Frieden in der Ukraine ist möglich: So könnte er aussehen

Seite 2: Großmächte müssen Größe zeigen

Zwischen der Ukraine und Russland gibt es heftige Meinungsverschiedenheiten über den Donbass mit seiner überwiegend russischstämmigen Bevölkerung. Während im größten Teil der Ukraine die ukrainische Sprache und kulturelle Identität vorherrscht, sind im Donbass kulturelle Identität und Sprache russisch geprägt. Nach dem Sturz Janukowitschs wurde der Donbass zu einem Schlachtfeld zwischen pro-russischen und pro-ukrainischen Paramilitärs, wobei die pro-russischen Kräfte die Unabhängigkeit des Donbass erklärten.

Das Minsk-II-Abkommen von 2015 war eine diplomatische Vereinbarung zur Beendigung der Kämpfe, die auf Autonomie (Selbstverwaltung) für die Region Donbass innerhalb der ukrainischen Grenzen und auf der Achtung der russischen Sprache und Kultur beruhte.

Nach der Unterzeichnung machte die ukrainische Führung deutlich, dass sie das Abkommen ablehne und es nicht einhalten werde. Obwohl Frankreich und Deutschland für das Abkommen bürgten, drängten sie die Ukraine nicht zur Einhaltung. Aus der Sicht Russlands haben die Ukraine und der Westen damit eine diplomatische Lösung des Konflikts abgelehnt.

Ende 2021 bekräftigte Putin die Forderung Russlands, die Nato nicht weiter zu erweitern, insbesondere nicht auf die Ukraine. Die USA weigerten sich, über die Nato-Erweiterung zu verhandeln. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg erklärte damals provokativ, dass Russland in dieser Angelegenheit kein Mitspracherecht habe und dass nur die Nato-Mitglieder entscheiden würden, ob Russland im Schwarzen Meer eingekreist werden solle oder nicht.

Im März 2022, einen Monat nach der russischen Invasion, erzielten Putin und der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj wesentliche Fortschritte in Hinsicht auf eine pragmatische Beendigung des Krieges durch Verhandlungen, die auf einer Nichterweiterung der Nato, internationalen Garantien für die Souveränität und Sicherheit der Ukraine und einer späteren friedlichen Lösung der Probleme auf der Krim und im Donbass beruhte. Türkische Diplomaten waren die sehr geschickten Vermittler.

Doch dann verließ die Ukraine den Verhandlungstisch, vielleicht auf Drängen Großbritanniens und der USA, und verfolgte eine Politik, Verhandlungen so lange zu blockieren, bis Russland militärisch aus der Ukraine vertrieben werde. Daraufhin eskalierte der Konflikt, und Russland annektierte nicht nur die beiden Regionen des Donbass (Luhansk und Donezk), sondern auch die Regionen Cherson und Saporischschja.

Kürzlich heizte Selenskyj die Situation weiter an, indem er forderte, die ukrainischen Verbindungen zu russisch-orthodoxen Einrichtungen zu kappen und damit die religiösen Brücken zwischen ethnischen Russen und vielen ethnischen Ukrainern abzubrechen, die ein Jahrtausend zurückreichen.

Da sich nun sowohl die USA als auch Russland vorsichtig an den Verhandlungstisch herantasten, ist es an der Zeit, zu vermitteln. Zu den möglichen Vermittlern zählen die Vereinten Nationen, die Türkei, Papst Franziskus, China und vielleicht auch andere, in welcher Mischung auch immer. Die Konturen einer erfolgreichen Mediation sind eigentlich klar, ebenso wie die Grundlage für eine Friedensregelung.

Der wichtigste Punkt für eine Vermittlung ist anzuerkennen, dass alle Parteien legitime Interessen haben und berechtigte Missstände zu beklagen haben. Russland ist zu Unrecht und gewaltsam in die Ukraine eingedrungen. Die USA haben unrechtmäßig den Sturz Janukowitschs im Jahr 2014 konspirativ gepusht und die Ukraine anschließend schwer bewaffnet, während sie die Nato-Erweiterung vorantrieben, um Russland im Schwarzen Meer einzukreisen. Nach dem Sturz Janukowitschs weigerten sich die ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko und Wolodymyr Selenskyj, das Minsk-II-Abkommen umzusetzen.

Der Frieden wird eintreten, wenn die USA von einer weiteren Nato-Erweiterung in Richtung der russischen Grenzen Abstand nehmen, Russland seine Streitkräfte aus der Ukraine abzieht und von der einseitigen Annexion ukrainischen Territoriums Abstand nimmt. Ebenso muss die Ukraine ihre Versuche beenden, die Krim zurückzuerobern, und den Minsk-II-Rahmen akzeptieren. Alle Parteien müssen sich bereit erklären, die souveränen Grenzen der Ukraine im Rahmen der UN-Charta zu sichern, garantiert durch den UN-Sicherheitsrat und andere Nationen.

Der Ukraine-Krieg ist ein äußerst gefährlicher Krieg zwischen atomaren Supermächten in einer Welt, die dringend Frieden und Zusammenarbeit braucht. Es ist an der Zeit, dass die USA und Russland, zwei Großmächte der Vergangenheit und der Zukunft, ihre Größe durch gegenseitigen Respekt, Diplomatie und gemeinsame Anstrengungen unter Beweis stellen, um eine nachhaltige Entwicklung für alle zu gewährleisten – auch für das ukrainische Volk, das Frieden und Wiederaufbau am dringendsten benötigt.

Dieser Artikel erscheint in Kooperation mit US-Nachrichtenportal Common Dreams. Das englische Original findet sich hier. Übersetzung: David Goeßmann.

Jeffrey D. Sachs ist Universitätsprofessor und Direktor des Zentrums für nachhaltige Entwicklung an der Columbia University, wo er von 2002 bis 2016 das Earth Institute leitete. Außerdem ist er Präsident des UN Sustainable Development Solutions Network und Kommissar der UN Broadband Commission for Development. Er war Berater von drei Generalsekretären der Vereinten Nationen und ist derzeit SDG-Beauftragter von Generalsekretär Antonio Guterres. Sachs ist der Autor des kürzlich erschienenen Buches "A New Foreign Policy: Jenseits des amerikanischen Exzeptionalismus" (2020). Zu seinen weiteren Büchern gehören: "Building the New American Economy: Smart, Fair, and Sustainable" (2017) und "The Age of Sustainable Development," (2015) mit Ban Ki-moon.