Gasdeal und Gefangenenaustausch: Moskau und Kiew finden Lösungen
In der Ukraine wird von Nationalisten die Auslieferung von "Mördern und Terroristen" kritisiert, während die "Volksrepubliken" erklären, die Gefangenen seien gefoltert worden
Zum Jahresende gab es zwischen Russland und der Ukraine zwei Erfolgsmeldungen. Die Länder einigten sich am 31. Dezember doch noch in letzter Minute auf einen neuen Vertrag über die Durchleitung von russischem Gas durch die Ukraine nach Europa, so dass die Ukraine, sollte Nord Stream 2 trotz der Sanktionsandrohungen der USA und Turkstream nächstes Jahr oder die nächsten Jahre fertiggestellt werden, erst einmal die Hand im Spiel behalten wird. Russland kann sich hingegen so darstellen, dass man an einer gesicherten Gasversorgung jenseits aller politischen Zerwürfnisse festhält. Vorangegangen war am 29. Dezember der zweite Gefangenenaustausch unter Selenskyj.
Wladimir Putin und Wolodymyr Selenskyi scheinen einen Weg gefunden zu haben, politische Lösungen zu finden, wie das unter Vorgänger Poroschenko ausgeschlossen war. Die beiden Präsidenten diskutierten das neue Gasabkommen auch über Telefon, tauschten Neujahrsgrüße aus und beschlossen auch gleich die Aufstellung von neuen Listen für den nächsten Gefangenenaustausch. Hier sollen dann auch Gefangene aus der Krim und von inhaftierten Ukrainern in Russland getauscht werden. Dem Kreml ist daran gelegen, die Beziehungen zur Ukraine trotz des Konflikts vor allem über die Krim zu verbessern. Der Gasdeal habe eine "positive Atmosphäre zur Lösung anderer bilaterale Probleme" geschaffen, hieß es als Kommentar aus dem Kreml.
5 Jahre lang sichert der neue Vertrag nun Gaslieferungen durch die Ukraine, Anschlussverträge sind vorgesehen. 2020 sollen 65 Milliarden Kubikmeter durchgepumpt werden, danach jeweils mindestens 40 Milliarden, wenn möglicherweise Nord Stream 2 in Betrieb gegangen sein wird. Selenskyi spricht von mindestens 7 Milliarden US-Dollar an Einnahmen für die Ukraine. Zuvor hatte Gazprom 2,9 Milliarden US-Dollar an Naftogaz an Entschädigungen gezahlt, was den Deal ermöglicht hat. Die Ukraine hat zugestimmt, damit alle juristischen Auseinandersetzungen zu beenden, die seit 2009 schwelten, als die Ukraine die Pipelines wegen Auseinandersetzungen über Preise geschlossen hatten. Vermutlich wird die Ukraine auch wieder russisches Gas direkt kaufen.
Gelobt wurde vom Kreml auch der Gefangenenaustausch der nach den Übereinkommen, die das Normandie-Quartett am 9. Dezember erreicht hatte, angebahnt worden war und die weitere Umsetzung des Minsker Abkommens vorantreiben soll. Damit sind freilich die kniffligsten Fragen noch nicht gelöst. Der Gefangenenaustausch ist auch insofern interessant, weil hier von russischer Seite aus ukrainischer Sicht bedenkliche Personen freikamen, was Selenskyj viel Kritik eingebracht hat. Von den 81 nicht von Russland, sondern von den "Volksrepubliken" Freigelassenen, blieben 5 dort und gingen nicht in die Ukraine. Die Ukraine hingegen ließ 124 Gefangene frei, 14 weigerten sich in die "Volksrepubliken" zurückzugehen. In den Gefängnissen der "Volksrepubliken" sollen sich noch 300 Gefangene befinden.
