Geflüchtete Russen – nur willkommen zum Vorteil deutscher Wirtschaft

Bürokratischer Schutzwall gegen Wehrdienstflüchtige? Der Hauptsitz des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge in Nürnberg. Foto: Nico Hofmann / CC-BY-SA-3.0

Wer vor dem Kampfeinsatz im Ukraine-Krieg flieht, hat trotz anderslautender Versprechen wenig Chancen auf Asyl. Andere Einreisemöglichkeiten gibt es. Aber nicht für viele.

Die Abschottung Deutschlands gegenüber Flüchtlingen ist aktuell ein populäres Thema. Gegen keine andere Nationalität ist sie wohl schon so gut organisiert wie gegenüber russischen Staatsbürgern. Obwohl ja im immer totalitäreren Russland ja genug Fluchtgründe bestehen. Die Ostgrenze der EU ist durch pauschale Einreisesperren zahlreicher Staaten gegenüber Russen für sie kaum überwindbar, Direktflüge existieren seit über einem Jahr ebenfalls nicht mehr.

Kommen Russen dennoch ins Bundesgebiet und stellen Asylanträge, weil sie nicht beim Krieg in der benachbarten Ukraine mitkämpfen wollen, kommt es häufig zu Ablehnungen, da eine weitere Mobilisierung in Russland nach Ansicht der zuständigen deutschen Behörden gar nicht so wahrscheinlich sei.

Auf der anderen Seite werden russischen Männern Besuchsvisa für den Aufenthalt bei Angehörigen Deutschland von den Konsulaten verweigert, da sie ja bei einer kommenden Mobilisierungswelle vielleicht nicht in ihr Heimatland zurückwollen.

Nur etwas einfacher haben es Ukrainer, die aus Gewissensgründen nicht im Ukraine-Krieg mitkämpfen wollen. Zwar ist ihnen offiziell die Ausreise aus dem Land von der eigenen Regierung verboten; und auch ein Recht auf Kriegsdienstverweigerung gibt es seit Februar 2022 nicht mehr. Schaffen sie es jedoch, ihr Land illegal in Richtung Deutschland zu verlassen, bekommen sie einen befristeten Aufenthaltsstatus für das Bundesgebiet wie alle ukrainischen Kriegsflüchtlinge.

Offen bleibt jedoch die Frage der Bestrafung ihrer nach ukrainischem Recht illegalen Flucht vor dem Kriegseinsatz, wenn ihr Aufenthaltsrecht in Deutschland irgendwann ausläuft. Denn die Strafe für die Flucht vor dem Kriegseinsatz ist nach dortigem Recht eine mehrjährige Haft.

Sevim Dagdelens Anfrage an die Bundesregierung

Die gesamte Situation nahm die linke Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen aktuell zum Anlass, sich mit einer Anfrage an die Bundesregierung zu wenden. Gegenüber Telepolis erklärte sie ihre Motivation: Wer sich dem Krieg entziehen wolle, müsse in Deutschland Aufnahme und Schutz finden können. "Das sollte gleichermaßen für russische Staatsbürger gelten" meint Dagdelen.

Auch gegenüber der finanziell ja massiv unterstützten Regierung in Kiew müsse sich die Bundesregierung dafür einsetzen, "dass Kriegsdienstverweigerer anerkannt werde oder legal ausreisen dürfen".

Fragen an die Bundesregierung sind in der Tat berechtigt. Noch im September 2022 hatte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) anlässlich der ersten Mobilisierungswelle in Russland groß verkündet:

"Wer sich dem Regime von Präsident Wladimir Putin mutig entgegenstellt und deshalb in größte Gefahr begibt, kann in Deutschland wegen politischer Verfolgung Asyl beantragen".

Sekundiert wurde Faeser damals von weiteren Vertretern der Ampel-Koalition. Der Grünen-Politiker Erik Marquardt forderte ein EU-Aufnahmeprogramm für Männer, die vor dem Kriegsdienst flüchten, FDP-Bundesjustizminister Marco Buschmann verkündete vollmundig auf Twitter "Anscheinend verlassen viele Russen ihre Heimat: Wer Putins Weg hasst und die liberale Demokratie liebt, ist uns in Deutschland herzlich willkommen".

Da diesen Willkommensaddressen und Absichtserklärungen in der folgenden Zeit keine (positiven) Taten folgten, sind heute die meisten russischen Flüchtlinge vor dem Kriegsdienst in Georgien, Kasachstan und der Türkei wohnhaft. Dort konnten sie visumfrei einreisen, haben aber einen unsicheren und oft befristeten Aufenthaltsstatus. Bei einer Rückkehr in die Heimat würden ihnen im Falle einer Verurteilung wegen Umgehung der Wehrpflicht oder Entziehen der Einberufung mehrjährige Haftstrafen drohen. Das ist der Bundesregierung bekannt, wie aus ihrer Antwort auf Dagdelen Anfrage zum Thema hervor geht.

