Frankreich sagt wieder nein: Le Pens Rechte scheitert mit Donnerschlägen

Französische Wahlkarte, im Hintergrund ein Wahlplakat mit Le Pen und Bardella

Bild: Igor Paszkiewicz /Shutterstock.com

Stichwahlen: Linkes Bündnis Neue Volksfront gewinnt, Macrons Unterstützer verlieren weniger als erwartet. Jetzt beginnen neue Machtkämpfe.

Der Rassemblement national, Nachfolger des Front national, stand vor dem zweiten Wahlgang an der Schwelle zur Macht. Man hielt es für möglich, dass die Partei Le Pens die absolute Mehrheit erringen könnte, 289 von 577 Sitzen. Das wäre einem politischen Erdbeben gleichgekommen. Nach dem ersten Wahlgang war die radikal rechte Partei noch vorne gelegen.

Zwei Donnerschläge

Aber das Wahlvolk, le peuple, sagte "non". Die Bürger gingen in großer Zahl zu den Urnen. Die Wahlbeteiligung von 66,6 Prozent war die höchste bei Parlamentswahlen seit 27 Jahren. Und die Wählerinnen und Wähler verteilten zwei große Donnerschläge.

Der größte: Der Gewinner der Wahl ist das Linksbündnis. Die Volksfront (Nouvelle Front populaire) aus La France Insoumise LFI, Parti Socialiste, Kommunisten und Grüne stellt die größte Fraktion im Parlament. Damit würde sie nach den Usancen auch den Posten des Ministerpräsidenten stellen.

Der zweite ist leiser, aber er kündet ebenfalls von einer krachenden Niederlage für Le Pen und ihren jungen Spitzenkandidaten Jordan Bardella: Das Bündnis Ensemble, Parteien, die Präsident Macron im Parlament unterstützen, erzielte mehr Stimmen als der Rassemblement national.

Das ist eine Überraschung. Man rechnete vielerorts eher mit einem starken Denkzettel für Macron, der sich in einer satten Niederlage seiner Unterstützer zeigen würde.

Das Ergebnis

Das Ergebnis der Stichwahlen sieht laut Innenministerium so aus:

Nouvelle Front populaire: 182 Sitze (von 577)
Ensemble : 168 Sitze
Rassemblement national : 143 Sitze
Les Républicains : 45 Sitze
Droite (kleinere rechte Parteien) 15 Sitze
Gauche (kleinere linke Parteien 13 Sitze)

Das ist ein schillerndes Prisma der gegenwärtigen politischen Landschaft Frankreichs. Schillernd, weil sich im Ergebnis mehr widerspiegelt, als der erste, schnelle Blick auf Siege und Niederlagen zeigt.

So etwa, dass die radikale Rechte deutlich hinzugewonnen hat (von 89 Sitzen im Jahr 2022 auf 143 jetzt, die der RN und mit ihm verbündete Republikaner erzielen). Der Leitartikel des konservativen Figaro gibt das in einem anschaulichen, kurzen, paradoxen Bild wieder: "Das rechte Frankreich auf Kurs nach links".

Zerreißproben warten

Die politische Landschaft ist in drei Blöcke aufgeteilt. Die absolute Sitzmehrheit für eine Regierung gibt es nur in Koalitionen. Weswegen es in den nächsten Tagen interessant wird, welche Konvergenzen und Dissonanzen sich zwischen dem Linksbündnis und dem Block der Unterstützer Macrons auftun.

Zu erwarten ist, dass es auch innerhalb der Blöcke, der neuen Volksfront und des Bündnisses Ensemble, zu Zerreißproben kommt.

Es gibt viel Stoff für hitzige Diskussionen. Die Unterstützer des Präsidenten müssen mit nun mit dem "Hauptfeind eines Demokraten" zusammenarbeiten. Mit dieser schneidenden, pamphletischen Spitze spiegelt der Publizist Bernard-Henri Lévy eine Position wider, die im Bündnis Ensemble, wenn auch mit weit zurückhaltenderen Formulierungen, präsent ist: der Widerwille, mit den "Linksextremen" in der Partei La France insoumise zusammenzuarbeiten.

Was Bernard-Henri Lévy fordert, ist die Zuspitzung dessen, was sich viele im liberalen Mittelager fantasieren mögen, aber derzeit aus taktischen Gründen öffentlich nicht laut auszusprechen wagen: "Beschwören Sie die Sozialdemokraten, ihren Pakt mit diesem offen zur Schau gestellten Antisemiten aufzukündigen."

Wen wird Präsident Macron als Ministerpräsidenten auswählen und damit beauftragen, eine Regierung zu bilden? heißt die konkrete politische Frage dazu.

Wenn es um die parlamentarische Mehrheit geht, kommt er nicht um Verhandlungen mit der politischen Kraft herum, die er im Wahlkampf als Gefahr mit Le Pens Partei gleichgesetzt hat.

"Kompromisse schließen" ist die Parole

Eine milder formulierte Sicht auf eine Situation, die die Kommentare mit "Frankreich ist unregierbar" beschreiben, stammt von Daniel Cohn-Bendit, der sie nach der ersten Wahlrunde äußerte. Sollte der Rassemblement National die absolute Mehrheit verfehlen, könne er nicht regieren, so der von Macron tief enttäuschte ehemalige grüne Europapolitiker.

Dann müssen "die vernünftigen Linken, ehemalige Macronisten, vielleicht sogar einige Konservative" miteinander reden.

Sie müssten unbelastete Persönlichkeiten finden und eine Art Minimalregierung bilden. Diese Regierung muss ein Jahr halten, denn ein Jahr lang darf das Parlament nicht mehr aufgelöst werden. Die Kräfte der Vernunft hätten also ein Jahr lang Zeit. Oder sie bleiben genauso blöd, wie sie bis jetzt sind.

Dann bricht das absolute Chaos aus. Aber ich hoffe, der Schock wirkt. Frankreich braucht endlich eine neue politische Kultur, die völlig neue politische Kräfte entstehen lassen kann.

Daniel Cohn-Bendit

Auch hier zeigt sich ein Graben zwischen "vernünftigen Linken" und den radikaleren von La France insoumise, die es allerdings waren, die gestern einen größeren Sieg feiern konnten.

Das Land ist gespalten. Jetzt wird auf die Probe gestellt, zu welchen Kompromissen das linke Bündnis und die Mitte, die sich gut gehalten hat, fähig sind.

Was die Rechten zur Kenntnis nehmen müssen

Auf der extrem rechten Seite muss man zur Kenntnis nehmen, dass das Thema Migration kein Trumpf ist, mit dem man unbedingt Wahlsiege einfährt. Mit dem Hauptthema der radikalen Rechten war keine Mehrheit zu mobilisieren.

So einfach funktioniert die Politik mit Affekten nicht. Die politischen Vorstellungen des RN machen der Mehrheit Angst. Man wolle keinen Rassismus, das war im Wahlkampf nicht zu überhören. Ob der RN das zur Kenntnis nimmt?

Die Brandmauer hat noch einmal funktioniert. Zu behaupten, das sei bloße Manipulation und Verschwörung, wie dies nun aus den Reihen des RN kommt, ist dünn. Man hat doch das Ohr an der Bevölkerung?