Gefährdet der Umweltschutz den Industriestandort Deutschland?
Pfas-Verbindungen erscheinen in Industrie unverzichtbar. Varianten sind so stabil, dass sie ewig im Trinkwasser bleiben. Das wirft Fragen auf.
Pfas, das sind weit über 10.000 Industriechemikalien, entwickeln sich zu einem gewaltigen Problem, das an den unbesorgten Umgang mit der Kernkraft hierzulande erinnert. Muss der Bürger jetzt auch bei Pfas das bisher nicht im Detail abschätzbare Gesundheitsrisiko übernehmen, um den deutschen Wohlstand zu sichern? Sind Arbeitsplätze wichtiger als die Gesundheit der Bevölkerung?
Die Tatsache, dass die sogenannten Ewigkeitschemikalien in der EU auf Initiative der im finnischen Helsinki ansässigen Echa jetzt sukzessive verboten werden sollen, sorgt hierzulande für Ängste, dass die deutsche Industrie ihre Wettbewerbsfähigkeit verliert.
Als sich jetzt der US-Konzern 3M dazu entschlossen hat, aus der Produktion von Pfas-Varianten auszusteigen und das Werk der 3M-Tochter Dyneon in Gendorf stillzulegen, hat sich Bayerns Wirtschaftsminister zu Wort gemeldet:
Leider können wir die unternehmerischen Entscheidungen von 3M nicht weitergehend politisch beeinflussen. Dennoch ist mir der Erhalt des Standorts Gendorf sehr wichtig, da sich dort die einzige Produktionsstätte von Fluorpolymeren in Europa befindet. Ich halte die Schließung für einen strategischen Fehler.
Auch die einschlägigen Industrieverbände nehmen Stellung gegen die von der Echa vorgeschlagenen Nutzungseinschränkungen, die eine Übergangszeit von mehr als einer Dekade haben sollen.
So wenden sich die beiden Verbände Spectaris für die Branchen Optik, Photonik, Analysen- und Medizintechnik, sowie VDMA für den Maschinen- und Anlagenbau gegen die beabsichtigten Einschränkungen der Pfas-Produktion und Nutzung.
Die Lobbyarbeit der Industrieverbände hat dazu geführt, dass die deutsche Politik die Pfas-Einschränkungen mehrheitlich ablehnt.
Risiken von Pfas in Umwelt, Lebensmitteln und Trinkwasser
Menschen können Pfas auf verschiedene Weise in ihren Körper aufnehmen. Dazu zählen Lebensmittel, wobei diese Stoffe bislang am häufigsten in Trinkwasser, Fisch, Obst, Eiern und Eiprodukten nachweisbar sind.
Nach Aussagen von Wissenschaftlern der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) weisen sowohl Kleinkinder als auch ältere die höchste Exposition gegenüber Pfas auf, wobei der Pfas-Spiegel bei Säuglingen hauptursächlich auf die Exposition während der Schwangerschaft und Stillzeit zurückzuführen sei.
Nach derzeitigem Stand der Erkenntnisse stellt die verminderte Immunantwort auf Impfungen die bedeutsamste Wirkung auf die Gesundheit des Menschen dar. Da davon hauptsächlich Kinder betroffen sind, kann man diese Folgen erst in Zukunft gesamtgesellschaftlich beurteilen.
Pfas wurden zumeist in den USA und damit in einem rechtlichen Rahmen entwickelt, in dem nicht der Produzent belegen muss, dass seine Produkte unschädlich sind, sondern derjenige, der Schaden erleidet, nachweisen muss, dass ein bestimmtes Produkt ihn geschädigt hat.
Ein gewichtiges Problem dabei ist die Tatsache, dass die meisten Pfas-Substanzen noch schwer nachweisbar sind, weil sie als Betriebsgeheimnis behandelt werden. Während der US-Rechtsrahmen sich als besonders industriefreundlich herausgestellt hat, zieht die EU das sogenannte Vorsorgeprinzip vor, das eine Schadensabwehr priorisiert.
Beim Vorgehen gegen einen verstärkten Pfas-Eintrag in Umwelt und Lebensmittel, der sich mangels Abbaumöglichkeiten dort immer weiter anreichert, wurden inzwischen für zahlreiche Anwendungsfälle schon Ausnahmen zugestanden.
Das genügt den Industrieverbänden jedoch nicht, die eine Umgestaltung der rechtlichen Rahmenbedingungen nach dem Vorbild der USA lieber sehen würden, allerdings ohne ein Risiko von solch enormen Schadensersatzansprüchen wie jenseits des Atlantiks.
Pfas-Funde in Deutschland
Im Raum Rastatt wurde Pfas in Äckern und im Grundwasser gefunden, welches offensichtlich auf das Ausbringen von mit Pfas belasteten Papierschlämmen zusammen mit Kompost als Dünger in der Landwirtschaft zurückgeht. Auf die gleiche Ursache wird auch der Pfas-Eintrag in Mannheim zurückgeführt.
Jüngst wurde Trifluoressigsäure (TFA) im Trinkwasser in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen nachgewiesen. Die Ursachen für das Vorkommen sind bislang bisher nicht eindeutig definiert. In beiden Fällen handelt es sich um Regionen mit einer traditionell hohen Industriedichte.
Möglicherweise handelt es sich auch um Abbauprodukte medizinischer Anwendungen. Die Tatsache, dass es für Trifluoressigsäure es bislang keine gesetzlichen Grenzwerte gibt, sollte nicht zur Annahme verführen, dass TFA im menschlichen Körper ohne Auswirkungen wäre.
So meldet die Studie "Die ewige Chemikalie im Wasser, das wir trinken" von Global 2000:
Die Bewertung der von Umweltschadstoffen ausgehenden Gesundheitsrisiken ist immer eine Herausforderung, vor allem wenn die Datenlage dürftig ist. Dies ist bei TFA der Fall, für das angesichts seines weit verbreiteten Vorkommens erstaunlich wenige toxikologische Studien vorliegen.
In dem Zusammenhang stellt sich die Frage: Wer ist für die Beseitigung von Pfas-Lasten zuständig? Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) legt sich hierzu wie folgt fest:
Die grundsätzliche Zuständigkeit für den Vollzug der Altlastensanierung liegt bei den Ländern. Das BMUV verfügt über keinerlei Finanzmittel zur finanziellen Unterstützung bei der Beseitigung von Pfas-Belastungen.
Pfas als unvermeidbares Lebensrisiko?
Im Kreuzfeuer um Pfas stellt sich die Frage: Entstand die Pfas-Problematik nur durch die inzwischen deutlich verbesserte Analytik? Und muss die Bevölkerung hierzulande die inzwischen bekannten Gesundheitsrisiken von Pfas akzeptieren, weil der deutsche Maschinenbau ohne Pfas dem Tode geweiht wäre?
Offensichtlich sieht die deutsche Politik bislang das Gesundheitsrisiko für den Verbraucher noch als vertretbar an. Dass der Verbraucher am Ende für die gesammelten Umweltsünden bezahlt, scheint dabei unvermeidbar. Denn er bezahlt mit seinem Geld oder sogar mit seinem Leben und dem seiner Nachkommen.
Bis heute scheint nicht entschieden, ob sich Deutschland und die EU aus dem Pfas-Risiko lösen können oder sich die Einwohner mit den erwartbaren Gesundheitsbeeinträchtigungen als Preis für ihren Wohlstand abfinden sollen.