Frankreich: Wenig Zugkraft für Flüchtlinge

Für das laufende Jahr werden im Nachbarland 33.000 Asylanträge gezählt. Update: Unterschiede der Regelungen für Asylbewerber in Deutschland und Frankreich

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Die Grenzkontrollen werden "mindestens einige Wochen" dauern, gab Bayerns Innenminister Herrmann heute Morgen Bescheid. Die Entscheidung der Bundesregierung (Die Bundesregierung führt an bayerischen Binnengrenzen wieder Kontrollen ein) war schon gestern Abend Topmeldung in den französischen Medien.

Tendenziell wird Verständnis dafür gezeigt, dass Berlin so den Druck auf andere EU-Länder erhöht, mehr Flüchtlinge aufzunehmen. Allerdings fehlen auch nicht die Spitzen gegen den deutschen Taktgeber in Europa, der sich Flüchtlingen gegenüber erst großherzig zeigte und dann, nach eigenen Maßgaben, die Ventile wieder zuklappt. Nach Ansicht einiger Kommentatoren ist Merkel dabei, dem Schengener Abkommen "den Garaus zu machen".

Geht es um Asylsuchende in Frankreich, kommt ein interessantes Phänomen ins Spiel. Schon am Samstag, als in München über zehntausend Flüchtlinge ankamen, berichtete Le Monde, dass der Generalsekretär des für Asylsuchende zuständigen Amtes für den Schutz von Flüchtlingen und Staatenlosen (OFPRA) während einer Woche in München gerade mal "knapp 500 Syrer oder Iraker" davon überzeugen konnte, Asyl in Frankreich zu suchen.

Die Überschrift des Artikels lautet "Die Migranten, die nicht von Frankreich träumen". Sie deutet ein Motiv an, das von Kommentaren zum Artikel auch aufgenommen wird. Dass Frankreich auf die gegenwärtigen Asylsuchenden nicht gerade magnetisch wirkt, wird auch als Reaktion auf die Einbuße dessen verstanden, worauf man als Attraktion des Landes so stolz war: die Lebensqualität in Frankreich.

Préfecture du Morbihan à Vannes; Bild: Fab5669/CC BY-SA 3.0

Heute legte die Zeitung Zahlen nach: Ihr zufolge sind die Asylgesuche 2014 in der Europäischen Union um 44 Prozent gestiegen, in Deutschland um 60 Prozent, in Schweden um 50 Prozent, während man in Frankreich einen Rückgang von 2,4 Prozent verzeichnete - allerdings auf höherem Niveau als in den meisten anderen EU-Ländern. Nach den vorläufigen Daten wurden in diesem Jahr 33.000 Asylgesuche registriert - so viel wie 2014, berichtet die Zeitung.

Auch der Staatspräsident sah sich bei einem Besuch von Asylsuchenden in einem Auffanglager im Großraum Paris am Wochenende keiner großen Menge gegenüber - einer Hundertschaft, wie Europe1 berichtet. Eine Realität, die in Kontrast steht zu den alarmierenden Kommentaren Marine Le Pens in den vergangenen Tagen.

Erklärt wird der schwache Pullfaktor Frankreichs zum einen damit, dass die Asylbewerber aus Syrien oder auch aus dem Irak lieber nach Deutschland wollen, weil sie dort schon Bekannte oder Verwandte haben. Zum anderen auch mit der starken Wirtschaft in Deutschland, die aus demografischen Gründen junge Arbeitskräfte benötige - und zuletzt auch mit den Sozialleistungen in Deutschland, die für Asylbewerber bekanntlich attraktiver sind.

Dazu kommt, dass in Frankreich sehr viele Asylgesuche abgelehnt werden. 2013 wurden beispielsweise nur 17 Prozent im ersten Anlauf positiv beschieden. Auch zieht sich die Genehmigungsprozedur lange hin, manchmal zwei Jahre lang oder noch länger, ohne dass ein Unterbringung gestellt werde. Das sei unter Asylsuchenden bekannt, zitiert die Zeitung den französischen UNHCR-Repräsentanten.

