Fukushima, mon amour

Der Pariser Louvre versendet als Zeichen der Solidarität Kunstwerke nach Fukushima - Wie lange kann die französische Liebesgeschichte mit der Atomkraft noch dauern?

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Diese "Solidaritätsaktion", die Ende April bis September stattfinden soll, ist auf Grund der damit verbundenen Risiken für Menschen und Kunstwerke in Frankreich heftigst umstritten. Die Begleitung der Kunstwerke geschieht auf freiwilliger Basis, betont der Louvre. Die kritische Kunstzeitschrift La Tribune de l'Art meint nun, dass wohl eher krude, ökonomische Hintergedanken hinter dieser künstlerischen Solidarität mit Japan stecken. Zudem seien die 20 Kunstwerke, die nach Fukushima und zwei in andere Städte im Nordosten Japans versendet werden, von "geringer" Qualität. Ganz abgesehen davon, dass die Bewohner von Fukushima, der Präfekturhauptstadt der gleichnamigen Region, die bloß 70 km entfernt vom havarierten Kernkraftwerk gelegen ist, wohl andere Sorgen haben, als "ausrangierte" französische Kunstwerke zu bewundern.

Böse Zungen unken nun, dass die französische Solidarität vor allem von der Aussicht auf den gigantischen japanischen Dekontaminierungsmarkt geprägt sei. Gemeint sind gewisse Regierungsinteressen, die mit denen des Nuklearunternehmens Areva einhergehen. Areva konnte bislang immer auf tatkräftige, präsidentschaftliche Unterstützung zählen. Sarkozy bekräftigte - im Gegensatz zu seinem sozialistischen Rivalen, François Hollande - noch im Februar (Warten auf den Blackout in Frankreich), dass Frankreich auf keinen Fall die Ur-Oma der französischen Kernkraftwerke, Fessenheim, schließen werde.

Nicht gerade unabhängige Experten haben Anfang Februar der französischen Regierung empfohlen, die französischen Kernkraftwerke nicht zu schließen, sondern sogar deren Laufzeit zu verlängern. Gar um 40 Jahre soll diese verlängert werden, wie der Amtsinhaber - mit allerdings schlechten Umfragewerten - Nicolas Sarkozy schon mal propagiert hat. Vermeinen wir da die Stimme der französischen Atomlobby zu vernehmen?

Auf nach Fukushima!

Das Kulturministerium soll den Louvre Richtung Japan gedrängt haben. Was allerdings sofort dementiert wurde. Dieses Dementi wurde jedoch dann nach und nach wieder abgefedert. Offenbar sind auch im Kunstministerium Diplomaten am Dekontaminierungswerk. Leitmotiv: Die Wahrheit gilt es nicht zu viel und nicht zu wenig ans Licht der Öffentlichkeit dringen zu lassen.

Abgesehen von den französischen Sorgen um die "radioaktive" Louvre-Austellung musste währenddessen im Reaktor 2 des havarierten japanischen Kernkraftwerks von der vorgesehenen Kaltabschaltung zunächst abgesehen werden. Seit Anfang Februar war es zu heiß geworden in diesem nuklearen Alptraum.: 80 Grad wurden im Reaktor 2 gemessen. Doch wurden diese Hitzewallungen kurze Zeit darauf dementiert: Ein Thermometer sei defekt gewesen. Ende Februar sei die Situation wieder stabilisiert und eine Kaltabschaltung wieder möglich geworden.

Der Betreiber TEPCO gab allerdings an, dass es noch zehn Jahre benötigen werde, um die Brennelemente entfernen zu können. 3000 Angestellte von TEPCO und deren Subunternehmen werken in weltraumähnlichen, weißen Schutzanzügen an dem endgültigen Abbau des havarierten Kernkraftwerks. Manche von ihnen werden noch bis zu 40 Jahre vor Ort bleiben müssen. Die Arbeiten sind nur 2-3 Stunden pro Tag möglich.