Maidan-Morde und Berkut-Verdächtige
Unter diesen befanden sich mit Oleh Yanishevsky, Serhiy Zinchenko, Pavlo Abroskin, Serhiy Tamtur und Oleksandr Marinchenko 5 Angehörige der Berkut-Polizei, die unter Verdacht stehen, an der Tötung oder Verletzung von Maidan-Aktivitisten durch Schüsse beteiligt gewesen zu sein. Verurteilt worden waren sie noch nicht, aufgearbeitet sind die Maidan-Morde, die zum Putsch gegen die Janukowitsch-Regierung führte und den Mythos der "Himmlischen Hundert" begründete, noch keineswegs. Begründete Vermutungen gehen dahin, dass zumindest auch Maidan-Führer beteiligt gewesen sein oder Scharfschützen bezahlt haben könnten, um so einen Regime Change zu forcieren (Woher kamen die Todesschüsse? oder Maidanmorde: Aussagen weisen erneut auf Täter aus den eigenen Reihen).
Im November hatte das Staatliche Ermittlungsbüro (SBI) eine Einheit gegründet, um die Maidanmorde zu untersuchen, was bislang in den Händen der Generalstaatsanwaltschaft lag. Selenskyi hatte zuvor bereits den Generalstaatsanwalt Luzenko entlassen. Vor dem Gefangenenaustausch entließ er auch den SBI-Chef Roman Truba und setzte Iryna Venediktova an die Spitze der Ermittlungsbehörde. Sie hatte bis dahin den Rada-Ausschuss für Rechtspolitik geleitet. Ausgetauscht wurden vom neuen Generalstaatsanwalt Ruslan Riaboshapka auch für die Maidan-Ermittlungen tätige Staatsanwälte. Diese Umbildungen und der Personalaustausch könnte mit der Beurteilung der verdächtigen Berkut-Mitarbeiter zu tun haben. Zielrichtung war bislang, über die Ermittlungen gegen die Berkut-Mitarbeiter eine Mitwirkung Russlands an den Morden zu beteiligen.
Selenskyi verteidigte den Austausch und sagte, ein Austausch könne nicht die Toten zurückbringen, aber die Lebendigen. Die Freilassung der Berkut-Polizisten würde die Ermittlungen über die Maidan-Morde nicht beeinträchtigen.
Beim letzten Gefangenenaustausch wurde von Russland der Filmemacher Sentsov freigelassen, der wegen Terrorismus verurteilt worden war, während er in Kiew und im Westen als Held gehandelt wurde. Auf der anderen Seite kam Zemak frei, der vom JIT vom ukrainischen Geheimdienst in die Ukraine gewaltsam verschleppt worden und als MH17-Zeuge galt. Die niederländische Staatsanwaltschaft und Regierung versuchte dessen Austausch noch dadurch zu verhindern, ihn als Verdächtigen darzustellen. Dem ukrainischen Präsidenten war der Austausch wichtiger als vage Beschuldigungen. Zemak hat nun Klage gegen die Ukraine und die Niederlande beim EuGH eingereicht.
Die Terroristen der einen, sind die Freiheitskämpfer der anderen
Anders liegt der Fall bei anderen Ausgetauschten, etwa bei Tetjutsk Sieger, Sergei Baschlykow und Dvornikow Wladimir. Sie werden beschuldigt, am 22. Februar 2015 einen Anschlag auf eine Demonstration in Carkiw ausgeübt zu haben, bei dem vier Menschen starben. Sie waren zu einer lebenslänglichen Haftstrafe verurteilt worden.
Schwieriger ist der Fall von Druzhinin Evgeny, Stelnikowitsch Alexander und Geiger Victor. Sie sollen nach Darstellung des damaligen und weiter im Amt befindlichen Innenministers Awakow am 9. Mai 2014 an einem Angriff von bewaffneten Separatisten auf die Polizeistation in Mariupol beteiligt gewesen sein, an dem sich dann auch einige Polizisten beteiligten. Polizei mit der Nationalgarde rückten dagegen mit gepanzerten Fahrzeugen vor und schossen mit schweren Maschinengewehren, die Polizeistation fing Feuer. Pro-separatistische Demonstranten hatten sich vergeblich dazwischen gestellt. Bei dem Angriff sollen 20 Separatisten getötet und vier festgenommen worden sein, der Rest konnte flüchten. Was wirklich geschehen ist, ist umstritten. Einwohner sagten Medien wie der New York Times, dass die ukrainischen Sicherheitskräfte die Polizeistation angegriffen haben, da die Polizisten mit den Separatisten sympathisiert und gegen einen neu von Kiew eingesetzten Chef rebelliert hätten. Kurzzeitig übten die Separatisten die Kontrolle über die Hafenstadt aus.
