zurück zum Artikel

Für den Käsepreisdeckel!

Ob die EU-Preispolitik auch im Supermarkt funktioniert? Bild: pxhere.com

Themen des Tages: Wirtschaftsminister Habeck braucht einen neuen Schirm. Die Führung der öffentlich-rechtlichen will den Teufel mit dem Beelzebub austreiben. Und die EU möchte die Preise beim Einkauf selbst bestimmen.

Liebe Leserinnen und Leser,

in der Wirtschaft steigt die Sorge vor einer Pleitewelle und einer Rezession infolge der Energie- und Rohstoffkrise. Der Rundfunk Berlin-Brandenburg hat eine neue Intendantin gewählt, die einen Neuanfang verspricht, aber alt-strukturelle Probleme des öffentlich-rechtlichen Medien-. Polit- und Wirtschaftsbetriebs repräsentiert. Und die EU strebt auf den Energiemärkten eine kreative Käuferrolle an.

Doch der Reihe nach.

BDI: Krisenlage für mehr als ein Drittel der Betriebe existenzbedrohend

Die Ampelkoalitionäre werden nicht sagen können, sie seien nicht gewarnt worden: Kurz vor einem möglichen achten Sanktionspaket der Europäischen Union gegen Russland wird die Kritik aus der Wirtschaft lauter: Die Strafmaßnahmen scheinen nach hinten loszugehen, immer mehr Unternehmen fürchten die Insolvenz.

Entsprechende Wortmeldungen kommen aus unterschiedlichen Bereichen des Handwerks und der Industrie; jenen Branchen der Binnenwirtschaft also, die im verstärkten Maße auf Energie und Rohstoffe angewiesen sind. Der Vorsitzende der Bundesvereinigung Bauwirtschaft, Marcus Nachbauer, prognostiziert angesichts der aktuellen Wirtschaftskrise in Folge von Ukraine-Krieg und Russland-Sanktionen einen heftigeren Einbruch der Baubranche als während und nach der Corona-Pandemie.

Der Verbandschef geht davon aus, dass die Baustoffbeschaffung wie auch die Preisentwicklung große Probleme verursache. "Just in time – wie wir es in der Vor-Corona-Zeit kannten – findet nicht mehr statt", so Nachbauer.

Index der Erzeugerpreise für Betonstahl liege um 23 Prozent über dem bereits hohen Vorjahresniveau, Dämmstoffe hätten um über 30 Prozent und mineralische Baustoffe um bis zu 20 Prozent zugelegt.

Der Industrieverband BDI hat indes eine Studie vorgelegt [1], nach der weitgehend unkontrolliert steigenden Energiekosten für 58 Prozent der Betriebe erhebliche Probleme schaffe, für 34 Prozent sei die Lage gar existenzbedrohend. Im Februar dieses Jahres – also vor Beginn der russischen Invasion in der Ukraine – habe dieser Wert noch bei 23 Prozent gelegen.

Die Generaldebatte im Bundestag in dieser Woche scheint die Vertreter von Unternehmen und Arbeitnehmern jedenfalls nicht beruhigt zu haben. Zwar möchte Wirtschaftsminister Robert Habeck den staatlichen Schutzschirm "breiter aufspannen". Aber schon aus der Pandemiezeit wissen wir: Alle passen da ohnehin nicht drunter, und der Staat ist sehr darauf bedacht, sich Hilfen, wenn möglich, wieder zurückzuholen.

Telepolis hat sich heute in mehreren Texten mit dem Thema befasst, hier eine Auswahl:

Artikel zum Thema:

Wolfgang Pomrehn: Russland und der Westen: Wem nützen die Sanktionen? [2]
Bernd Müller: Hohe Gaspreise: Spediteure warnen vor Ausfall Hunderttausender LKW [3]
Hans-Josef Fell: Fossiler Luxusstrom: Markteingriffe lösen das Grundproblem nicht [4]

Ach, RBB …

Die Kolleginnen und Kollegen beim Rundfunk Berlin-Brandenburg müssen tapfer sein: Nach dem Rauswurf der mutmaßlichen Medien-Mafia im Ex-Intendantin Patricia Schlesinger hat der Pate Tom Buhrow eine neue Stellvertreterin entsandt.

Okay, ein bisschen hartes Bild vielleicht: Aber die Verquickungen zwischen dem öffentlich-rechtlichen Medienbetrieb, der Politik und der Wirtschaft scheint derart verfestigt, dass man zum Eindruck kommen muss, eine Reform aus sich heraus sei nicht mehr möglich.

Der Medienwissenschaftler Sebastian Köhler beschreibt für Telepolis die Wahl der ehemaligen Fast-Ministerin und Unternehmensberaterin/Managerin Katrin Vernau an die Spitze des Funkhauses an der Berliner Masurenallee. Sein Vorschlag:

Was bleibt (zu tun)? Nun, etwa strukturelle Demokratisierungen nicht zuletzt der Medien: Räte des Publikums und Räte der Mitarbeitenden könnten im progressiven Sinne zu Vergesellschaftung – nicht Verstaatlichung! – beitragen. Publikumsräte im Sinne von Repräsentanz möglichst der gesamten Gesellschaft mögen dafür extra gewählt werden – aber vielleicht, um entsprechend aufwändige Wahlkämpfe zu vermeiden, besser noch aus der gesamten Bevölkerung repräsentativ und zufällig "ausgelost" werden.

Sebastian Köhler in Telepolis

Laien an der Spitze der Medien? Kann das gutgehen? Ja, durchaus: Beim gerichtlichen Schöffensystem geht das ja auch. Und zum Parlamentarier wird man auch nicht erst nach abgeschossener einschlägiger Ausbildung. Zudem haben die Politiker und Manager an den Spitzen der Medienanstalten weder das Medienvertrauen gestärkt, noch für Transparenz gesorgt.

