Herdenschutz gegen Wolfsrisse: Erfolgsmodelle aus der Praxis
Während Nutztierhalter Verluste durch Wolfsrisse beklagen, sehen Naturschützer einen Erfolg für den Artenschutz. Wie Tierhalter Verluste begrenzen können.
Anfang Dezember hatte eine Naturschutzinitiative aus dem Westerwald per Eilantrag beim Verwaltungsgericht die Genehmigung für einen Wolfsabschuss gestoppt. Das Tier durfte vorerst nicht getötet werden. Es handelte sich um einen sogenannten Problemwolf, der mehrfach durch Risse von Schafen auffiel.
Demnach hat der Wolf einen wolfsabweisenden Schutzzaun überwunden und ein Schaf getötet. Im selben Zeitraum gab es einen ähnlichen Vorfall im benachbarten Nordrhein-Westfalen. Der problematische Wolf aus dem sogenannten Leuscheider Rudel im Westerwald hatte zweimal innerhalb weniger Wochen auf geschützten Weiden zugeschlagen. Deshalb sollte eigentlich kurz darauf mit der Jagd auf ihn begonnen werden.
Das Rudel lebt seit einigen Jahren im Grenzgebiet zwischen Westerwald und Nordrhein-Westfalen. Der Wolfsrüde habe seitdem immer wieder Schafe oder Ziegen gerissen, weshalb einige Landwirte und Nutztierhalter schon seit Längerem länger dessen Abschuss fordern, wie es hieß.
Zunächst müsse man den Eilantrag der Naturschutzinitiative und ähnliche Anträge anderer Naturschutzverbände ausführlich prüfen. Während dieser Zeit dürfe keine Jagd auf den Wolf gemacht werden, begründete das Gericht seine Entscheidung. Laut Bundesnaturschutzgesetz darf ein Wolf geschossen werden, wenn er innerhalb eines bestimmten Gebietes und Zeitraums mehrmals einen wolfsabweisenden Schutzzaun überwunden hat.
Allerdings ist es nicht leicht, den betreffenden Wolf zu finden und zu identifizieren. In dem Territorium, in dem sich die Wölfe befinden, können sie teilweise bis zu zwanzig Kilometer am Tag umherlaufen.
Jäger kritisieren wahlloses Abschießen von Wölfen
Die Voraussetzungen für einen Abschuss seien nicht gegeben, begründete der Vorsitzende der Naturschutzinitiative, Harry Neumann, die Klage. Die Jäger könnten jeden Wolf erschießen, den sie in dem festgelegten Bereich finden, kritisiert die Umweltinitiative. Damit werde ein ganzes Rudel zum Abschuss freigegeben.
Erst nach dem Tod eines Tieres könne durch einen DNA-Test festgestellt werden, ob es sich um den gesuchten Wolf ("GW1896m") handelt. Ein Abschuss nach aktuellen wissenschaftlichen Kenntnissen sei lediglich eine Scheinlösung und werde keineswegs zukünftige Weidetierrisse verhindern.
Die Regeln zum Abschuss des Wolfes werden selbst von Jägern angezweifelt: Auf diese Weise den richtigen Wolf zu erwischen, wäre ein riesiger Zufall, kritisiert Heiner Nöllgen gegenüber dem SWR. Wölfe gehören nicht zu den Tieren, die üblicherweise zu einem Ort zurückkehren, wo sie bereits Beute gemacht haben, glaubt der Vorsitzende der Kreisgruppe Altenkirchen im Landesjagdverband Rheinland-Pfalz. Wölfe würden sich immer wieder neu orientieren und auf der Nahrungssuche weite Strecken zurücklegen.
Schafzüchter fordert Quote für direkten Abschuss von "Problemwölfen"
Auch Werner Neumann aus Neuwied kritisiert das begrenzte Abschussgebiet. Als Vorsitzender des Landesverbandes der Schafhalter/Ziegenhalter und Züchter Rheinland-Pfalz fordert er den sofortigen Abschuss von Wölfen. Wölfe seien sehr mobil. Wenn man wisse, wo das Rudel sei, solle man die Wölfe auch dort bejagen. Er wolle nicht alle Wölfe abknallen, versichert der Schafzüchter. Doch aus seiner Sicht geht die Nutztierhaltung für den Menschen vor.
