Frankreich ist angesichts der Terrorgefahr und von Auslandseinsätzen überfordert

Schon kurz vor dem neuen Anschlag hat Hollande den Abzug französischen Truppen aus Zentralafrika angekündet

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Es war kurz nach dem Lastwagen-Anschlag in Nizza gestern auffällig, dass plötzlich an der Grenze von Spanien nach Frankreich die paramilitärische Zivilgarden (Guardia Civil) aufzogen und quasi für die französischen Kollegen die Ausreise aus Spanien und damit die Einreise nach Frankreich kontrolliert haben. Gerade erst am Montag hatten nach der Europameisterschaft die Gendarmen ihre Köfferchen gepackt und auch die Container wieder abgebaut, die in der Grenzregion schon nach den Anschlägen in Paris bis zu den Wahlen die Bevölkerung genervt haben, die sich veräppelt vorkam. Was solche Kontrollen außer massiven Staus bewirken, erschließt sich ohnehin nicht. Es ist aber klar, dass sie Kräfte gebunden haben. Frankreich schwächelt längst und lässt nun offensichtlich Aufgaben zum Teil von Nachbarn erledigen.

Der IS hat der Lastwagen-Anschlag noch nicht für sich reklamiert. Sympathisanten drohen allerdings mit weiteren Anschlägen auf Frankreich und kündigen einmal wieder an, dass sie bald Rom erobern werden.

Dass sich massive Ermüdungserscheinungen bei den Sicherheits- und Streitkräften breitmachen, zu denen Finanzierungsprobleme kommen, ist längst kein Geheimnis mehr. Ein Ergebnis davon ist, dass Staatspräsident François Hollande schon vor dem Anschlag in Paris am gestrigen Nationalfeiertag angekündigt hat, nun werde eine der Militärinterventionen beendet. Im Oktober sollen die französischen Truppen nun aus Zentralafrika abgezogen werden.

Die Operation "Sangaris" ist die siebte Militärintervention der Franzosen in dem Land seit seiner Unabhängigkeit 1960. Sie wurde im Dezember 2013 gestartet und Frankreich war mit bis zu 2.500 Soldaten im Land. Wegen einer scheinbaren Stabilisierung wurde die Zahl aber schon vor einem Jahr auf 900 gesenkt. Dass nun ein völliger Rückzug sinnvoll ist, wird stark in Frage gestellt. Auch Mitglieder des Verteidigungsausschusses des französischen Senats hatten gewarnt, dass die Ruhe nur trügerisch sei und die 12.500 Uno-Blauhelmsoldaten die Lage nicht im Griff hätten.

Abzug der Soldaten aus dem Ausland um Sicherheitsräfte im Inland zu entlasten

Allseits wird davon ausgegangen, dass der Abzug nicht Zeichen eines militärischen Erfolgs ist, sondern "vielmehr auf die gravierende Überstrapazierung der französischen Armee" hinweise. Der frühere General Vincent Desportes meint, der Abzug geschehe nicht, weil die Probleme beseitigt seien, sondern nur weil die Soldaten an anderen Stellen benötigt würden. Er kritisierte zudem die schlechte Ausstattung der Truppen. Hollande habe den dauerhaften und tiefgreifenden Prozess der Verschlechterung zwar gestoppt, aber auf einem sehr tiefen Niveau, fügte der frühere Direktor der Kriegshochschule "Sciences Po" an.

Frankreich stürzt sich in immer neue militärische Abenteuer außerhalb seiner Grenzen, wozu auch die Einsätze in Syrien, im Irak oder in Mali gehören, und ist zusehends überfordert damit. Für Desportes ist es nicht die Lösung, die Auslandseinsätze wie in Zentralafrika nun einfach abzubrechen, vielmehr müssten die Mittel für die Truppen aufgestockt werden, meint. Vermutlich holt Hollande nun verstärkt Truppen zurück, weil er sie auch an der Heimatfront braucht, um die völlig überlasteten Gendarmen und Polizisten zu entlasten.

Denn neben der Terrorbekämpfung hatten die Franzosen gerade eine Fußball-Europameisterschaft zu sichern. Zudem sind tausende Sicherheitskräfte gerade angesichts der ständigen Anschlagsgefahr damit beschäftigt, die Tour de France zu schützen, die wie die Feierlichkeiten zum Nationalfeiertag immer neue Ziele für spektakuläre Anschläge bietet. Nicht zuletzt war die französische Polizei auch im Dauereinsatz gegen Streikende, die sich gegen die restriktive Arbeitsmarktreform wehren, die Regierungschef Valls per Dekret dem Land verordnet. Die Gewerkschaften haben klargemacht, dass dieser Kampf noch nicht ausgefochten ist.

Frankreich setzt bei der "Verteidigung Europas" auf deutsches Geld

All diese Einsätze kosten natürlich auch viel Geld, während Frankreich mit einem dauerhaft zu hohen Haushaltsdefizit zu kämpfen hat und seit Jahren deutlich gegen die Stabilitätsgrenze von 3% verstößt. Doch bei dem großen Euroland werden sogar beide Augen zugedrückt, während man zum Beispiel das kleine Portugal dafür abstrafen. Warum Extrawürste für Frankreich gebraten werden, begründete der EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker kürzlich vielsagend so: "Weil es Frankreich ist."

Trotz allem baut auch Frankreich zur Entlastung des Haushalts Personal bei der Armee ab. Dort sollen weitere 18.000 Stellen gestrichen werden, obwohl die Streitkräfte bereits um etwa ein Viertel auf 250.000 Personen reduziert wurden. Wegen leerer Kassen will das Land nun Geld von europäischen Partnern, um die militärische "Verteidigung Europas zu stärken". Hollande setzt dabei vor allem auf Deutschland. Er hält fest, "dass unsere deutschen Freunde bereit dazu sind". Das "Engagement der EU außerhalb seiner Grenzen" müsse gefördert werden, um die Sicherheit von Partnern und Nachbaren vor der Bedrohung des Terrorismus zu schützen.

Offenbar hatte Hollande schon vor dem neuen Anschlag auch das Modell Mali im Blick und nach dem neuen Anschlag wird er vermutlich verstärkt auf eine Entlastung seines Landes hinwirken. In Mali hatte sich Frankreich zur angeblichen Verteidigung Europas ab Januar 2013 eingemischt, wobei die Atominteressen des Atomstromlandes dabei eine nicht unerheblich Rolle gespielt haben (Frankreichs Uran-Interessen bringen Mali auf Kriegskurs). Auch in Mali sah es zwischenzeitlich so aus, als hätte sich die Lage wie in Zentralafrika militärisch stabilisieren lassen. Doch weit gefehlt. Inzwischen gilt die Mission für Mali (Minusma) als die gefährlichste UN-Mission weltweit.

Auch in Mali werden nun zur Entlastung Frankreichs verstärkt Blauhelmsoldaten eingesetzt. Kürzlich hat der Bundestag der Entsendung von 650 Bundeswehr-Soldaten zugestimmt. Die Bundeswehr ist in Mali schon seit drei Jahren zur Unterstützung der französischen Operation "Serval" im Einsatz und nun werden die Truppen verstärkt. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat insgesamt auf Antrag von Frankreich beschlossen, die Anzahl der "Sicherheitskräfte" um 2.500 zu erhöhen, die damit auf 15.200 Mann ansteigen. Insgesamt sollen es dann 13.300 Blauhelm-Soldaten und 1.920 Polizisten sein.