Als es aktuell zu einer Annäherung zwischen der russischen und georgischen Regierung kam und Putin für die Georgier Visumpflicht und Direktflugverbote aufhob, kam es sofort zu Unruhe unter der russischen Diaspora im Kaukasus-Land.

Der georgische Politologe David Darchiashvili erklärte gegenüber der exilrussischen Onlinezeitung Meduza, dass ein Tauwetter zwischen den beiden Staaten "gewisse Probleme" für russische Oppositionelle, Journalisten und Aktivisten verursachen könne, die sich jetzt in Georgien aufhalten. Etwa schwarze Listen von oppositionellen Russen, die die Georgier auf Wunsch Moskaus an der Einreise hindern.

Nur sehr wenige Asylanträge von Russen bewilligt

Auf Dagdelens Anfrage legte die Bundesregierung auch Zahlen offen, was von Russen gestellte Asylanträge angeht. Viele davon waren bereits zuvor bekannt. Die Menge der Asylsuchenden aus Russland steigt trotz der schwierigen Anreise ständig. Alleine von Januar bis März 2023 weist ein Bericht des zuständigen Bundesamtes 2.381 Erstanträge aus.

Eine Asylberechtigung oder einen Flüchtlingsschutz erhielten im gleichen Zeitraum 112, wenn man den etwas schwächere "subsidiären Schutz" nach dem Asylrecht mitzählt. Schon 2021 war die Anerkennungsquote für Flüchtlinge aus Russland in Deutschland nur etwa halb so hoch wie in Frankreich oder Österreich.

Die vom Auswärtigen Amt gerne rezitierten intensiven Einzelfallprüfungen im Asylverfahren scheint also für Russen sehr restriktiv auszufallen. Nach offenen Armen für politische Flüchtlinge aus Putins Herrschaftsgebiet klingen solche Zahlen nicht. Es handelt sich um die zweitniedrigste Quote in der Top Ten der Herkunftsländer, obwohl die politischen Zustände in Russland mit Sicherheit aktuell nicht freier sind als in Vergleichsstaaten mit einer wesentlich höheren Anerkennungsquote.

Wer in Russland nicht einverstanden ist, mit dem totalitären Kurs, oder selbst vor einem möglichen Einsatz in einem Angriffskrieg nach Deutschland flüchten will, hat nur eine Chance auf politisches Asyl, wenn er oppositionelle Tätigkeit und politische Verfolgung nachweisen kann.

Angesichts der Gefahr für die eigene Freiheit - jede öffentliche Äußerung gegen den Krieg kann in Russland sofort zu einer mehrjährigen Haftstrafe führen - kann dieser Weg niemandem empfohlen werden. Er kam nur den aktiven Oppositionellen zugute, die zeitnah nach dem Kriegsausbruch und der totalitären Wende in ihrem Heimatland dieses verließen und solche Aktivitäten noch aus Zeiten nachweisen konnten, wo sie weniger gefährlich waren.

Nur Hochqualifizierte mit deutschem Jobangebot haben es leicht

Der einzige gangbare Ausweg für Russen in Richtung Deutschland ist die Einreise per Visa für russische Fachkräfte, wenn sie ihr Land verlassen wollen. Diese können von ins Ausland geflüchteten Russen, wie das Auswärtige Amt Telepolis bestätigte, inzwischen sogar in deutschen Vertretungen in Drittstaaten beantragt werden.

Hierfür muss man aber aus dem Ausland ohne Möglichkeit eines persönlichen Kennenlernens einen deutschen Arbeitgeber finden, der einen einstellt. Für die "Blaue Karte EU", die einen stärkeren Aufenthaltstitel beinhaltet, muss daneben ein abgeschlossenes Hochschulstudium, eine Anstellung für ein Jahr und ein Mindestgehalt von 58.400 Euro nachgewiesen werden.

Außer hoch qualifizierten Fachkräften im technischen Bereich können diesen Weg nur sehr wenige derjenigen wählen, die Russland im letzten Jahr aus politischen Gründen verlassen haben. Sie sind auch nicht willkommen aus irgendwelchen humanitären Erwägungen: Sie sind für Deutschlands Wirtschaft ein Reingewinn in Zeiten es großen Fachkräftemangels.

Um es anders auszudrücken, lautet der Kurs der deutschen Bundesregierung gegenüber mit ihrer Regierung und deren Krieg nicht einverstandenen Russen: Wenn es nur aus moralischen Gründen geboten wäre, dass Ihr kommt, tun wir alles, damit Ihr wegbleibt. Aber wenn wir selbst davon mehr haben als Ihr, könnt Ihr einreisen. Das scheint die reale Maxime der werteorientierten Außenpolitik zu sein, von der Spitze des Auswärtigen Amtes immer die Rede ist.