Freie Bahn der Stadtluft
Seite 2: "Wir können den Wind nicht ändern, aber wir können die Segel anpassen"
- Freie Bahn der Stadtluft
- "Wir können den Wind nicht ändern, aber wir können die Segel anpassen"
- Häuser und Städte, die atmen
- Auf einer Seite lesen
Das Zitat von Aristoteles ist übertragbar: Der Wind kann nur schlecht der Stadt angepasst werden. Vielmehr hat sich der Städtebau nach dem Wind zu richten. Nur einige der Anforderungen seien aufgezählt, die sich jedoch nicht widerspruchsfrei umsetzen lassen: Der Wind gibt die Ausrichtung der Fluchtlinien vor. Häuser auf Stelzen, ebenfalls schon eine Idee der 20er Jahre, lassen den Wind und die Landschaft hindurchfließen. Variierende Haushöhen bei offener Bebauungstruktur sind optimal, wobei jedoch Turbulenzen, das heißt vertikale Windströme und Wirbel zu beachten und zu berechnen sind. Evident ist, dass der bauliche Bestand der Städte diese Bedingungen nur ausnahmsweise erfüllt. Entscheidend ist die Frage, ob es bei Neubauvorhaben Beachtung finden wird.
Viele Parameter sind ins Kalkül zu ziehen von der Rauigkeit des Stadtkörpers über Bodenmodellierungen bis zur Größe von Freiflächen - aber diese stehen ja gerade zur Disposition. Hanglagen entlasten im Talkessel liegende Städte, wenn die Straßen mit ausreichendem Durchmesser quer zum Kamm des Hanges angeordnet werden.
Kommen wasserwirtschaftliche Erwägungen hinzu, gibt ein neuer Begriff die Richtung vor, wie stadtökologische Verbesserungen innerhalb des Bestandes erzielt werden können: Schwammstadt. Durch Entsiegelung werden poröse Versickerungsflächen geschaffen, von denen das Wasser bei Trockenheit verdunsten kann. Transpirationskühle entsteht in solchen städtischen Feuchtgebieten. Starkregen wird zusätzlich in oberirdischen Bassins oder unterirdischen Kavernen zurückgehalten und antizyklisch wieder abgegeben.
Die Städte werden überflutungstauglich. Zwei Risiken sind damit verbunden: Erstens kann aus dem Rückhaltebeckenbau eine ewige Baustelle werden, wenn die Starkregenereignisse zunehmen. Wenn zweitens in älteren Städten die Becken mit der Mischwasserkanalisation verbunden sind, geht nach wie vor der "Überlauf", und das ist die Mischung aus Oberflächenwasser und häuslichem Abwasser, in die Flüsse und Kanäle.
Maßnahmen zum städtischen Mesoklima sind nur dann wirksam, wenn sie verbunden werden mit dem Mikroklima der Häuser und Wohnungen. Das Arsenal architektonischer und bauphysikalischer Werkzeuge ist groß und reicht von glatten, hell gestrichenen Oberflächen, die die Strahlung reflektieren über die Nutzung der Speicherungs- und Wärmeleitfähigkeit des Materials bis zu den Möglichkeiten einer natürlichen Belüftung, vorzugsweise Querlüftung. Vertikale Begrünungen sind im Kommen, und "blaugrüne Dächer" verbinden die Begrünung mit der Regenwassersammlung. Der Grund, weshalb so große Umsetzungsdefizite bei der stadtklimatischen Anpassung bestehen, dürfte gerade in der mangelnden Verknüpfung der verschiedenen Maßstabsebenen liegen.
Der Wind, das himmlische Kind, hält sich nicht an die Ressortgrenzen der Stadtplanung. Querschnittsaufgaben hatten es immer schon schwer. Luftige Zielvorgaben werden formuliert, und auf dem Weg dorthin verfängt sich das Element in einem Dickicht von Gesetzen und Verordnungen vom Immissionsschutzrecht über die Umweltverträglichkeitsprüfung bis zu Luftreinhalteplänen. Ob Klimagutachten in der Bauleitplanung berücksichtigt werden, ist Abwägungssache, sagen die Verantwortlichen des Umweltatlas Berlin.
Im liberalistischen Zeitalter mag es angebracht sein, sich mit Appellen und "freiwilliger Selbstverpflichtung" als Schritten zu Sollzuständen zu bescheiden. Ob das sinnvoll oder fadenscheinig ist, muss vor dem Hintergrund erörtert werden, dass Deutschland immer häufiger die Zielmargen zur Luftreinhaltung reißt.
Konkretere Festlegungen wie etwa die Festsetzung von Bebauungsgrenzen werden in den Bebauungsplänen getroffen. In diese Pläne, die eh nicht unverrückbar sind, gehen jedoch so viele auf den Einzelfall bezogene Sonderinteressen ein, dass Umweltschutzbelange immer abstrakter und faktisch nachrangig werden. Stadtweite Planwerke werden Makulatur. In der "Flächenkonkurrenz" setzen sich die zu bebauenden Räume gegen die Freiräume durch.
Appelle auf der einen und eine rein technische Behandlung auf der anderen Seite verfehlen das Klima-Thema. Eine antagonistische Setzung von Binnenklima in Wohnungen versus Außenklima im Freiraum geht jeweils auf Kosten der einen oder anderen Seite. Die Architektur des Industriezeitalters legte es darauf an, den Wohnungsraum ohne Rücksicht auf regionale Besonderheiten nach draußen abzuschotten und das Raumklima zu normieren. Das hat sich bis zum Styropor-Dämmwahn übersteigert.
Der Antagonismus kann erst gelöst werden, wenn ganz von vorne gedacht wird, von einem ganzheitlichen Ansatz her, der den dynamischen Zusammenhang von Mikro- und Makroklima bedenkt und starre Normsetzungen vermeidet. Stadtbelüftung, Quartiersbefüftung und Hausbelüftung kommen auf einer Ebene zusammen, wenn das Klima als Ganzes zum Bestandteil des Architekturraums wird. Dieser Raum ist beweglich. Der holistische Ansatz verträgt sich mit dem Programm der Moderne:
Die Werke der heutigen richtunggebenden Baumeister (zeigen) ein verändertes Raumempfinden, das die Bewegung, den Verkehr unserer Zeit in einer Auflockerung der Baukörper und Räume widerspiegelt und den Zusammenhang des Innenraums mit dem Allraum zu erhalten sucht, was die abschließende Wand verneint. (...) Das Gebäude scheint zu schweben und der Raum hindurchzuströmen. Ausschnitte des unendlichen Außenraums werden einbezogen in die architektonische Raumkomposition, die in die Umgebung hinausgreift. Der Raum selbst scheint sich zu bewegen.
Walter Gropius
Empfohlener redaktioneller Inhalt
Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.
Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.