Wirkungsgeschichte solcher Unternehmungen in dieser Zeit überhaupt. Die fakten- und quellenreiche Untersuchung Kapellens stellt Vesper als einen von Widersprüchen zerrissenen Menschen dar, der lebenslang aus dem Schatten seines übermächtigen Nazi-Vaters nicht herauskam. In dem Versuch, linke politische Neigungen und rechtes Herkommen, moderne und vorvorgestrige ästhetische Standpunkte, Liebesverlangen und Beziehungsunfähigkeit unter einen Hut zu bringen, lebte Vesper laut Kapellen gewissermaßen doppelt, schuf sich eine Doppelexistenz, die er über ganze Phasen seines Lebens hinweg fast spielerisch zu betreiben und zu genießen schien, die ihn aber in all ihrer unaufgelösten und schließlich unerträglichen Widersprüchlichkeit 1970 in die Psychiatrie brachte und 1971 schließlich in den Selbstmord trieb.

Verschiedene Hausnummern

Das mit einem hohen Rechercheaufwand geschriebene Buch beschreibt eindringlich, wie Vesper versuchte, den wegen seiner Nazi-Vergangenheit diskreditierten Vater zu rehabilitieren, indem er eine Edition des Gesamtwerks betrieb, wobei letztlich nur ein einziger Band der literarisch harmlosen, aber politisch hochtoxischen Schriften Will Vespers erschien. Kapellen macht anhand unzähliger Details klar, wie weit die Identifikation Vespers mit seinem Vater ging. In einem unheimlichen, von Kapellen zitierten Bericht beschreibt Vesper, wie er seinem Vater auf dem Totenbett den Namen seiner neuen Freundin Gudrun (Ensslin) ins Ohr flüstert. Für Kapellen ist die Intention dieses theatralischen Akts völlig klar: Vesper habe seinem Vater, dem Verfasser einer neuhochdeutschen Version der Gudrun-Sage (1922), ein letztes Mal eine Freude machen, ein letztes Mal Treue und Verbundenheit demonstrieren wollen. Bei den Versuchen, die Werke des Vaters in der bundesrepublikanischen Literaturwelt der frühen Sechziger wieder hoffähig zu machen, bediente sich Vesper ausgefeilter Publizitäts- und Bündnisstrategien.

So versuchte er zum Beispiel ständig, den Vater anhand dessen Kontakten zu dem als links geltenden Lyriker René Schickele reinzuwaschen. Gleichzeitig betrieb er den Aufbau eines eigenen Verlags, und begann, eigene Texte zu verfassen, beides Unternehmungen, die ganz klar der ästhetischen Moderne verpflichtet und politisch eher links angesiedelt waren. Für keine Mimikry, für keinen Schachzug war sich der "Stimmenimitator" (Kapellen) zu schade. Wenn ihm das aus Gründen der Tarnung opportun schien, betrieb er unter verschiedenen Identitäten parallele Korrespondenzen mit den gleichen, nichtsahnenden Gesprächspartnern. Die Verbindungen seines Vaters zu den ehemaligen "Literaturkameraden" aus der braunen Zeit wollte er ganz selbstverständlich zur Verbreitung seiner hochfliegenden Editionspläne benutzen, die ästhetisch und politisch eine andere Hausnummer hatten. Ohne jeden Skrupel verschickte er den ersten Band des väterlichen Gesamtwerks auch an jüdische Organisationen, in der vollen Absicht, einen Skandal zu provozieren, der ein wenig Aufmerksamkeit für das Buch generieren sollte. Gudrun Ensslin machte bei all dem als Handlangerin und Verlagssekretärin gerne mit, buckelte für ihren Geliebten an der Schreibmaschine, verfasste oder verschickte Zirkularschreiben, die Appelle an das "nationale Deutschland" enthielten, den großen Dichter Will Vesper nicht zu vergessen.

Bernward Vesper also eine verkrachte Gestalt mit gespaltenem Bewusstsein, die eigentlich keine weitere Erwähnung verdient? Michael Kapellen weiß zu verdeutlichen, dass das eine voreilige und uninformierte Sicht der Dinge wäre. Dass bei all den wirren Manövern Vespers letztendlich doch ein literarisches Werk entstand, das über den braunen Quark des Vaters weit hinausreichte, ist für Kapellen offensichtlich, dass diese wirren Manöver dadurch nicht entschuldigt werden, ebenso. Und darin liegt ja auch die Stärke von Kapellens Zugriff: Er hält genug kritischen Abstand zu seinen Themen und Personen, sabotiert aber gleichzeitig seine eigene Beschreibungsarbeit nicht durch die dauernde Abwertung des Beschriebenen. Sein Text misst sich weniger zu und erreicht viel mehr als "a." von Karin Wieland und "Was heißt, 'die Geschichte der RAF verstehen?'" von Jan Philipp Reemtsma; er erreicht die Beschreibung einer Person der literarischen und politischen Zeitgeschichte in ihrem Umfeld. Und das ist offenbar viel mehr, als man von den meisten Büchern aus der RAF-Medienmaschine erwarten kann.