Erst im Oktober hatte Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) entschieden, den Abschuss von Problemwölfen zu erleichtern. Bereits nach dem ersten Riss könnten dadurch 21 Tage lang Wölfe im Umkreis von einem Kilometer von der betreffenden Weide getötet werden.
Die Ergebnisse eines DNA-Tests müssten dafür nicht mehr vorliegen. Bisher durften nur einzelne Problemwölfe abgeschossen werden. Voraussetzung dafür waren genetische Untersuchungen anhand von Riss- und Fraßspuren. Angesichts des Zuwachses der Wolfsreviere und zahlreicher Übergriffe auf Weidetiere wurden besonders die Stimmen aus der Landwirtschaft und Jagd immer lauter, die regelmäßig den Abschuss von Wölfen fordern.
Herdenschutzhunde helfen, Wölfe abzuwehren
Bei den oben genannten Fällen von Wolfsrissen in Rheinland-Pfalz seien wichtige Vorgaben wie höhere Zäune nicht umgesetzt worden, beklagte die ortsansässige Naturschutzinitiative. Konsequent und fachlich umgesetzter Herdenschutz sei elementar für nachhaltiges Nebeneinander von Wolf und Weidetierhaltung.
Längst gibt es Schaf- und Ziegenhalter, die Herdenschutzhunde – ergänzend zum Elektrozaun – erfolgreich einsetzen. Etwa Heike Dahm-Rulf im Demobetrieb Herdenschutzhunde Kirchwald. Sie investiert viel Geld und Zeit in Pyrenäen-Berghunde.
Weil die Hunde in der Schafherde aufwachsen, halten sie sich selbst für ein Schaf – und verbellen daher alle möglichen Angreifer, um ihre Herde zu verteidigen. Allerdings: Nicht jeder Schafhalter kann sich einen solchen Hund leisten.
BUND ist in der Frage nach Wolfsbejagung gespalten
Im Fall des oben genannten Problemwolfes in Rheinland-Pfalz befürwortet der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) dessen schnellen Abschuss. Habe ein Wolf gelernt, den Herdenschutz zu überwinden, sei die Wahrscheinlichkeit groß, dass er dieses Verhalten wiederholt, begründet Charlotte Reutter vom BUND Rheinland-Pfalz im Interview mit dem SWR. Dies diene dem Schutz der Nutztiere und fördere auf der anderen Seite die Akzeptanz des Wolfes.
Der BUND-Landesverband Nordrhein-Westfalen lehnt die Entscheidung zur Absenkung des Schutzstatus des Wolfes auf EU-Ebene von "streng geschützt" auf "geschützt" vehement ab. Der "billige" Abschuss unbequemer Arten wie dem Wolf sei keinesfalls eine nachhaltige, langfristige Strategie für eine zukunftsfähige heimische Weidetierhaltung, erklärt Holger Sticht, Vorsitzender des BUND NRW.
Werde jetzt die Liste der geschützten Tiere für den Wolf geöffnet, wecke dies Begehrlichkeiten in Hinblick auf andere Tierarten wie etwa den Abschuss von Bären, Biber, Elch, Kormoran oder andere als lästig empfundene Tiere.
Niedersachsen fördert Herdenschutz
Karl Gustav Laser hält Heidschnucken im Naturschutzgebiet Gifhorner Heide in Niedersachsen. Als Wolfsbeauftragter der Stadt Gifhorn hält er eine Koexistenz von Wolf und Menschen für möglich. Auch wenn er es als sinnvoll erachtet, Wolfsbestände zu "regulieren", ist er doch dagegen, einen Wolf abzuschießen, weil er ein Schaf gerissen hat, während die Einzäunung auf der Weide mangelhaft war.
Das sei nicht Fehler des Wolfes, sondern des Menschen, erklärt der Schäfer im Interview mit Arte. Er habe schon hohe Verluste hinnehmen müssen, die durch Menschen verursacht wurden. So hätten Leute Schafe von seiner Weide entwendet und oft sogar vor Ort geschlachtet. Auch habe er mit ansehen müssen, wie fremde Hunde auf seine Schafe losgegangen seien, während er sie hütete.
