Für lange Zeit kein Erfolg

Irak: eine Studie über den Stand des Wiederaufbaus findet "rückläufige Bewegungen" statt die angekündigten Fortschritte

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Auch wenn der Präsident und seine Regierung in den nächsten heißen Wahlkampfwochen unter dem wachsenden Druck stünden, nach Möglichkeiten zu suchen, um einen "Erfolg" im Irak zu "definieren", sei dies ein "gefährlicher Kurs", denn der "Irak wird für lange Zeit kein 'Erfolg' sein". Zu diesem Ergebnis kommt eine heute veröffentlichte Studie des Center for Strategic and International Studies (CIS), die sich mit dem derzeitigen Stand des Wiederaufbaus im Irak auseinandersetzt.

"Fortschritt oder Gefahr: eine Einschätzung des Wiederaufbaus im Irak" heißt die Studie, der eine erhebliche Datenmenge zugrunde gelegt wurde: "Hunderte von Medienberichten in vier Sprachen; über 300 Datenangaben aus offiziellen US-Dokumenten; 16 Meinungsumfragen im Irak, die sich bis August letzten Jahres erstrecken und Interviews mit 700 Irakern aus 15 Städten, die im Juni diesen Jahres durchgeführt wurden".

An fünf tipping points - ein Begriff, der vom amerikanischen Autor Malcolm Gladwell stammt und in etwa mit "Wendepunkt" übersetzt werden könnte - sollte die Studie erfassen, wieweit der Wiederaufbau im Irak im Bereich der "Sicherheit", der "Regierungsfähigkeit und Partizipation", der "wirtschaftlichen Möglichkeiten", der "Grundversorgung " und des "sozialen well-being" eine Schwelle erreicht hat, wo eine Veränderung zum Besseren zu erwarten ist.

Man habe sich um realistische Zielsetzungen bemüht, so die Verfasser der Studie, und möglichst einfache Standards angesetzt, die mit den Erwartungen (und Versprechen) korrespondieren würden, die im Hinblick auf den Wiederaufbau im Irak seitens der Regierung oft geäußert wurden. Die zugrunde liegenden Statements für die "fünf Wendepunkte" sind elementar, einfach, große Ansprüche werden nicht erhoben ("not overly ambitous"). Bei Sicherheit wurde z.B. nach der Einschätzung folgendes Statements gefragt: "Ich fühle mich in meinem Haus und während meiner täglichen Aktivitäten sicher", bei governance and participation hieß das Statement: "I have a say in how Iraq is run", bei den "wirtschaftlichen Möglichkeiten": "Ich verfüge über Einkommen", bei der "Grundversorgung" wurde nach dem Zugang zu Strom, Wasser und hygienische Versorgung gefragt, und das soziale Befinden wurde nach dem Statement: "Meine Familie und ich sind im Krankheitsfall abgesichert ("health care") und meine Kinder gehen zur Schule" eingeschätzt.

Das Ergebnis ist selbst für "Realisten" ernüchternd: Das Land befinde sich noch lange nicht auf einer Bahn, die zu einem Wendepunkt verlaufe. Ganz im Gegenteil:

In jedem Sektor, den wir untersuchten, erkannten wir rückläufige Bewegungen in den letzten Monaten.

Zwar haben die Verfasser der Studie einen gewissen Grad an Optimismus und Zuversicht bei den befragten Irakern ausgemacht, was auch in einigen Zeitungsmeldungen hervorgehoben wird, aber dieser Optimismus erschien den Verfassern in einigen Fällen "unrealistisch" und sehr flüchtig:

Irakischer Optimismus und Geduld halten irgendwie an. Man muss sich allerdings darum bemühen, weil sie sich leicht verflüchtigen könnten, vor allem wenn die irakische Regierung nicht mehr Erfolg hat als die CPA (Bremers provisorische Besatzungsregierung, Anm. d. A.), um den richtigen Kurs im Irak einzuschlagen...Der Optimismus könnte sehr wohl in die andere Richtung schwingen, wenn die Ereignisse im Irak weiterhin den negativen Trends folgen

Auch wenn sich weniges tatsächlich zum Besseren verändert habe, wie z.B. die Zahl der Krankenhäuser - worauf die Bush-Regierung immer wieder hinweist -, so stünden diesen "leichten Veränderungen", die noch immer völlig unzureichend sind, massive Hürden gegenüber, welche die Verbesserungen völlig in den Schatten stellen - so dass sie von Irakern auch gar nicht wahrgenommen würden. Dazu muss man nicht einmal auf die großen bekannten Probleme im Land hinweisen, die Sicherheitslage vor allem, die sich ständig nur verschlechtert; auch der Blick auf die Situation vieler Kinder zeigt, dass der Irak auf dem Stand eines Entwicklungslandes ist: viele irakische Kinder, so die Studie, könnten überhaupt nicht in die Schulen gehen, weil sie dazu gezwungen seien, für den Lebensunterhalt der Familie mit zu sorgen.

Die Studie warnt auch davor, das die Amerikaner im Irak und die irakische Regierung wegen der sunnitischen und schiitischen Aufstände (viele der amerikanischen Soldaten sind in letzter Zeit von schiitischen Milizen getötet worden, dieser Gesichtspunkt wurde in Artikeln, die sich mit den 1000 gefallenen amerikanischen Soldaten beschäftigten, meist außer Acht gelassen) den "Unterstrom an Entfremdung" im kurdischen Norden ignorieren würden, Mosul und Kirkuk seien "tickende Zeitbomben". Die Bevölkerung im Norden sei mehr und mehr desillusioniert, was die USA (und die Führung der beiden kurdischen Parteien, die PUK und KDP) anginge.

Die Studie hält auch für diejenigen in der amerikanischen Regierung, die sich ständig über die Schwarzmalerei der Situation im Irak durch die Presseberichterstattung beklagen, ein bemerkenswertes "Nebenergebnis" bereit:

Die Medien waren nicht deutlich mehr negativ als andere Informationsquellen, was die Bereiche Sicherheit, Regierungsfähigkeit und wirtschaftliche Möglichkeiten angeht In den anderen Bereichen, Grundversorgung und soziales Befinden waren die Medien regelmäßig negativer, aber zugleich ausgewogener als öffentliche Quellen, da sie dazu neigen, Beschreibungen der Auswirkungen aus der irakischen Perspektive mit aufnehmen.

Resümierend erteilt die Studie einige Empfehlungen, die allesamt nicht neu sind, wie etwa die schnellst mögliche Ausbildung von irakischen Sicherheitskräften, die Entwicklung eines funktionierenden Justizsystems und weitere Bemühungen, die Besatzung des Irak zu "internationalisieren", aufhorchen lässt aber, wie genau die Verfasser den Kern des Problems herausgeschält haben, der endgültig mit dem lange in den USA lancierten "Befreiermythos" aufräumt:

Die USA sollten sich in ihren Erwartungen auf andauernden Groll und Entfremdung einstellen, sogar wenn die US geführten Wiederaufbaubemühungen scheinbar zu positiven Verbesserungen im Land führen, die sich quantifizieren lassen. In anderen Worten: die Besatzung wird nicht durch die Summe ihrer Konsequenzen beurteilt werden, sondern eher als Besatzung.

Grandiose Ziele und Projekte würden im Übrigen bei den Irakern nur eine kleine Resonanz auslösen; es wäre besser den Fortschritt daran zu knüpfen, ob er sich an irakischen Prioritäten messen lässt.