Freihandel und Wirtschaftswachstum statt Demokratie und Ökologie
Seite 4: Fortschritt (= Gentechnik, Atomkraft, Fracking) und Schiedsgerichte (= Entdemokratisierung)
- Freihandel und Wirtschaftswachstum statt Demokratie und Ökologie
- Beschwichtigungsrhetorik und Geopolitik
- Privatisierungen unter dem Deckmantel der Freihandelspolitik
- Fortschritt (= Gentechnik, Atomkraft, Fracking) und Schiedsgerichte (= Entdemokratisierung)
- Schlussfolgerungen
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TTIP ist kein Abkommen, das primär der Völkerverständigung verpflichtet ist. Viel mehr haben die vehementen Versuche, dieses Abkommen gegen alle zivilgesellschaftlichen Widerstände durchzusetzen, eine klar ökonomische Motivation. Es geht um Wirtschafts- und Arbeitsplatzwachstum in den USA und in Europa. Alle anderen Aspekte haben entsprechend der Aussagen dieses Papiers nur wenig Relevanz für die aushandelnden Politiker. Dies zeigen auch die folgenden Aussagen:
"Handelsbezogene Aspekte von Energie und Rohstoffen
Das Abkommen wird Bestimmungen zu den handels- und investitionsbezogenen Aspekten von Energie und Rohstoffen enthalten. Die Verhandlungen sollten darauf abzielen, ein offenes, transparentes und berechenbares Geschäftsumfeld in Energieangelegenheiten und einen unbeschränkten und nachhaltigen Zugang zu Rohstoffen sicherzustellen."
Es ist ziemlich offensichtlich, dass dieser Absatz darauf abzielt, das in den USA bereits weit verbreitete und in Europa vielfach abgelehnte Fracking (unkonventionelle Öl- und Gasförderung, die umweltgefährdend ist) gegen alle Widerstände durchzusetzen. Außerdem ist aufgrund der sehr offenen Formulierung davon auszugehen, dass TTIP sehr wohlwollend im Hinblick auf die großen Energiekonzerne mit Schwerpunkt auf Atom- und Kohlekraft formuliert werden soll. Bereits heute werden Staaten vor WTO-Schiedsgerichten von Energiekonzernen verklagt und zu hohen Strafzahlungen verpflichtet - aufgrund angeblicher Diskriminierung oder der Verhinderung von Investitionen - meist aus ökologischen Gründen. Auch die Bundesrepublik Deutschland wurde von einem solchen, geheim tagenden Schiedsgericht bereits 2009 verurteilt und verpflichtet, eine hohe Millionenstrafe an den schwedischen Kohle- und Atomkonzern Vattenfall zu zahlen.
Die TTIP-Schiedsgerichte würden gegenüber dem WTO-Schiedsgericht wohl noch mehr Machtbefugnisse bekommen. Wäre das aktuelle Schiedsgericht bereits ausreichend, gäbe es schließlich keinen Grund für weitere, bilaterale Schiedsgerichte zwischen den USA und der Europäischen Union im Rahmen des TTIP-Abkommens.
Im hier analysierten EU-Papier hießt es zu den Schiedsgerichten: "Das Abkommen sollte einen wirksamen Mechanismus für die Beilegung von Streitigkeiten zwischen Investor und Staat vorsehen". Wichtig sei die "Transparenz" und "Unabhängigkeit" sowie die "Berechenbarkeit" der Schiedsrichter. Ziel sei "das höchstmögliche Maß an Rechtsschutz und -sicherheit für europäische Investoren in den USA" zu gewährleisten. Zu diesem Zweck müsse das Abkommen ein "flexibles Vermittlungsverfahren, enthalten. Im Rahmen dieses Verfahrens wird der Erleichterung der Streitbeilegung in Fragen der nichttarifären Hemmnisse besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden."
Nicht-tarifär bedeutet, dass Bereiche dazugehören, die über Zölle sowie Aus- und Einfuhrbeschränkungen weit hinausgehen. Wie die anderen Themen dieses Papiers zeigen, handelt es sich hierbei zu einem großen Teil um die in der Regel von der Bevölkerungsmehrheit abgelehnten umfassenden Privatisierungsbestrebungen - oder für Konzerne lästige Umweltauflagen.
Investitionsschutz und Schiedsgerichte - zwei Worte, die durchaus positiv klingen. Es soll aber die Wirtschaft geschützt werden. Und zwar vor den vermeintlichen Ungerechtigkeiten, die ihr von Seiten von Staaten und Gesellschaften "zugefügt" werden könnten. "Schiedsgericht" - klingt nach Mannschaftssport, bei dem die Regeln durch einen Schiedsrichter überwacht werden. Natürlich kann aber kein Schiedsgericht Gerechtigkeit walten lassen, wenn seine eigene Existenz nicht demokratisch legitimiert ist. Angeblich sollen die Schiedsgerichte sogar notwendig sein für den Umweltschutz:
Es gehe um die "Erhaltung und nachhaltige Bewirtschaftung rechtmäßig erworbener, nachhaltiger natürlicher Ressourcen, wie Holz, wildlebender Pflanzen und Tiere oder Fischbestände, sowie für den Handel mit diesen Ressourcen enthalten. Im Abkommen wird die Überwachung der Umsetzung dieser Bestimmungen mittels eines Mechanismus, in den auch die Zivilgesellschaft eingebunden ist, sowie mittels eines Streitbeilegungsmechanismus vorgesehen sein. Die wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Folgen des Abkommens werden mittels einer unabhängigen Nachhaltigkeitsprüfung unter Einbindung der Zivilgesellschaft untersucht werden,"
Sowohl in der Europäischen Union als auch in den Vereinigten Staaten bestehen mehr oder weniger effektive Mittel und Regeln, die eine nachhaltige Bewirtschaftung natürlicher Ressourcen garantieren sollen. Unklar ist, wozu an dieser Stelle das TTIP-Abkommen benötigt wird. Dieser Umstand gibt Anlass zum Misstrauen. Die Einbindung von Umwelt- und Nachhaltigkeitsthemen in das nicht-staatliche Rechtssystem der Schiedsgerichte bedeutet auch, dass Konflikte, die vor diesen Gremien ausgetragen werden, sich zu einem großen Teil dem zivilgesellschaftlichen Zugriff und den demokratischen Prozessen entziehen können. Die Politik verliert an Gestaltungsmacht, wenn sie durch Schiedsgerichte angreifbarer wird. Und die Bevölkerung verliert an demokratischen Mitbestimmungsmöglichkeiten, wenn entscheidende Zukunftsfragen in Rahmen zwischenstaatlicher "Streitbeilegungsmechanismen" ausgehandelt werden.