Zur Erinnerung: Der Brandenburger CDU-Medienpolitiker Ingo Senftleben hatte die geheime Abmachung zur Schlesinger-Nachfolge nach einer Chaos-Mitgliederversammlung vor wenigen Wochen verteidigt, um sich im gleichen Atemzug für mehr Transparenz auszusprechen. Voll witzig, Ingo! Angesichts der im RBB umstrittenen Wahl der Buhrow-Vertreterin Vernau wissen wir, warum es lief, wie es lief. Die Debatte um die Zukunft der öffentlich-rechtlichen Medien wird andauern.

Artikel zum Thema:

Sebastian Köhler: Aus dem Westen nichts Neues: Inwiefern die Wahl der neuen RBB-Intendantin Probleme nicht löst [5]
Bernd Müller: Öffentliche-rechtliche Sender unter politischem Druck [6]
Rüdiger Suchsland: Warum die Rundfunkgebühren erhöht werden müssen [7]

Die EU und ihre Energiekäufe: Wie war das mit dem freien Markt?

Angesichts des Energie-Desasters, das sich die EU mit den offenbar unbedachten Sanktionen gegen Russland eingebrockt hat, versuchen Rat und Kommission neue Wege zu beschreiten: Sie wollen die eurorussischen Energiegeschäfte nach dem Prinzip von Hippie-Märkten organisieren und zahlen, was sie bereit sind zu zahlen.

Putins Sache ist das nicht: Er hat schon angekündigt, die Gaslieferungen in die EU einzustellen, sollten Brüssel und die EU-Mitgliedsstaaten ein sogenannten Gaspreisdeckel beschließen. Und die Erdöl- sowie Kohlelieferungen gleich mit.

Wäre die Sache nicht so ernst, könnte man dem Spiel beinahe schadenfroh zusehen: Jahrelang nämlich hat die EU Entwicklungs- und Schwellenländern das Prinzip des freien Marktes aufgezwängt. Noch vor wenigen Jahren wurden ostafrikanische, pazifische und karibische Staaten mit den von den Europäern euphemistisch als "Wirtschaftspartnerschaftsabkommen" bezeichneten Knebelverträge offen erpresst. Und nun dreht Putin den Spieß um und geht genauso vor.

Wie zuvor erwähnt: Würde der Kremlchef nicht zugleich einen Angriffskrieg gegen die Ukraine mit bislang gut 5.700 zivilen Opfern [8] führen, wäre das fast amüsant.

Spannend wird auf jeden Fall, ob die EU ihrer geplanten unilateralen Preispolitik durchkommt. Bis zum Gas-Showdown mit Moskau können wir das ja selber mal an der Supermarktkasse ausprobieren und beim Bezahlen einen Käsepreisdeckel erklären. Wie viele Kunden an der Kasse, im Stadtteil, in der Stadt oder im Land müssten wir mitzuziehen überzeugen, damit der Supermarkt einknickt? Ja, eben …

Telepolis-Redakteur Thomas Pany jedenfalls kommt zu einer ernüchternden Bestandsaufnahme:

Die Zeichen stehen so, dass sich beide großen Wirtschaftsräume, der europäische wie der russische, auf größere Schäden einrichten müssen. Der Niedergang des Gasexportes in die EU trifft auch Russlands Wirtschaft schwer. Die Mär, wonach Russland nicht wirklich unter den Sanktionen zu leiden hätte, wird sich nur kurzfristig halten. Mit einem Gasgeschäft, von dem beide Seiten, Russland wie die EU, wirtschaftlich profitierten, ist es vorbei.

Artikel zum Thema:

Thomas Pany: EU plant Notbremse für Strom- und Gaspreise [9]
Bernd Müller: Ölembargo: Bundesregierung garantiert erneut Bestand von Raffinerie in Schwedt [10]
David Goeßmann: Wollen wir wirklich die maximale Katastrophe? [11]


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-7258410

Links in diesem Artikel:
[1] https://issuu.com/bdi-berlin/docs/20220906_umfrage_bdi_lagebild_mittelstand
[2] https://www.heise.de/tp/features/Russland-und-der-Westen-Wem-nuetzen-die-Sanktionen-7256828.html
[3] https://www.heise.de/tp/features/Hohe-Gaspreise-Spediteure-warnen-vor-Ausfall-Hunderttausender-LKW-7256270.html
[4] https://www.heise.de/tp/features/Fossiler-Luxusstrom-Markteingriffe-loesen-das-Grundproblem-nicht-7256652.html
[5] https://www.heise.de/tp/features/Aus-dem-Westen-nichts-Neues-Inwiefern-die-Wahl-der-neuen-RBB-Intendantin-Probleme-nicht-loest-7257580.html
[6] https://www.heise.de/tp/features/Oeffentliche-rechtliche-Sender-unter-politischem-Druck-7253012.html
[7] https://www.heise.de/tp/features/Warum-die-Rundfunkgebuehren-erhoeht-werden-muessen-7252869.html
[8] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1297855/umfrage/anzahl-der-zivilen-opfer-durch-ukraine-krieg/
[9] https://www.heise.de/tp/features/EU-plant-Notbremse-fuer-Strom-und-Gaspreise-7257973.html
[10] https://www.heise.de/tp/features/Oelembargo-Bundesregierung-garantiert-erneut-Bestand-von-Raffinerie-in-Schwedt-7251040.html
[11] https://www.heise.de/tp/features/Wollen-wir-wirklich-die-maximale-Katastrophe-7249932.html