Gaskrieg mit Moskau: Armdrücken ohne Muskeln

Zapolyarnoye-Öl- und Gasfeld, russische Arktis, 2021. Bild: Tscharsajew13, CC BY 4.0

Moskau stellt Energielieferungen ein und verstärkt militärische Drohungen. EU kann in beiden Fällen keine kraftvolle Antwort geben. Das ist verheerend. Ein Kommentar

Der Stopp der russischen Gaslieferungen an Polen und Bulgarien hat der Europäischen Union Mitte dieser Woche aufgezeigt, wie groß das Konfliktpotenzial im Kampf um die Ukraine ist. Es braucht keine tiefgründige Analyse, um die Taktik der russischen Führung zu verstehen:

Warschau und Sofia sind die ersten Opfer eines beginnenden Gas- und Wirtschaftskriegs, dessen Folgen für die Menschen in Europa ebenso wenig abschätzbar sind wie die des, natürlich schwerwiegenderen, russischen Angriffskriegs für die Menschen in der Ukraine.

Klar ist: Der Kreml macht Ernst, und zwar an allen Fronten. Der kurzfristigen Einstellung der Lieferungen an Polen und Bulgarien folgte die Rücküberweisung von Devisenzahlungen aus Deutschland und Österreich sowie die Warnung, die unabgestimmte Weiterleitung russischen Erdgases werde weitere Lieferstopps nach sich ziehen. Und dann sind da ja noch die immer offeneren militärischen Drohungen von Präsident Wladimir Putin.

Unabhängig von dem geopolitischen Konfliktpotenzial des Ringens um die Ukraine wird immer mehr Menschen eines deutlich: Die Warnungen von einem neuen Kalten Krieg können wörtlich genommen werden.

EU-Sanktionen gegen Russland (13 Bilder)

Erstes Sanktionspaket

Gezielte Sanktionen gegen 351 Mitglieder der russischen Staatsduma sowie 27 weitere Personen. Beschränkungen des Zugangs Russlands zu den Kapital- und Finanzmärkten, Kapital- und Finanzmarktdienstleistungen und der Wirtschaftsbeziehungen zu den nicht von der Regierung kontrollierten Gebieten der Regionen Donezk und Luhansk. Bild Staatsduma: Bernt Rostad / CC-BY-2.0

Denn wenn die westeuropäischen Gasspeicher in diesem Jahr nicht hinreichend aufgefüllt werden können – und alles deutet darauf hin, dass dies ernsthafte Schwierigkeiten bereitet – dürfte es in vielen Häusern und Wohnungen ungemütlich werden. Unerheblich, ob es in deutschen Heimen kalt wird, weil kein Gas vorhanden ist oder weil das knappe Gas nicht mehr bezahlbar ist.

Wird Joachim Gauck frieren?

"Wir können auch einmal frieren für die Freiheit", gab Ex-Bundespräsident Joachim Gauck unlängst in einer öffentlich-rechtlichen Talkshow vor. Aber wird Gauck frieren? Und wenn nicht: Wen meint er dann mit "wir"? Und welche Freiheit?

Je weiter das Jahr voranschreitet, desto mehr dürften die Erkenntnis in der Bevölkerung reifen, dass der Konflikt mit Russland auch westlich der Ukraine sehr konkrete Konsequenzen hat – wie nun auch erste Umfragen zeigen.

Natürlich ist der Krieg in der Ukraine näher als viele andere weltweit laufende Konflikte. Aber ist die darin begründete große Solidarität mit den Geflüchteten aus der Ukraine und den Menschen im dortigen Kriegsgebiet gleichzusetzen mit dem Willen, sich militärisch und wirtschaftlich auf einen bedingungslosen Konfrontationskurs mit Russland zu begeben?

Auch Olaf Scholz hat nach Artikel 56 des Grundgesetzes geschworen, dass er seine "Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden" wird.

LNG-Terminals und -Tanker (11 Bilder)

LNG-Terminal Ras Laffan in Katar. Bild: Matthew Smith / CC-BY-2.0

Diese Verpflichtung wird von ihm und anderen Volksvertretern in dem Maße stärker eingefordert werden, wie die wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Folgen zu spüren sind. Die Spritpreise waren da nur ein erster Vorgeschmack.

Der Lieferstopp an Polen und Bulgarien hat Russland wirtschaftlich kaum geschadet, aber in Westeuropa Schockwellen ausgelöst. Und auch wenn die Meldung von Rubel-Zahlungen aus Österreich von Kanzler Karl Nehammer als russische Fake News enttarnt wurden, zeigen sich private und staatliche Akteure zunehmend bereit, die Forderung Moskaus zu erfüllen und das Gas in Rubel zu bezahlen.

Nur Floskeln und Durchhalteparolen

Das liegt auch daran, dass von den Verantwortlichen in Brüssel und den europäischen Hauptstädten bis auf Floskeln und Durchhalteparolen wenig konkrete Lösungsvorschläge kommen. Vor allem Staaten des Westbalkan sind weitgehend abhängig von den Energielieferungen aus Russland.

Und die Solidaritätszusicherungen an sie dürfen leiser werden, wenn sich die Gasspeicher leeren. Der Zusammenhalt dürfte schwinden, wenn Herbst und Winter nahen.

Nun will die Europäische Union eine Einkaufsplattform schaffen, um, wie es in Brüssel heißt, ihr Gewicht auf dem Gas-Weltmarkt zu stärken. Aber die Teilnahme ist freiwillig und es stehen wettbewerbsrechtliche Einwände im Raum. Kaum jemand kann ernsthaft davon ausgehen, dass dieses Instrument die wirtschaftliche Unabhängigkeit vom russischen Energiemarkt kurzfristig wie nachhaltig zu stärken fähig ist.

Selbst deutsche Diplomaten, also wahrlich keine "Putin-Versteher", warnten bei internen Beratungen in Brüssel vor einer strikten Verweigerungshaltung gegenüber Russland. Dies, so fügten sie an, könnte schließlich zu Unterbrechungen der Lieferungen führen.

Die fehlende Glaubwürdigkeit der Europäischen Union im Gasstreit ist nicht nur verheerend, weil sie ihre Fähigkeit schwächt, Russland ökonomisch unter Druck zu setzen. Sie setzt auch das Wohl ihrer Bürger aufs Spiel.

Intelligente Politik hätte erst die Grundlagen für eine energiepolitische Unabhängigkeit von Moskau gesorgt, um es dann auf ein Kräftemessen ankommen zu lassen. So aber werden die Boykottdrohungen von der russischen Führung kaum erst genommen; ein Bumerang-Effekt dürfte sich einstellen.

Verlierer sind am Ende die Menschen in der Ukraine, die der militärischen Aggression, wenn das Scheitern der westeuropäischen Staaten offensichtlich wird, noch machtloser gegenüberstehen. Und die Menschen in der Europäischen Union, die die wirtschaftlichen Folgen schultern müssen. Das Konfliktpotenzial ist in beiden Fällen enorm.