Derweil wird der Pariser Louvre, bekanntermaßen Atomexperte seines Zeichens, nicht müde, nach all dem medialen Rummel um seine geplante Ausstellung in Fukushima radioaktive Entwarnung zu geben. So soll die in den Ausstellungsräumen des Museums in Fukushima-City gemessene Radioaktivität nicht höher sein als in allen anderen Museen der Welt. Doch bleibt ein kleines Problem: Auf dem Rasen vor dem Museum wurde ein Mikrosievert pro Stunde gemessen. Ein Wert, der manchmal sogar überschritten wird. Je nach Wetterlage, bzw. Windrichtung. Kommt der Wind vom havarierten Kernkraftwerk?

Letzten September wurden in der Stadt Dosimeter an Kinder von 4 bis 15 Jahren verteilt. Auch wenn im Kunstmuseum von Fukushima angeblich eine normale Radioaktivität gemessen wurde, wie auch der japanische Direktor des Museums versichert, bleibt jetzt nur noch eine Frage offen: Wie kann ein Ausstellungsbesucher vom kontaminierten Rasen, der freilich dieselbe überhöhte Radioaktivität aufweist, wie ganz Fukushima-City, strahlenfreien Fußes ins Museum zu den Louvrewerken gelangten?

Strahlung wie beim Röntgen

Der französische Ausstellungskurator erklärt, dass das alles halb so schlimm sei. Die Radioaktivität, der sich der Ausstellungsbesucher auf dem Rasen aussetze, entspreche ganz einfach der Strahlung, die man abbekomme, wenn man sich einer banalen Röntgenuntersuchung unterziehe. Nur dass man nicht allzu lange auf dem Rasen davor verweilen solle... Der japanische Museumsdirektor erklärt des Weiteren, dass gerade Dekontaminierungsarbeiten in der Stadt vorgenommen werden.

Das kritische französische Kunstmagazin erinnert daran, dass Reisen zu rein touristischen Zwecken nach Fukushima zur Zeit natürlich dringend abgeraten seien. Ihre Informationen beziehen die Kunstkritiker vom französischen Strahlenschutzinstitut IRSN (PDF). Es könnten nur dringende Angelegenheiten wie etwa familiäre Gründe eine Reise in die Region von Fukushima rechtfertigen. Ein amerikanisches Museum hat es hingegen vorgezogen, eine geplante Ausstellung in Fukushima abzusagen. Wird etwa angenommen, dass Franzosen strahlenresistenter sind als Amerikaner?

Das französische Strahlenschutzinstitut warnt französische Landsleute, die in der Region gelandet sind oder mit der geplanten Louvre-Ausstellung landen werden, vor unnötigen Risiken. Die Louvre-Austellung steht im Zeichen von "Begegnung, Liebe, Freundschaft und Solidarität" ("Rencontre, Amour, Amitié, Solidarité dans les collections du Louvre"), wie das radioaktive Kunstprojekt getauft wurde. Ob nun die französische künstlerische Solidarität den Einwohnern von Fukushima dabei hilft, die erhöhte Radioaktivität, welche vom bloß 70 km entfernten havarierten Kernkraftwerk Fukushima Dai-Ichi herkommt, ein wenig zu vergessen, sei dahingestellt.

Diese ach so "schöngeistige" Solidarität des Louvre wird übrigens von Japan gesponsert, und die versendeten Kunstwerke sollen nichts weiter als eine Art Recycling von Werken geringerer Qualität sein, wie das Kunstmagazin mäkelt. Dies alles sei sogar eine Beleidigung für die künftigen japanischen Ausstellungsbesucher.

Vor Ort weder essen noch trinken, noch Luft holen?

Die freiwilligen französischen Begleiter der Gemälde, Statuen und Skulpturen werden allerdings vor Ort ein Problem mit ihrer Ernährung haben. Das Strahlenschutzinstitut IRSN versucht den Franzosen vor Ort dabei zu helfen, eine hohe Strahlendosis zu vermeiden. Vom Verzehr von Pflanzen, die während der Katastrophe bereits Blätter trugen, wie Gemüse, das auf der radioaktiv kontaminierten Erde gezüchtet wurde oder auch Tee, wird dringend abgeraten.