Bejagung ist keine Alternative
Niedersachsen entschädigt seine Schäfer mit Ausgleichszahlungen für gerissene Tiere und fördert den Bau spezieller Herdenschutzzäune. Die Installation der Zäune wird hier vom Nabu unterstützt.
Peter Schütte leitet das Herdenschutzprojekt. Er hält nichts davon, Wölfe zu "regulieren". Denn auch wenige Wölfe können Schafe reißen – wenn keine Herdenschutzzäune installiert sind. Es werden auch nicht mehr Wölfe in einem Territorium, sondern diese verteilen sich auf mehr Territorien.
Laut Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes zum Wolf (DBBW) erfolgt die weit überwiegende Zahl der Übergriffe auf Haus- und Nutztiere wegen unzureichenden Herdenschutzes. Glaubt man Peter Herold, so gab es europaweit Versuche, durch ein "Bestandsmanagement" der Wölfe Risse von Weidetieren zu reduzieren – ohne Erfolg. Die Bejagung der Wölfe in der Slowakei, in Spanien und im Baltikum wurde daher wieder aufgegeben.
Auch in Frankreich untersuchte man, wie sich eine großangelegte Wolfsbejagung auf die Anzahl der Weidetierrisse auswirkt. Ergebnis: Trotz der Entnahme eines Fünftels der mutmaßlichen Wolfspopulation gingen die Risse nicht zurück.
Der Wolf war gerade mal 200 bis 300 Jahre aus unseren Ökosystemen verschwunden. Ob wir Menschen lernen werden, mit dem Wolf zu leben, werde wohl auch davon abhängen, ob wir lernen, uns als Teil eines großen Ganzen zu verstehen, glaubt Biologe Peter Herold.
Wölfe sind gekommen, um zu bleiben
Hierzulande wanderten die Wölfe aus Polen zunächst in die Lausitz ein. Seit dem Jahr 2000 breiten sich Wölfe immer weiter aus. 2022/2023 gab es in Deutschland 184 Wolfsrudel, 47 Wolfspaare sowie 22 sesshafte Einzelwölfe. Außer in Rheinland-Pfalz erobern Wölfe Gebiete in Sachsen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen. Nachgewiesen wurden Wölfe zudem in Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein und Thüringen. Die Zahl der verletzten oder getöteten Nutztiere durch Wolfsübergriffe lag 2022 bei mehr als 4.000.
Die Umweltstiftung Greenpeace unterstützt in Zusammenarbeit mit dem Lupus-Institut eine intensive Bestandsüberwachung, um die Entwicklung der Population im Blick zu haben und um Bevölkerung und Nutztierhalten frühzeitig über die Anwesenheit von Wölfen zu informieren.
Auch die Gesellschaft zum Schutz der Wölfe e.V. (GzSdW) wendet sich deutschlandweit beratend an Bevölkerung, Landwirtschaft, Jägerschaft und Politik. Sie will falsche Vorurteile abbauen und praktische Hilfestellung im Umgang mit dem Wildtier geben.
Wölfe schützen die Wälder
Eine Studie an der Fachhochschule Eberswalde untersucht die Entwicklung des Verbisses von Schalenwild an kleinen Bäumchen im Zeitraum von 2008 bis 2021 unter dem Einfluss von Wölfen in diversen Forstgebieten in Sachsen-Anhalt. Ergebnis: Mit wachsenden Wolfsbeständen ging der Verbiss um 90 Prozent zurück.
Der Biologe Peter Herold bezweifelt zwar, dass dieses Ergebnis nur auf den Wolf zurückzuführen ist, räumt aber ein, dass "Wölfe durch ihre Jagd riesige Schalenwildbestände so in Bewegung halten, dass ein starker Wildverbiss nicht mehr möglich" sei.
Beutegreifer töten vor allem junge, kranke und schwache Tiere und halten so die Bestände der Beutetiere gesund. Mit dem Erscheinen des Wolfes verändert sich das Verhalten der natürlichen Beutetiere wie Rot- und Rehwild etc., argumentiert auch Pro Wildlife. Sie ändern ihre Routen, erscheinen unregelmäßig an ihren Äsungsplätzen und meiden bestimmte Gebiete komplett. Auf diese Weise können sich junge Triebe entwickeln, die sonst abgefressen werden.