Französische Provider sollen Zugang zu US-Nazi-Portal sperren
Nach dem Erfolg gegen Yahoo geht eine antirassistische Organisation vor Gericht, um die widerspenstigen Provider zur Installation von Filtern zu zwingen
Mit Rückgriff oder Anspielung auf Emile Zolas bekannten Offenen Brief an den Präsidenten der Republik, in dem der Schriftsteller in der Dreyfusaffäre für den Verbannten Alfred Dreyfus eintrat, wurde von der kürzlich gegründeten Organisation Action internationale pour la justice (AIPJ) die Aktion "J'accuse" gestartet, die sich das Ziel gesetzt hat, die französischen Internetprovider dazu zu bringen, den Zugang zu dem in den USA befindlichen Nazi-Portal front14.org zu sperren. Nachdem die Provider der Forderung bislang nicht nachgekommen sind, will AIPJ nun vor Gericht ziehen.
Vorbild für die Aktion ist einerseits der Erfolg, den zwei antirassistische jüdische Organisationen vor einem französischen Gericht gegen Yahoo erzielt haben (Yahoo geht in die Knie). Das Gericht verurteilte Yahoo dazu, französischen Bürgern durch Filter den Zugang zu Auktionsseiten, auf denen Nazi-Andenken, oder zu anderen rassistischen Inhalten zu sperren (Das französische Yahoo-Urteil gilt für alle Nazi-Inhalte). Yahoo hat dagegen Widerspruch vor einem amerikanischen Gericht eingereicht, ist aber dem Urteil insofern entgegen gekommen, da das Unternehmen nun versucht, solche Gegenstände nicht mehr für Auktionen auf yahoo.fr, sondern auch auf yahoo.com zuzulassen. Präsident von AIPJ ist Marc Knobel, ein Mitarbeiter des Simon Wiesenthal Center, der wiederum auch Vizepräsident von Licra (Ligue internationale contre le racisme et l'antisémitisme) ist, die Yahoo aufgrund des Verstoßes gegen das französische Verbot, Nazi-Andenken in der Öffentlichkeit zu zeigen, angezeigt hatte. Die Welt ist auch insofern klein, als der Richter, der für die neue Klage gegen die französischen Provider zuständig ist, eben jener Jean-Jacques Gomez ist, der bereits den Yahoo-Fall bearbeitet hat.
Auf der anderen Seite liegt in der Schweiz bereits ein Präzedenzfall für die Sperrung desselben Nazi-Portals front14.org vor, auf das sich AIPJ denn auch beruft. Hier hatte im Februar die Aktion Kinder des Holocaust (AKDH) es geschafft, dass drei große Schweizer Provider für ihre Kunden den Zugang zu dieser Website gesperrt haben (Schweizer Provider sperren Zugang zu amerikanischer Website). Die Schweizer Polizei begrüßte die Aktion und befürwortete die "Selbstverantwortung" der Provider. Tatsächlich ist das Angebot von front14.org eindeutig rassistisch. Gehostet werden hier explizit Websites von rassistischen und rechten Gruppen unter dem Motto: "Online hate at its best." Viele in europäischen Ländern verbotene Websites wanderten zu diesem Provider, der seinen Sitz in Alaska hat. Die AKDH interessierte freilich ebenso wenig wie jetzt AIPJ, ob alle Websites, die bei front14.org gehostet werden, tatsächlich nicht bloß ablehnenswerte, sondern auch (nach Schweizer bzw. französischem Recht) verbotene Inhalte haben. "Die meisten Internetbenutzer in der Schweiz", so die Erfolgsmeldung der AKDH, "können nun 754 braune Sites nicht mehr öffnen." Nach der Erfolgsmeldung der Schweizer hat auch in Deutschland der Zentralrat der Juden angekündigt, gegen die Provider vorzugehen, die einen Zugang zu Hass-Seiten im Ausland ermöglichen (Zentralrat der Juden will gegen Provider vorgehen).
Immerhin muss nun erst einmal vor Gericht in Frankreich entscheiden werden, ob die Provider aufgrund der rechtlichen Lage - und nicht in vorgreifender Zensur - den Zugang für ihre französischen Kunden sperren müssen. Ebenso wie der Prozess gegen Yahoo dürfte auch dieser Prozess große Bedeutung für die Umsetzung nationalen Rechts im Internet besitzen, also ob Provider sich doch wieder für den Zugang zu fremden Inhalten im Internet zur Verantwortung ziehen lassen, deren Anbieter von der nationalen Gesetzgebung nicht belangt werden können, und ob eine undifferenzierte Totalblockade eines Servers mit in diesem Fall "braunen" Websites rechtens ist, so dass nicht jeweils einzeln begründet werden muss, warum diese oder jene Website oder gar Webseite zu sperren ist. Zur Debatte müsste auch stehen, ob die Bewegungsfreiheit der Bürger eines Rechtsraums tatsächlich dann beschränkt werden soll, wenn an den Urheber und Vertreiber verbotener (nicht nur unerwünschter) Inhalte rechtlich nicht heranzukommen ist.
