Fuck you oder Thank you

"About Schmidt" von Alexander Payne

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Er ist 66 Jahre alt, Witwer, und hat laut Statistik noch neun Jahre zu leben, es sei denn, er heiratet noch mal. Statistiken sind vielleicht das Einzige, womit er sich wirklich auskennt. Warren Schmidt ist ein schlichtes Gemüt. Und doch verspürt er ein seltsames Unbehagen. Äußerliche Gründe gibt es genug. Zunächst geht er in den Ruhestand und kurz darauf stirbt seine Gattin. Doch darüber hinaus irritieren ihn seine Mitmenschen grundsätzlich sehr, etwa durch die dümmlichen Reden bei seiner Pensionierung sowie bei der Beerdigung. Schmidt ist umgeben von Schwätzern und, wenn er mal spricht, versucht er beflissen mitzuhalten. "Ich habe keine Zeit zu verlieren", sagt er sich und versumpft erst einmal zwei Wochen mit Fast-Food vor dem Fernseher. Danach macht er sich auf, um seine Tochter davon abzubringen, einen Deppen zu heiraten.

Wäre die Hauptrolle in About Schmidt mit Sean Connery, Robert Redford oder ähnlichen Schauspielern besetzt, könnte der komische Aspekt des Filmes von Alexander Payne leicht unter den Tisch fallen. Doch ist diese Alt-Männer-Tragödie weniger wehmütig als hundsgemein geraten. Denn Schmidt wird verkörpert von Jack Nicholson und der war schon mal Teufel, Joker, fieser Armeeoffizier und axtschwingender Besessener, und so kündigt sich schon in jedem Stirnerunzeln die schönste Katastrophe an. Irgendwann muss dieser Mensch gehörig Amok laufen und sich wehren gegen den alltäglichen Feel-good-Faschismus. Aber zunächst pinkelt Schmidt nur genüßlich neben seine Kloschüssel, schläft eine Nacht lang im Freien, und ob er bei der Hochzeitsfeier am Ende "Fuck you" oder "Thank you" sagen wird, ist noch eine Sekunde vor seiner großen Brautvater-Rede völlig ungewiss.

Nicholson beim planlosen Überlegen zuzusehen, ist das große Vergnügen dieses fiesen Filmes. Die penetrante Gefühligkeit seiner Mitmenschen verstört seinen Warren Schmidt gehörig. Wenn ihm liebe Freunde schonungslos ins Gesicht heucheln, bleibt er meist sprachlos, und als einmal eine wildfremde Frau Verständnis markiert, versucht der konfuse Mann sie küssen. In dieser Li-La-Laune-Hölle muss Warren als der einzig Nette erscheinen. Wenn der arme Mann zum Beispiel einen Fast-Food-Laden betritt und irgendeine kindisch betitelte Süßspeise bestellt, dann kann man schon mit ihm gemeinsam verzagen.

Der selige Howard Hawks hatte einst für seinen Kumpel-Western "Rio Bravo" ein großartiges Konzept: "High Noon hat mir dermaßen missfallen, dass ich die Gegenposition eingenommen habe. Wir haben immer das Gegenteil gemacht." Genauso könnte man "About Schmidt" als fabelhaften Einspruch zu David Lynchs staatstragendem Road-Movie "A straight story" sehen. Bei Lynch reist auch ein alter Mann durch Amerika. Er lässt dabei viele gesunde Weisheiten verlautbaren, trifft liebe Menschen, hilft ihnen weiter und geht arm, aber zufrieden seinen Weg. Ein Film, wie die Jack-Daniels-Werbung, eine Eineinhalb-Stunden-Waltons-Folge, die "Thank you" sagt zu Amerika, the beautiful.

Bei Alexander Payne, der sein Drehbuch nach Louis Begleys Roman "Schmidt" mit vielen eigenen Ideen angereichert hat, ist der alte Mann völlig unbedarft. Schmidt kann seine Unzufriedenheit weder analysieren noch ausdrücken. Er trifft nur Idioten, die ihm Nutzloses sagen, oder Menschen, die ihm nicht zuhören. Als er wieder zurückfährt, ist alles wie zuvor, und der läppische Trost am Ende macht es gewiss nicht besser. Eine Reise, die absolut niemandem weiterhilft, durch ein Amerika, das sich Thomas Bernhard und Frank Tashlin gemeinsam ausgedacht haben könnten. Den Optimisten wird "A straight story" besser behagen. "About Schmidt" wirkt eben wesentlich unbehaglicher im derzeit von Elfen, Zauberern und Heulsusen bevölkerten Hau-Ruck-Kino Amerikas, denn der Film sagt zwar auch "Thank you", meint aber "Fuck you".