Frauenpower für die Naturwissenschaft

Die Physikerin Zohra Ben Lakhdar fordert die tunesischen Frauen auf, die Universitäten zu erobern

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Frauen haben überall auf der Welt in den Naturwissenschaften bis heute einen schweren Stand. Besonders gilt das für die arabischen Staaten, die immer noch ein konservatives Geschlechterverständnis haben. Zudem sind die Länder mit muslimischer Bevölkerungsmehrheit größtenteils wissenschaftliche Halbwüsten.

Eine mutige und erfolgreiche Frau, Inhaberin eines Lehrstuhls für Physik, berichtet in der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsjournals Science über ihr Leben. Sie will jungen Frauen Mut machen, in Männerdomänen wie die Physik einzudringen.

Zohra Ben Lakhdar mit Studenten (Bild: L'oreal-UNESCO women in science)

Frauen sind nach wie vor Mangelware in der Physik. Sie machen an den deutschen Universitäten in diesem Fachbereich gerade mal 15 Prozent der wissenschaftlichen Beschäftigten aus. Unter den Studenten ist ihre Zahl immer noch niedrig, aber stark zunehmend (Frauenanteil während des Physikstudiums). Immerhin gibt es inzwischen fast 80 Physik-Professorinnen in oder aus Deutschland, deren Erfolge zunehmend öffentlich gewürdigt werden (Einsteins Kolleginnen - Physikerinnen gestern & heute).

Frauen in Arabien

In der arabischen Welt findet das Leben der Frauen nur allzu oft im Verborgenen statt ("Wir wollen die Frauen zu einem aktiven Teil der Gesellschaft machen"). Öffentliche Auftritte von Araberinnen und Forderungen nach Emanzipation werden im Maschrek, vor allem in der Golfregion, schnell als staatsgefährdend und un-islamisch diskreditiert (Frauen ohne Kopftuch öffnen die "Türen des Bösen"). Selbst der Schulbesuch kann für saudi-arabische Mädchen lebensgefährlich sein, wie sich 2002 zeigte, als Sittenwächter nicht mit Abayas bekleidete Schülerinnen am Verlassen eines brennenden Schulgebäudes hinderten (Die toten Mädchen von Mekka).

Die Frauen leiden in der Region unter deutlichen Menschrechtsdefiziten, wie Amnesty International dieses Jahr wieder feststellte (Gulf Cooperation Council (GCC) countries: Women deserve dignity and respect)

Im Maghreb, den nordafrikanischen Staaten, stehen die Zeichen in Sachen Gleichberechtigung von Mann und Frau eher auf Veränderung. Zuletzt überraschte der marokkanische König Muhammad VI. mit einem neuen, progressiven Familienrecht (Ein mutiger Schritt des marokkanischen Königs).

Die Physikerin Zohra Ben Lakhdar

Tunesien ist ein Staat, der große Probleme mit der Informations- und Meinungsfreiheit hat. Präsident Zine el-Abidine Ben Ali regiert autokratisch und lässt sich alle paar Jahre durch Wahlen (die diese Bezeichnung nicht wirklich verdienen) erneut legitimieren. Schlagzeilen machte das Land erst kürzlich, weil dort der Weltgipfel der Informationsgesellschaft tagte (Der Gipfel tagt in einem Schwarzen Loch des Internet und Besuch unerwünscht).

Als Zohra Ben Lakhdar zur Welt kommt, ist Tunesien noch eine französische Kolonie. Es gibt keine tunesischen Professoren, Ärzte oder Ingenieure, alle hoch Qualifizierten sind Franzosen. Und natürlich Männer. Es ist ganz undenkbar, dass eine tunesische Frau eine Professur für Physik bekommen könnte. Aber die kleine Zohra mag Mathematik und Physik. Ihr Vater will, dass seine Söhne Ingenieure werden, in der Familie wird viel Wert auf Bildung gelegt. Für die Tochter ist allerdings nach dem Zeitgeist der Besuch der Grundschule schon mehr als genug.

Aber es kommt anders. 1956 wird Tunesien unabhängig, die Verfassung der jungen Republik gibt sich sehr fortschrittlich und räumt den Frauen weitgehend gleiche Rechte ein (Women and Civil Rights). Der Staat legt viel Wert auf das Bildungssystem, eine eigene Elite muss entstehen.