Daneben wurden mutmaßliche Kriminelle, Mitglieder von separatistischen Milizen und angebliche Terroristen befreit, wobei auch hier oft die Beweislage schwierig ist und man vor allem dem ukrainischen Geheimdienst SBU nicht trauen kann. Aus der Ukraine wird zumindest behauptet, dass bei dem Gefangenenaustausch "angebliche Mörder und Terroristen mit Verbindungen zu Russland" ausgeliefert wurden. Bekannt geworden sind einige Namen durch Yuriy Butusov, Chefredakteur von Censor.net, einer seit 2004 bestehenden Online-Publikation, die 2013/2014 mit zum Sprachrohr der Maidan-Aktivisten wurde. Er hatte sie aber nur auf seiner Facebookseite aufgeführt und kommentiert. Radio Free Europe übernahm die Namen, andere Medien identifizierten einige der Ausgetauschten.
Die Sicht der "Volksrepubliken"
Nach einer Sprecherin der "Volksrepublik Donezk" erhielt diese aus der Ukraine 61 Personen, darunter 5 Frauen, 8 Russen und einen Weißrussen. 80 Prozent der von Kiew Freigelassenen seien keine DNR-Bürger. Die Gefangenen seien in der Ukraine gefoltert worden, behauptete sie. Ein Arzt aus der "Volksrepublik Lugansk" sprach davon, dass ein Drittel gefoltert worden sei.
Denis Shatunov stammt aus Odessa und war Teilnehmer an den Ereignissen, bei denen am 2. Mai 2014 40 Menschen im von rechten Nationalisten angesteckten Gewerkschaftshaus starben. Der Fall ist ebenso wie der der Maidan-Morde noch nicht aufgeklärt. Shatunow wurde zu 10 Jahren Gefängnis verurteilt, weil er angeblich einen von den Rechten getöteten Freund rächen wollte. Er sei nicht körperlich misshandelt worden, aber man habe versucht, ihn psychisch zu brechen, sagte er nach der Freilassung in der LNR. Er traue sich noch nicht nach Odessa zurück, obgleich beide Seiten versprochen haben, die Freigelassenen nicht mehr strafrechtlich zu verfolgen.
Kreml: Wir haben mit dem Austausch nichts zu tun
Der Kreml äußerte sich nicht konkret zur Auswahl der Gefangenen in der Ukraine. Diese sei von den Vertretern der "Volksrepubliken" getroffen worden, der Gefangenenaustausch werde von den Parteien ausgeführt, die sich in der Trilateralen Kontaktgruppe (Ukraine, OSZE, Russland) austauschen. Russland habe mit dem Gefangenenaustausch selbst nichts zu tun, sondern lege nur sein Gewicht in die Waage, damit er möglich wird.
Kremlsprecher Peskow weist bei der Gelegenheit darauf hin, dass die ukrainische Regierung weiterhin nicht direkt mit den Vertretern der "Volksrepubliken" verhandelt, sondern dies nur über den Umweg der Trilateralen Kontaktgruppe geschieht. Kiew meidet seit Beginn des Konflikts den direkten Kontakt, um zu vermeiden, die "Volksrepubliken" so praktisch anzuerkennen, deren Vertreter immer noch als Terroristen gelten. Die Weigerung hat von Anfang an eine Lösung und vor allem die Umsetzung des Minsker Abkommens erschwert oder verhindert.
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