Aber auch vom Konsum tierischer Produkte und allem, was aus dem Meer kommt, wird den Franzosen die in der Region um Fukushima, verweilen, dringend abgeraten. Die Warnungen gelten auch für Reis, der in dieser Region geerntet wurde. Champignons gehören selbstverständlich ebenfalls zu dieser Warnliste. Selbst solche, die aus einem Treibhaus stammen. Kräutern und dem berühmten japanischen Wasabi (japanischer Meerrettich) soll der Zutritt in die französischen Mägen verweigert werden. Doch wer denkt unter diesen Umständen noch an Sushi? Wie viel Radioaktivität nun japanische Mägen abbekommen, scheint das französische Strahlenschutzinstitut wenig zu jucken.

Die französischen Ausstellungsbegleiter werden sich wohl Proviant aus der Heimat mitnehmen müssen. Die Solidarität geht eben nicht immer durch den Magen. Sieht man sich all diese Vorsichtsmaßnahmen an, so werden sich wohl nur die ohnehin schon kontaminierten Bewohner von Fukushima-City zur Louvreausstellung wagen. Falls ihnen der Sinn unter diesen Umständen überhaupt danach steht.

Der Louvre hat übrigens das IRSN erstaunlicherweise nicht von seinem Ausstellungsprojekt in Fukushima und zwei anderen Städten im Nordosten Japans, informiert. Erst durch die Anfrage des Kunstmagazins bekam das Strahlenschutzinstitut die Info. Das IRSN zeigte sich einigermaßen überrascht von den Plänen des Louvre. Zudem soll das renommierte Museum nicht einmal versucht haben, Informationen über die herrschende Radioaktivität in den angepeilten japanischen Museen einzuholen. Doch das IRSN versichert, dass Gebäude im Inneren aller Erfahrung nach nicht kontaminiert seien Doch hier sind wohl Zweifel angebracht. Das IRSN ist eine staatliche Institution und untersteht u.a. dem französischen Verteidigungsministerium, in dem wohl kaum die Angst vor dem Atom umgeht.

Das IRSN macht sich allerdings nicht nur Sorgen um die menschlichen "Bodyguards" sondern auch um die Kunstwerke aus dem Louvre. Das Strahlenschutzinstitut empfiehlt, dass die Werke aus Frankreich in fein säuberlich abgedichteten Behältern aufbewahrt und erst an geschützten Orten, ohne jeglichen Kontakt zur radioaktiven Umwelt ausgepackt werden, um somit in den Museen kein Kotanimierungsproblem zu verursachen. Doch das staatliche IRSN widerspricht sich an anderer Stelle selbst, und rät den französischen Landsleuten an anderer Stelle, wie man verstrahlten Staub im Inneren der Häuser vermeiden kann: Empfehlenswert sei es, regelmäßig mit dem Staubsauger die Oberflächen von Möbeln und Teppichen zu dekontaminieren.

Kunstwerke mit einem Staubsauger dekontaminieren?

Eine hanebüchene Methode, die wohl den Gemälden oder flämischen Tapisserien aus dem XVI. Jahrhundert, die vom Louvre nach Japan versendet werden, nicht sonderlich gut bekommen sollte, wie das kritische Kunstmagazin anmerkt. Das Mitglied der unabhängigen Forschungskommission über Radioaktivität CRIIRAD, Roland Desbordes, zeigt sich wesentlich besorgter, als das IRSN, das keine radioaktive Kontaminierung in den japanischen Museen orten will. Desbordes schließt nicht aus, dass trotz all der Vorsichtsmassnahmen die Kunstwerke radioaktiv kontaminiert werden könnten:

Die Radioaktivität auf einem Objekt kann sich als labil erweisen oder sich einnisten. Auf einer glatten Oberfläche, wie z.B. Glas, kann sie leicht wieder entfernt werden. Aber um ein poröses Material wie Stein, zu dekontaminieren, ist man dazu gezwungen zu kratzen. Für eine Tapisserie oder ein Gemälde, wird die Angelegenheit natürlich komplexer und ziemlich delikat.(...) Ich finde es ziemlich eigenartig, unersetzliche Kunstwerke, in eine Region zu verschicken, von der man weiß, dass es Risiken gibt. Die Japaner sagen, dass sie die Situation unter Kontrolle haben. Aber es kann zu neuen Emission von Radioaktivität kommen. Das ist eher unwahrscheinlich, aber es ist durchaus möglich. Es ist aber hingegen durchaus nicht unwahrscheinlich, dass die Werke leicht kontaminiert nach Frankreich zurückkommen. Was tun in diesem Fall?