In dieser Aufbruchszeit zieht Zohras Familie in die Hauptstadt Tunis, sie besucht dort die weiterführende Schule für Mädchen. Sie schließt mit Auszeichnung ab, und das spornt ihren Ehrgeiz an. Sie absolviert ein auf Naturwissenschaften spezialisiertes College – zusammen mit nur einer anderen Frau unter vielen jungen Männern. 1963 hält sie ihr Mathematikdiplom in Händen.

Zohra Ben Lakhdar zu Hause

Danach folgt die Universität Tunis, als eine von fünf Frauen unter 200 Männern in der naturwissenschaftlichen Fakultät. Im Gegensatz zu den meisten ihrer Kommilitonen hat sie nicht vor, Lehrerin zu werden und als sich die Chance ergibt, geht sie 1967 zur Komplettierung ihrer Studien nach Paris, wo sie 1971 mit dem "Diplôme d'Etudes Approfondies" (DEA) abschließt.

Es zieht sie zurück nach Tunesien, wo sie drei Jahre als Assistentin an der naturwissenschaftlichen Fakultät verbringt, aber wegen Arbeitsüberlastung nicht zu eigener Forschung kommt. Also promoviert sie anschließend in Paris und wird 1978 als Professorin für Physik an der Universität von Tunis berufen. Eine große Ehre und eine schwierige Aufgabe: Sie muss sich das eigene Laboratorium, die Ausrüstung, die Computer und die Software selbst beschaffen.

Es dauert zehn Jahre, bis sie nach der vielen Organisationstätigkeit endlich dazu kommt, ihren ersten wissenschaftlichen Artikel zu veröffentlichen, aber dann kommt der Erfolg. Sie beschäftigt sich mit optischen Phänomenen von Atomen und Molekülen, dem Aufspüren von Luftverschmutzung mittels Diodenlaser-Absorptionsspektroskopie (TDLAS), von Wasserverschmutzung durch laserinduzierte Breakdown-Spektrometrie (LIBS) und von Schadstoffen in Pflanzen mittels laserinduzierter Fluoreszenz (LIF).

Zohra Ben Lakhdar arbeitet für eine sauberere Umwelt und träumt davon, Wüsten in fruchtbares Land und Salzwasser in Trinkwasser zu verwandeln. Verheiratet ist sie mit einem Physiker, sie hat zwei Töchter. Sie versteht, dass andere Frauen auch Familie haben möchten und sieht nicht ein, dass eine Karriere als Wissenschaftlerin sich damit nicht verbinden lassen soll. 1994 wird sie in die Islamic Academy of Science gewählt und 2005 erhält sie den L’ORÉAL - UNESCO For Women in Science Award zuerkannt.

Eines ihrer großen Anliegen ist die Ermutigung und Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses – auch des weiblichen. Zohra Ben Lakhdar ist überzeugt, dass die Zukunft große Chancen für Physikerinnen bietet. Sie fordert junge Tunesierinnen auf, sich nicht zu verstecken, sondern sich durchzusetzen:

Sei dir über die Wichtigkeit von Kultur im Klaren; sei aufgeschlossen, als Wissenschaftlerin und als Person. Strebe nach Unabhängigkeit. Verstehe wie wichtig es ist, eine verantwortungsbewusste Staatsbürgerin zu sein. Und sei optimistisch: immer mehr Frauen werden Teil der Naturwissenschaften, speziell der Biologie. Frauen werden immer unabhängiger. Die Karrieren von Frauen werden immer wichtiger und sehr von der Gesellschaft anerkannt. Das durchschnittliche Heiratsalter [der Frauen in Tunesien] ist heute höher: Es liegt bei 27 Jahren, verglichen mit 15 Jahren, als ich so alt war. Sei guten Mutes und selbstbewusst.

Laureate 2005: Pr. Zohra Ben Lakhdar

In Science kommt sie zu dem Schluss: “Wissen und Knowhow sind der Weg zu Freiheit und Gleichheit. Weder Geschlecht, noch Religion, noch Alter werden ein Hindernis für die Forschung in den Naturwissenschaften sein. Yahya el Elm.“