Gabriel bremst, wo er kann

Seite 2: Weniger Eis

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Der November ist für gewöhnlich nicht die Zeit, in der hier über den Zustand des arktischen Meereises berichtet wird. Doch in diesem Jahr ist eine Ausnahme angezeigt, denn die Vorgänge auf dem Polarmeer sind höchst ungewöhnlich. Eigentlich sollte der arktische Ozean und einige seiner Randmeere derzeit im raschen Tempo zufrieren.

National Snow and Ice Data Center der USA (NSIDC). Die farbige Linie markiert den Median, das heißt, zwischen 1981 und 2010 lag die Eisgrenze am häufigsten an der markierten Stelle

Doch davon ist im Augenblick nicht viel zu sehen. Spitzbergen ist noch völlig eisfrei und selbst um das etwas östlich davon gelegene Franz-Josef-Land, ein kleines zu Russland gehörendes Archipel, ist das Meer noch völlig offen. Obige Karte veranschaulicht, dass das Meer dort längst mit Eis bedeckt sein sollte.

Jedenfalls wenn man die 30 Jahre zwischen 1981 und 2010 als Maßstab nimmt, die natürlich bereits erheblich von der globalen Erwärmung gekennzeichnet waren. Mit anderen Worten: In früheren Jahrzehnten wäre eine noch größere Eisfläche die Norm gewesen. Ein Schnappschuss der Plattform Climate Reanalyser vom Montag zeigt den Grund, für das zögerliche Gefrieren. Über der Region um den Nordpol ist es viel zu warm.

Climate Reanalyser. Gezeigt ist die Abweichung der Lufttemperatur vom jeweiligen örtlichen Mittelwert für das spezielle Datum und den speziellen Ort für die Jahre 1979 bis 2000

Die Temperaturen lagen an diesem Tag zum Teil zehn Grad Celsius und mehr über dem Mittelwert der Jahre 1979 bis 2000. Und so sieht es dort schon seit Wochen aus. Die Oberflächentemperatur des Wasser nördlich von Skandinavien ist noch über null Grad. Auch um Spitzbergen und Franz-Josef-Land liegen die Temperaturen nur knapp unter null Grad Celsius, aber das Meerwasser gefriert wegen seines Salzgehalts erst bei etwa minus zwei Grad Celsius.

Ein Wort zu den dargestellten Daten. Diese wurden mit dem Wettervorhersage-Modell der US-amerikanischen Behörde für Atmosphäre und Ozeane NOAA generiert. Dafür werden mehrmals täglich tausende von Messdaten von Wetterstationen, Schiffsmessungen und Radiosondenaufstiegen, die zu einheitlichen Zeitpunkten aufgenommen werden, räumlich homogenisiert, das heißt, auf feste Gitterpunkte bezogen.

Um daraus eine Wettervorhersage zu machen, muss man nun das Modell mit ihnen füttern. Bei diesem Modell handelt es sich um ein System von Gleichungen, die den Zustand der Atmosphäre, ihren Energieimput (von der Sonne zum Beispiel, aber auch durch den Erdboden) und Output als Funktion von Raum und Zeit beschreibt.

Lässt man nun die Zeit in diesem Gleichungssystem laufen, so bekommt man für jeden Zeitschritt eine Vorhersage für die Entwicklung diverser Parameter wie Temperatur, Luftdruck, Niederschlag und so weiter. Letzteres ist aber für die Betrachtung der unten stehenden Abbildung nicht von Interesse, denn bei den dargestellten Daten handelt es sich nicht um diese berechneten Prognosen, sondern um den Input, mit dem das Vorhersagemodell gefüttert wurde. Sozusagen um aufbereitete Messdaten oder solche, die aus diesen unmittelbar abgeleitet wurden.

Aber zurück zum Meereis. Tatsächlich ist die Eisbedeckung derzeit die geringste je zu dieser Zeit registrierte und ihr Wachstum hat bereits mehrfach tagelang pausiert, wie an einer anderen Grafik des NSIDC abzulesen ist.

Je länger diese Zustände anhalten, desto dünner wird die Eisdecke im Frühling sein, wenn das Tauen wieder beginnt. Und um so schneller kann es unter der Sommersonne schmelzen oder von Stürmen aufgebrochen und zusammen geschoben werden.

Schon der letzte Winter war in der Arktis - relativ gesehen - sehr warm, so dass die Saison mit einer rekordverdächtig geringen Eismasse begonnen hat. Im Ergebnis wurde im September eine der geringsten Eisausdehnungen erreicht, obwohl die Wetterbedingungen im Sommer über der Arktis meist lange nicht so schlecht wie in einigen anderen Rekordjahren waren.

Oder mit anderen Worten: Je weniger Eis im Winter nachwächst (weil es nicht stark genug friert), desto mehr Wasser wird schon in durchschnittlichen Sommern freigelegt. Die nächste Sommersaison dürfte also wieder spannend werden.