Desbordes stellt sich des Weiteren die Frage, welche Risiken die Begleiter der Werke mit ihrer Reise eingehen. Die Risiken seien während eines kurzen Aufenthalts relativ gering. Für die Nahrung hingegen sei das Verstrahlungsrisiko erwiesen.

In Japan sei es sehr schwierig geworden, nicht kontaminierte Nahrungsmittel zu finden. Die japanische Regierung kontrolliere die Situation nicht wirklich und lasse im ganzen Land kontaminierte Produkte zirkulieren. Die unabhängige Kommission zur Radioaktivität hat allerdings kein anderes Fazit als das staatliche Strahlenschutzinstitut: Selbst wenn die Verstrahlungsdosen gering ausfallen würden, sei eine Reise in die kontaminierten Präfekturen ungerechtfertigt. Kann eine Verstrahlung für eine Kunstausstellung als gerechtfertigt angesehen werden, fragen sich sowohl die unabhängige CRIIRAD wie das staatliche IRSN?

Die Japaner sorgen sich um ihre eigenen kulturellen Güter

Während der Pariser Louvre alle Hände voll zu tun hat, seine Kunstwerke vor der Strahlung in Fukushima in Sicherheit zu bringen, haben die Japaner nach der dreifachen Katastrophe vom 11. März letzten Jahres andere Sorgen als die französische Solidaritätsaktion: So weiß der japanische internationale Sender "NHK-world" vom verzweifelten Versuch japanischer Wissenschafter und Archäologen zu berichten, nationale kulturelle Güter zu retten. Manche vom Tsunami und der Radioaktivität arg mitgenommene Artefakte sind über 5000 Jahre alt, wie der Sender herausstreicht.

Um aus diesem nuklearen Albtraum so gut wie möglich herauszukommen, hat die japanische Regierung die Atomenergiebehörde IAEA darum gebeten, ein permanentes Büro in Fukushima, einzurichten. Eine Anfrage, welche die japanischen Medien einigermaßen überrascht haben soll, sei doch bislang die nukleare Sicherheit eine rein nationale Angelegenheit gewesen.

Was die nukleare Sicherheit in Frankreich nach Fukushima betrifft, so hat Greenpeace das Ergebnis des von der Regierung und der EU bestellten Sicherheitsberichtes strengstens kritisiert: Greenpeace weist auf die Überalterung der Meiler und die himmelschreienden Sicherheitsmängel der 19 französischen Kernkraftwerke hin, wie eine Aktion Anfang Dezember aufgezeigt hatte.

Aktivisten hatten ungehindert auf die Kuppel eines Reaktors klettern können und damit deutlich aufgezeigt, dass die französischen Kernkraftwerke nicht wirklich vor äußerlichen Eingriffen gesichert sind. Ein Tribunal, das neun Mitglieder des Greenpeacekommandos Ende Februar rechtlich zur Verantwortung ziehen sollte, erklärte sich als nicht ausreichend befähigt. Das Ganze wird dann wohl bei der Staatsanwaltschaft landen, geht es doch in nuklearen Fragen in der Grande Nation um die Staatssicherheit.

Ob nun die nukleare Katastrophe von Fukushima in den politischen Gemütern Frankreichs etwas ändern wird, steht stark zu bezweifeln. Noch-Präsident Sarkozy will nach wie vor das Energieproblem mit Nuklearenergie lösen. Trotz Hiroshima, Tschernobyl und Fukushima. Es bleibt dabei! Die Franzosen sollen sich gefälligst den Gefahren der unersetzbaren Atomkraft beugen, geht es nach dem Staatsoberhaupt. Gefahr hin oder her: "Même pas peur!"(Kein bisschen Angst.), wie es aus trotzigen französischen Kindermündern klingt. Wie lange kann die französische Liebesgeschichte (Bis dass der Tod euch scheidet) mit der Atomkraft noch währen? 65 Jahre nach Hiroshima hat nun anno 2012 der Pariser Louvre seine Liebe zu Fukushima entdeckt. Bis jetzt hält diese (fatale?) Liebe noch.

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