Freundschaft in Zeiten der Feindschaft

Jürgen Todenhöfer über die Irrtümer des Kreuzzugs gegen den Terror

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1976 sagte Herbert Wehner über ihn: "Dieser Mann ist reif für die Nervenheilanstalt." Er war Abrüstungsexperte der CDU und zitiert heute John Lennon's "Imagine". Sein SZ-Artikel gegen den Afghanistankrieg - Titel: "Der Flop" - , erschienen anlässlich der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar letzten Jahres, findet sich auf der Web-Site der DKP-Darmstadt. Die linke "JungleWorld" bezeichnete seine Reisen nach Afghanistan als "Herumstreunen" im malerischen Schafsfell und die rechte "Welt" erkennt in seinem neuen Buch, antiamerikanische Vorwürfe eines "Polittouristen", "wie man sie in jeder fundamentalistischen Moschee um die Ecke hören kann": der langjährige Bundestagsabgeordnete der CDU, Jürgen Todenhöfer, jetzt stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Hubert Burda Media Holding, hat ein Buch voller Emphase gegen den bevorstehenden Irak-Krieg verfasst, das ihm neue Sympathien bescheren und manch alte Freundschaft gefährden könnte.

Ein Präventivkrieg gegen den Irak wäre schlicht und ergreifend völkerrechtswidrig....

Die Idee, den internationalen Terrorismus mit einem konventionellen Krieg zu bekämpfen, war und ist eine katastrophale intellektuelle Fehlleistung...

Außer der ungeduldig in den Startlöchern sitzenden amerikanischen Ölindustrie hat niemand ein glühenderes Interesse an einem Angriffskrieg der USA gegen den Irak als al Qaida....

Dass der "große Freund der USA", so Todenhöfer im Gespräch mit dem Spiegel, einmal solche Sätze schreiben würde, hätte sich der 62jährige, den der SPDler Ehmke in den achtziger Jahren noch einen "Papagei amerikanischer Vorwürfe" schimpfte, wohl früher kaum vorstellen können. Versucht sich da jemand in die neue hippe parteiübergreifende Phalanx der Friedensbewegten - "Walser und Wecker, Gauweiler und Lafontaine, Brumlik und Schönhuber, Grass und Mahler, DKP und NPD" (vgl. Bagdad sehen und sterben) einzureihen ?

Nein. Dagegen spricht schon eine ganze Serie von Artikeln, die Todenhöfer im letzten Jahr publiziert hat - nicht nur etwa in den bekannten konservativen Publikationen wie der FAZ oder gar der BILD, sondern auch in der Frankfurter Rundschau und in der Süddeutschen - zu einem Zeitpunkt, als eine entschiedene Ablehnung des "gerechten" Krieges gegen "Schurkenstaaten" noch mit einem Image-Risiko verbunden war; zum politischen Mainstream wurde diese Haltung erst Monate später. Aus den Artikeln ist dann das Buch entstanden: "Wer weint schon um Abdul und Tanya?" (Herder-Verlag).

Liest man das knapp über 200 Seiten starke Buch, was etwa einen Abend dauert, ist man nicht unbedingt klüger, was die finassierten Polit-Manöver der Bush-Administration in Sachen Irak-Krieg betrifft; Rhetorik, Argumente, Motive und taktische Kniffe in dieser Sache dürften den Telepolis-Lesern vertraut sein; aber das Leid, das diese Politik bereits verursacht hat und künftig verursachen könnte, bekommt durch die Lektüre - wie man sagt - ein Gesicht.

Ein Beispiel unter vielen, ausgewählt, weil der "Zwischenfall" im letzten Sommer sogar Auslöser von makabren Witzen wurde: Im Juli 2002 sprengten amerikanische Bomber in einem afghanischen Dorf eine Hochzeitsgesellschaft in die Luft, weil sie deren Freudenschüsse angeblich für einen Angriff gehalten hatten. Über 40 Afghanen wurden getötet, mehr als 100 zum Teil schwer verletzt.

Kako, ein achtjähriges Mädchen war aus dem Haus gerannt, als es die Detonation der Bomben hörte. Sie schilderte der amerikanischen Nachrichtenagentur AP: "Der Innenhof war voller Blut, überall lagen Leichen. Ich sah eine Frau ohne Kopf." Und Ahmed Jan Agha erzählte: "Sie feuerten auf die fliehenden Menschen. Sie haben uns regelrecht gejagt. Verteidigungsminister Donald Rumsfeld trat kurz nach Bekanntwerden des "Zwischenfalls" in Washington im hellen Sommeranzug lachend vor die Presse und erklärte, bei dem bombardierten Ziel habe es sich eindeutig um ein militärisches Ziel gehandelt. In dem Dorf hätten sich Talibankämpfer zusammengerottet und auf die Flugzeuge geschossen. Kurze Zeit später schob er nach: "So was passiert, ist schon immer passiert und wird auch wieder passieren."

Todenhöfer stößt solche Flapsigkeit bitter auf. Sie habe eine verheerende Wirkung gegenüber dem Leid der afghanischen Zivilbevölkerung, eine derartige Haltung, wie sie Rumsfeld dokumentiert, führt zu Ressentiments in der Bevölkerung gegenüber den Amerikanern, führt sie im schlechtesten Fall sogar den terroristischen Milizen zu.

Warum gibt es von amerikanischer Seite keine angemessene Entschädigung für die zivilen Opfer des Afghanistankrieges? Warum werden Briefe betroffener Familien mit der Bitte um Wiedergutmachung von der amerikanischen Botschaft in Kabul nicht beantwortet? Warum werden die Angehörigen der Opfer nicht einmal vorgelassen?

