Freie Bahn der Stadtluft
Seite 3: Häuser und Städte, die atmen
- Freie Bahn der Stadtluft
- "Wir können den Wind nicht ändern, aber wir können die Segel anpassen"
- Häuser und Städte, die atmen
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Das Dogma, die Häuser und Wohnungen um jeden Preis vor der Außenluft zu schützen, stößt an das Paradox, dass eben jene Luft zur Erneuerung des Innenraumklimas benötigt wird. Durch elektrische betriebene Klimatisierungen geht dieser Austausch an den Bewohnern vorbei. Statt die Prozesse zu verdecken, sollte die Architektur es sich zur Aufgabe machen, die Menschen sinnlich näher ans Klima zu bringen.
Der doppelte Sinn des Wortes Atmosphäre scheint Bauherren und Architekten, die nur noch in die Höhe und Breite "metern", verloren gegangen zu sein. Atmosphäre beschreibt auch die Wirkung des Hauses auf die Nachbarschaft und in die Stadt hinein. So wie die Stadt idealiter perforiert ist, damit Luft und Landschaft in sie hineinfließen, sollte auch die Hülle des Hauses durchlässig sein. "Let air in, let air out",1 heißt es über das atmende Haus. Die Fassade ist ein soziales Instrument.
Die anthropologische Evolution kann als raumgreifender Prozess beschrieben werden. Im Zuge ihrer Expansion baut die Menschheit ihre Häute aus, Kleidung, Haus, auch Stadt. Die erste Klimahülle ist die menschliche Haut. Die (bio)klimatischen Einflüsse werden körperlich empfunden und verarbeitet, und das heißt, von jedem anders. Zwischen Faktoren wie Windstärke und Schweißverdunstung entwickelt sich die "gefühlte Temperatur."
Die Haut ist das Organ, durch welches die Subjekte mit der Umwelt überwiegend unbewusst und in Reminiszenz an die biologische Evolution kommunizieren. Die Mischung aus Schutz und Durchlässigkeit sollte bei der Planung aller weiteren Klimahüllen, sprich Häute, aufgegriffen werden. Mit dieser Doppelfunktion spielen Künstler-Architekten wie Buckminster Fuller und Haus Rucker Co. Den Gedanken einer atmenden Architektur greift auf der diesjährigen Architektur-Biennale der Nordische Pavillon mit einer Blasen-Installation auf.
Traditionelle Haustypen Südostasiens haben "luftdurchlässige und aufgeständerte Gebäudestrukturen mit vergleichsweise hohen Räumen und auskragenden Dachstrukturen."2 Die Architektengruppe WOHA aus Singapur überträgt eine Variante dieses Typs, die Kampongs, auf den Hochhausbau.
Diese Hoch-Verdichtung ist kompatibel mit Begrünung. Die Architekten ziehen die Landschaft und die Frischluft in den von Wohntürmen gebildeten Innenbereich und verdichten auch das Grün in der Vertikale. Zwischendecks dienen als begrünte, quasi dörfliche Gemeinschaftsflächen. Die natürliche Belüftung reicht aus, zumal bei den Apartments Querlüftung möglich ist. WOHA stemmt sich damit gegen eine Entwicklung der letzten Jahrzehnte, den "Air cooled Privatism". Maschinelle Klimatisierung verlangt geschlossene Räume und zerstört letzte Reste traditioneller Gemeinschaft.
Im Neubau eines Bürohochhauses im kolumbianischen Medellin soll die Abwärme der Nutzer und der Geräte in einen Kamin überführt werden, damit der thermische Auftrieb Frischluft durch die vorgehängte durchlässige Fassade ansaugt. Genutzt wird auch die Wärmespeicherfähigkeit der Betondecken. Allerdings schwanken die Durchschnittstemperaturen der Stadt nur gering.
In Mitteleuropa sind die Herausforderungen an die Klimaanpassung von Häusern ganz andere. Arno Brandlhuber hat eine ehemalige DDR-Fabrik bei Potsdam in eine "Antivilla" umgebaut, die im Sommer ihre Funktionskreise wie die "Häute" einer Zwiebel erweitert und im Winter auf einen warmen Kern rund um die Sauna reduziert wird. Zumindest war das der Plan, der durch die Bauvorschriften ausgebremst wurde.
Nachverdichtung setzt die Fehler der autogerechten, kahlgeschlagenen Stadt fort, wenn sie ohne Nachbegrünung auszukommen meint. Gerät schon wieder die Erfordernis in Vergessenheit, Parks, Restgrün und Brachen, kurz das ganze grüne städtische Patchwork zu Grünzügen zu vernetzen, deren lufthygienische Bedeutung die von Kaltluftentstehungsgebieten vor der Stadt ergänzt? Das ist keine Städtebau-Utopie, sondern eine Aufgabe des Hier und Jetzt. Was gar nicht (mehr) geht, ist der Vorschlag von Henri Bonaventure Monnier: "Man sollte die Städte auf dem Lande bauen, da ist die Luft besser."
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