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Die "Giga-Games" sind eröffnet

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Giga-Fernsehen, die schrille Party-TV-Internet-Maschine von NBC verkündet "The Future is you" - und was könnte diese Zukunft wünschbarer erscheinen lassen als saturnalische Dauerlizenzen zum Spielen. Schluss mit der Tyrannei zwangsflexibler Ordnungsgesellschaften, die hohe Arbeitsdisziplin und Frustrationstoleranz einfordern. Das Format Giga-Games setzt mit der Premiere am 30.11.2000 zum ultimativen Sprung in die Kidzone an.

Kids mutieren darin zu Olympioniken, Graffiti-Artisten oder reuelosen Killern, ohne ihre Eltern wegen dieser Bagatelle schon als Erziehungsversager zu outen. Spiel und Virtualität sind Blutsverwandte, schreiten gemeinsam aus der vorgeblich farblosen Realität heraus und lassen den kulturtheoretischen Diskurs verblassen, dass die Kultur im Spiel gründe. Die neuen Spiele überbieten Kultur im Spiel. Ab jetzt lautet die Parole der gigaresken Playzone "Zero tolerance" gegenüber dem Ernst des Lebens. Und der ist ohnehin schon angenagt, lässt uns doch beispielsweise die Nivellierung der Börse zum Roulette schon etwas länger an der Seriosität des Seriösen zweifeln.

Zerfetzten Digitalkörper als realer Existenzbeweis

Der neue "Homo Ludens" hat jedenfalls weniger Probleme mit den Härten der dritten industriellen Revolution als mit dem dritten Level, der bei jedem Update alle vormaligen Spielniveaus überbieten muss, wenn die Softwareprogrammierer nicht im Orkus der fossilen Spielgeschichte versinken wollen. Und viele sind dahingegangen, weil sie im Gewerbe der fotorealistischen Reizüberflutungen und Animationssensationen nicht mithalten konnten.

Die Imagination, die Hänschen brauchte, um aus drei Stühlen eine rollende Wohnzimmer-Eisenbahn zu machen, kennen die Kinder von Pokemon und Nintendo längst nicht mehr. Imagination kommt aus der Maschine - und kommt sie nicht daher, dann wird das Programm so gnadenlos ausgepunktet wie ein römischer Gladiator, den sein Publikum nicht mehr unter den Lebenden zu sehen wünscht. Die Fantasie der Mouseclick-Enthusiasten schrumpft nicht mal auf antike Daumengröße, sie ist sub specie ludis so überflüssig wie die Empfehlungen der Jugendschützer, die hinter jedem verirrten Egoshooter bereits den Terminator des Abendlands wittern. Den Untergang des Abendlandes besorgen die Konsolenzocker zuletzt, wenn sie über die Stränge hochorganisierter Gesellschaften schlagen, sich von der langweiligen Zivilisation in spieldarwinistischen Szenarien erholen. Egoshooter sind konditionierte Egomanen, die aber nicht mehr selbstverliebt ihr Antlitz im Teich betrachten, sondern die zerfetzten Digitalkörper als realen Existenzbeweis feiern.

Virtual born Killers brauchen nicht viel mehr als die Hetzjagd zum Show-down, der sich in der Vernichtung des immer währenden Bösen erschöpft. Hannah Arendt wird allerdings posthum überboten: Das virtuelle Böse ist noch banaler als das reale. So banal eben wie das Gute, austauschbar bis hypermoralisch. "Ich dachte, ich soll dich töten" verwunderte sich ein Moderator anlässlich der Giga-Games-Premiere, aber die Spielentgeisterten haben für so fröhliche Irrtümer und ironiefeste Semantik kein Lachen parat. Klar, das Dauerdrama der Vernichtung von Pixelbodys ist eben keins, wenn man die Dum-Dum-Geschosse aus der Konsole so lässig wegstecken kann wie die Gummibärchen im Giga-Studio. Waren die antiken Topgames in der römischen Arena etwa künstliche Seeschlachten ohne Second-Life-Garantie, werden die agonalen Lüste in der Playzone zur permanenten Wiederauferstehung. Voll krass das, wenn es nicht schon wieder so cool wäre, dass uns fast die Worte, aber nie Hype und Hits ausgehen.