Im Buch sind viele Schilderungen von den Opfern der Kriege zu lesen, die seit mehr als zwei Jahrzehnten der afghanischen Bevölkerung entsetzliches Leid zugefügt haben. Todenhöfer kommt immer wieder auf die Kinder zu sprechen, die in Krankenhäusern dahinvegetieren, kaum versorgt werden, nicht zur Schule können. Und er nennt sie beim Namen: Abdul, der "Titelheld" ist nur einer unter vielen. Die Beschreibungen des Elends gehen unter die Haut.

Der Verlagsmanager war auch im Irak, letztes Jahr und Anfang dieses Jahres. Also lange vor Konstantin Wecker. Während dieser von Intellektuellen in irakischen Cafés schwärmte, die mit ihm über Kant, Adorno und Horkheimer sprachen, war Todenhöfer dort und hat sich u.a. in den Krankenhäusern und an den Lebensmittel-Verteilungsstätten umgesehen; der Schluss, den er aus seinen Beobachtungen zieht, hört sich für einen Mann aus dem rechten Lager etwas überraschend an:

Weit über eine halbe Million Kinder unter fünf Jahren sind an den Folgen der Sanktionen seit 1991 gestorben.. Niemand darf die rigiden Polizeistaatmethoden Saddams verharmlosen, die die Rechte der Menschen im Irak in eklatanter Weise verletzen. Aber die von den USA erzwungenen Sanktionen verletzen die Menschenrechte der irakischen Bevölkerung noch mehr. Sie sind längst zu Massenvernichtungswaffen gegen ein ganzes Volk geworden. Sie haben mehr Menschen getötet als alle chemischen Waffen, die der gnadenlose Despot Saddam Hussein jemals gegen den Iran und gegen die Kurden eingesetzt hat.

Sein Engagement erklärt sich wohl nicht zuletzt durch die Freundschaften, die er im Laufe der Zeit auf seinen Reisen, vor allem nach Afghanistan, geschlossen hat. Skeptischen Zeitgenossen mag dieser Satz etwas zu sentimental-kitschig anmuten; "meine afghanischen Freunde" klingt schon sehr nach dem verbrauchten Topos einer inszenierten Politikerbiographie, aber es ist ihm offensichtlich ernst. Man kann sich gut vorstellen, dass nicht alle in seinem hiesigen politischen und geschäftlichen Freundeskreis mit den z.T. vehementen Aussagen einverstanden sind, die ihm zur gegenwärtigen amerikanischen Außenpolitik einfallen.

Noch nie wurden kriminelle Diktatoren von einem amerikanischen Präsidenten so umworben wie nach dem 11.September. man muss schon eine Weltanschauung aus dem Legoland haben, um die Unterstützung des Bösen zur Ausrottung des Bösen moralisch nachvollziehen zu können... Der Bombenkrieg gegen die Städte Afghanistans war nicht nur völkerrechtswidrig, er brachte auch nicht den gewünschten Erfolg...Umso bewundernswerter ist die Chuzpe, mit der diese milliardenschwere Pleite von der Mannschaft um George W. Bush als großer Erfolg dargestellt wird.

Dass Todenhöfers Plädoyer gegen den bevorstehenden Irakkrieg ein im Grunde unpolitisches Buch sei, wie die "Welt" beanstandet, die dem Widerspenstigen offensichtlich nur mit unpassenden und blassen Argumentationsphrasen beikommen konnte, kann nicht behauptet werden; dennoch hat das Buch einiges ausgespart, was Brisanz verbirgt. So tut sich Todenhöfer sichtlich schwer, den Mordbuben Hekmatyar, der ihn bei einer kurzen Begegnung offensichtlich beeindruckte, als den erbarmungslosen Mörder zu zeichnen, zu dem er geworden ist. Eine Kleinigkeit vielleicht, aber kein Einzelfall. Auch der ehemalige pakistanische Präsident Zia-ul-Huq, nicht gerade ein liebevoller und zartbesaiteter Staatsmann, wird ziemlich positiv geschildert. Zwar hat er Todenhöfer dabei geholfen, den kranken Abdul per Krankentransport nach Deutschland zu überführen, aber das konnte sich der Gewaltherrscher auch schön gönnerhaft als PR-Aktion verbuchen.

Das alles mag man als etwas bitter schmeckende Beigaben eines guten Buches ansehen oder im günstigeren Licht als schriftstellerische Unaufmerksamkeit - dafür sprächen etwa die klischeehaften Pauschal-Beschreibungen der begleitenden Journalisten, die fast alle "lausbübisch" aussehen und die Schilderung von Terroristen, die allesamt "sensibel und hypermoralisch" sind. Wenn da nicht Auslassungen bzw. Etikettierungen (T. erwähnt nur den "palästinensischen Widerstand"; das Wort Terror kommt ihm hier nicht in den Sinn), die im Zusammenhang mit dem israelisch-palästinensischem Konflikt für Verstimmungen sorgen. So veröffentlicht er zum Beispiel ein Antwortschreiben des Imam Sheikh Al-Azhar, in dem dieser sehr deutlich für Märtyrer ausspricht, wenn auch in "eingeschränkten Fällen":

Wer sich aber inmitten von Soldaten, die ihn töten wollen, oder inmitten einer Armee, die seine Heimat vergewaltigt, in die Luft sprengt, ist ein Märtyrer...

Todenhöfer lässt das unkommentiert. Vielleicht, weil es nicht zur großen Linie seines Buches passt. Aber im Zusammenhang mit solch pauschalen und fragwürdigen Äußerungen Todenhöfers wie etwa, dass der Islam als Religion nichts mit dem Terror zu tun habe, schleicht sich dann doch ein befremdendes Moment bei der Lektüre ein.