Die Unterschiede bei Asylgesuchen zwischen Frankreich und Deutschland

Neben den Unterschieden in der geographischen Lage - Frankreich ist Asylbewerbern aus Afrika näher , während für Asylsuchende, die vom Balkan kommen, Deutschland die naheliegendere Station ist - und historischen Gründen, gibt es auch administrative Unterschiede, die Deutschland für Asylsuchende attraktiver machen als das Nachbarland.

Um es auf die wesentliche Punkte zu beschränken: Asylsuchende haben in Frankreich mit längeren Wartezeiten zu rechnen, die Wahrscheinlichkeit, dass ihr Asylantrag abgelehnt wird, ist statistisch weitaus höher, es gibt weniger Unterbringungsmöglichkeiten, die vom Staat gestellt werden, und die Asylsuchenden müssen auch weitaus geduldiger sein, wenn es um einen Job geht.

In Deutschland betrug die Bearbeitungsdauer eines Asylantrags 2014 durchschnittlich 7,1 Monate. In Frankreich dauert dies derzeit ungefähr zwei Jahre.

Innenminister Cazeneuve will ebenfalls auf eine neunmonatige Bearbeitungszeit kommen, weswegen Ende Juli ein neues Asylgesetz zur Beschleunigung der Verfahren in Kraft trat.

Geht es nach den Anerkennungsraten für Asylanträge im Jahr 2014, wie sie Eurostat ermittelt, so zeigt sich, dass die Anerkennungsrate im vergangenen Jahr in Frankreich in erster Instanz bei 22 Prozent lag (bei 68.500 Anträgen). In Deutschland lag sie demgegenüber bei 42 Prozent (bei 97. 275 Anträge).

Die Unterschiede bei den finanziellen Leistungen sind nicht einfach aufzulisten, da beide Länder die Zuweisungen staffeln. Zunächst wird grundsätzlich zwischen Asylbewerbern unterschieden, die für sie bereit gestellten Unterkünften wohnen, und solchen, die in Ausweichquartieren, in Pensionen oder privat wohnen. Wobei auch hier Geld für die Unterkunft von der finanziellen Zuwendung abgezogen wird - nach nicht verallgemeinerbaren Tarifen. Darüber hinaus werden für Familien-oder Haushaltsmitglieder jeweils unterschiedliche Summen von den beiden Staaten zur Verfügung gestellt. Nachzulesen sind die Leistungen jeweils in den entsprechenden Gesetzen (Deutschland oder - kurz zusammengefasst, auf Deutsch: Frankreich).

Eine Einzelperson erhält demnach in Frankreich 11, 45 Euro am Tag und monatlich 343,50 Euro, wenn sie nicht in einem staatlichen Aufnahmezentrum untergebracht wird. Ist dies der Fall, dann beläuft sich die Beihilfe, abhängig von der Familiensituation zwischen monatlich 91 und 718 Euro bei einer sechsköpfigen Familie.

Für Deutschland wird für alleinstehende erwachsene Asylbewerber einen Anspruch auf Leistungen zwischen 287 und 359 Euro pro Monat berichtet, was in etwa mit den französischen Leistungen vergleichbar ist. Allerdings wird als Bargeldkomponente in diesem Fall nur 146 Euro angegeben. Gemäß der Sätze für andere Haushaltsmitglieder werden die 718 Euro, die in Frankreich für eine sechsköpfige Familie gezahlt werden, auch in Deutschland gezahlt oder, je nach Alter der Kinder, auch mehr. (Unterschiede in den Leistungen nach den jeweiligen Sozialgesetzen wurden hier nicht berücksichtigt, weil die Gesetzeslange hier sehr differiert).

Markante Unterschiede gibt es beim Arbeitsmarktzugang für Asylsuchende. In Deutschland sind bekanntlich Erleichterungen in Kraft getreten, wonach für Asylsuchende mit Aufenthaltsgestattung und Personen mit Duldung schon nach den ersten drei Monaten ihres Aufenthaltsrechtes arbeiten können.

In Frankreich kann eine Arbeitserlaubnis auch nach dem neuen Gesetz nach etwa neun Monaten beantragt werden - genauer: bis über die Behörde über den Asylantrag entschieden hat. Das kann sich also auch hinauszögern. Eine Erlaubnis ist auch nicht garantiert: "Sie kann allerdings aufgrund einer regional angespannten Lage auf dem Arbeitsmarkt verweigert werden."