Knobel begründet das Vorgehen dadurch, dass er als französischer Bürger keine Chance vor einem amerikanischem Gericht habe, wenn es um die Sperrung von Nazi-Seiten geht, da hier die Verfassung solche Äußerungen schützt. Die USA stehe aber in Gefahr, zu einem "Zentrum des Internethasses" zu werden: "Wir hoffen, dass ein französisches Gericht zu einer anderen Einstellung gegenüber dem Empfang von verbotenen, den Rassenhass fördernden Botschaften hier in Frankreich kommt und gegen die Internetprovider vorgeht, die helfen, diese Botschaften zu verbreiten."
Für die Klage gegen die 13 Provider wie France Telecom, Bouygues Telecom, LibertySurf, Noos oder AOL France hat man sich den Nazi-Webhoster front14.org herausgesucht, den die Klageschrift als "bislang beispiellose Entwicklung in der Geschichte des Internet" kennzeichnet: "Die Entstehung des ersten Multi-Service Hassportals." Angeboten werden von front14.org für Webseiten von Rassisten 10 MB Speicherplatz, Email-Accounts, Gästebücher und was sonst auch üblich ist. Bislang hätten an die 420 Gruppen aus der ganzen Welt, darunter auch aus Frankreich, hier Unterschlupf gefunden.
Die Anhörung vor dem Gericht ist für den 29. Juni festgelegt worden. Der Verband der französischen Internetprovider AFA hat erklärt, dass man zwar die Ziele der antirassistischen Organisation teile, aber dass einer Blockierung der Website technische und rechtliche Gründe entgegen stehen. Technische Gründe werden von Knobel allerdings nicht anerkannt: "Sie haben die Mittel. Wenn sie es wollen, können sie es auch." Jean-Christoph Le Toquin, Sprecher der AFA, argumentiert im wesentlichen, dass Provider nach der EU-Richtlinie für den E-Commerce für die Inhalte Dritter, die sie nur zugänglich machen, nicht verantwortlich gemacht werden können und die Kommunikation ihrer Kunden nicht abhören dürfen. Sollte eine Blockade gefordert werden, müssten die Provider alle Internetbenutzer überwachen. Man könne das damit vergleichen, dass die Post jeden Brief öffnen müsse, um sie nach verbotenen Inhalten zu überprüfen. Ähnlich wie man bei der Kinderpornographie auch nicht die Internetbenutzer allgemein verdächtige, sondern versuche, die Hersteller und Vertreiber zu verfolgen, sollte dies auch hier die Maxime sein: "Man sollte die Kriminellen angreifen, nicht die Gesellschaft allgemein."
In einer Presseerklärung der AFA heißt es, dass die Internetprovider keine Filter anbringen dürfen, wie das Eltern machen können, um den Zugang für ihre Kinder zu kontrollieren, weil die Nutzer erwachsene Menschen seien, "die das grundlegende Recht haben, ihrem freien Willen im Rahmen des freien Informationsflusses zu folgen." Provider werden mit den Betreibern von Autobahnen verglichen, die nur für das technische Funktionieren der Infrastruktur verantwortlich sind. Nur Polizei oder Zollangestellte dürfen hier den Verkehr überwachen. Auch die Provider hätten nicht die Aufgabe, die Internetbenutzer zu überwachen und ihre Bewegungsfreiheit zu beschränken: "Diese Rolle der Kontrolle haben einzig die staatlichen Behörden".
Die AFA hofft darauf, dass Abschnitt 4, Art. 12 der Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr ihren Standpunkt vor dem französischen Gericht unterstützen wird, obgleich die Richtlinie noch nicht in französisches Recht umgesetzt wurde. Bezüglich der Verantwortlichkeit der Vermittler heißt es hier:
Reine Durchleitung
(1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass im Fall eines Dienstes der Informationsgesellschaft, der darin besteht, von einem Nutzer eingegebene Informationen in einem Kommunikationsnetz zu übermitteln oder Zugang zu einem Kommunikationsnetz zu vermitteln, der Diensteanbieter nicht für die übermittelten Informationen verantwortlich ist, sofern er a) die Übermittlung nicht veranlasst,
b) den Adressaten der übermittelten Informationen nicht auswählt und
c) die übermittelten Informationen nicht auswählt oder verändert.
Allerdings wird auch festgehalten, dass die Regierungen einen Spielraum besitzen: "Dieser Artikel lässt die Möglichkeit unberührt, dass ein Gericht oder eine Verwaltungsbehörde nach den Rechtssystemen der Mitgliedstaaten vom Diensteanbieter verlangt, die Rechtsverletzung abzustellen oder zu verhindern."
Angeblich haben sich die Delegierten des "Europäische Komitees zur Verbrechensproblematik" (CDPC) während der letzten Verhandlungsrunde über das Abkommen gegen die Internetkriminalität des Europäischen Rates darauf geeinigt, auch die Verbreitung rassistischer und fremdenfeindlicher Äußerungen in den Straftatenkatalog über ein Zusatzprotokoll aufzunehmen (Cybercrime-Abkommen passiert eine der letzten Hürden). Die Frage wird nur sein, ob die USA, die an der Ausarbeitung des Abkommens beteiligt waren, tatsächlich bereit sein werden, das Zusatzprotokoll zu übernehmen und damit die im eigenen Land diesbezüglich geltende Meinungsfreiheit einzuschränken (Soll illegales Hosting ein Verbrechen werden?).