Eine Gesellschaft, die immer dann Fortschritt schreit, wenn ihr sonst nichts einfällt

Der berühmte Spielkulturhistoriker Johan Huizinga erkannte in Spiel und Wettbewerb vitale Zivilisationsfunktionen, aber hinter der Zivilisation der Spielercommunities steckt zugleich auch die fröhliche Barbarei, die indes Adornos Verdikt gegen die Kulturindustrie nicht so recht wiederzubeleben vermag. Diese Barbarei ordnet sich dem Unbehagen an der Zivilisation unter. So paradox sind die Verhältnisse auf der Playstation: Die juvenilen Akkordspieler schicken sich selbst zum Spaßeinsatz aufs virtuelle Fließband immer neuer "Levels", ohne den Unterschied zwischen monotoner Arbeit und einförmigem Spiel noch erkennbar zu machen. Letztlich geht es den Zockereingeborenen um "Fun" und der widersetzt sich der semantischen oder kulturellen Aufschlüsselung, wie auch Huizinga den Spielern ante litteram beipflichtend zur Hilfe eilt.

In der Spaßtotale transzendieren die Youngsters Sachzwänge, um zugleich der vormaligen Hochkultur dreckig ins Gesicht zu lachen, wenn die denn überhaupt noch wahrgenommen wird. Das könnte das virtuelle Half-Life für einen Moment des Kulturpopularismus sympathisch machen, wenn nicht die digitalblutigen Egoshooter letztlich armselige Autisten wären, die ihre Identität an der Konsole abgeben, um sich nur noch mit dem Geschwindigkeits- und Vernichtungskitzel zu identifizieren. Was heißt aber Autisten?

Wir müssen nicht auf Johan Huizinga rekurrieren, der auch darauf hinwies, dass Spielgemeinden nach Spielende weiterleben. Der Typus des Spielerautisten gebärdet sich nicht nur hochkommunikativ, wenn es zur nächsten LAN-Party geht, sondern gemeinsam gezockt wird inzwischen weltweit. Folglich versucht auch "Giga-Games" die Gamer-Community zum Lob und Preis der sprudelnden Software zusammenzuschmieden und so spult sich die neue Spielspaß-Präsentation von Kids für Kids so locker ab, wie es coole Typen und die Spieleindustrie halt brauchen.

Wohin ziehen aber die Everlasting Action Heroes in der Zukunft der allgegenwärtigen Spiele? Darauf wussten auch die Giga-Gäste aus der zusammen getrommelten Zunft der Spieljournalisten nicht viel mehr zu antworten, als dass alles "irgendwie" zusammenwächst. Der Konsolenuser müsse an das Online-Spielgeschäft herangeführt werde, sich an die relative Offenheit von Internetszenarien gewöhnen. Dass Computer, Handy, SMS, Konsole, Internet und Communities zum "Melting Pot" nicht nur der Spieljunkies werden, ist nicht gerade revolutionäres Wissen in einer Gesellschaft, die immer dann Fortschritt schreit, wenn ihr sonst nichts einfällt.

In den Werbepausen der Giga-Games-Premiere hieß es jugendgesundheitsgerecht "Gib Aids keine Chance" Wie denn auch - in einem Kondominium der Männerspielwelt? Wenn die Multiplayer die Erregungen des fünften Levels suchen, bleibt für die Lustseuche ohnehin keine Zeit. Aber vielleicht lassen sich die Damen in Zukunft von Heldin Cate Archer inspirieren. Im euphorisch vorgestellten "No one lives forever" überzeugt Cate alias Mitzi Martin nicht nur dank Explosivbusen und Latex-Haut. Da gibt es auch noch Kates Roboterpudel mit Sprachsensoren: "Mitkommen - oder ich beiße Ihnen das Bein ab!" Augenscheinlich hat Frau Archer eine Ausnahmegenehmigung nach der neuen Kampfhundeverordnung erhalten. Krass das!