Gefühlte Eigenschaften

Warum Sie einen zähen Verhandlungspartner lieber auf einem Plastikhocker als auf einem Plüschsessel platzieren sollten

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Wenn im Film ein unbequemer Geschäftspartner weichgekocht werden soll, wenn es darauf ankommt, dem verstockten Verdächtigen endlich ein Geständnis zu entlocken - dann kommen oft besonders harte und unbequeme Sitzmöbel zum Einsatz. Die Idee dahinter ist klar - dem Gegenüber soll das Ausharren erschwert werden. Gleichzeitig passiert aber noch etwas anderes, wie US-Forscher vom MIT, aus Harvard und Yale in der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsmagazins Science berichten: Die Meinung der Person über ihr Gegenüber ändert sich, was sich natürlich auch zu Gunsten einer Seite ausnutzen lässt.

In mehreren Experimenten haben die Wissenschaftler erforscht, welchen Einfluss der Tastsinn generell auf unsere Einstellungen hat. Dass sich bei der Einschätzung von Dingen und Personen stets rationale Information mit unterbewusst empfangenen Signalen mischen, ist dabei schon länger bekannt. So funktioniert das „Bauchgefühl“ - Experten raten, gerade bei komplizierten Entscheidungen vor allem darauf zu vertrauen. Mit diesem Instrument arbeitet aber auch die Werbung, wenn es um die Gestaltung von Produkten geht. Man weiß zum Beispiel, dass dasselbe Wasser besser schmeckt, wenn es aus einer stabilen statt aus einer labbrigen Flasche getrunken wird.

Trotzdem wird ausgerechnet der Tastsinn oft unterschätzt. Immerhin bietet er dem noch ungeborenen Menschen die allerersten Sinneseindrücke. Die Hand, über die er im Alltag primär vermittelt wird, handelt aktiv - da umschwirren nicht ein paar Duftmoleküle zuverlässig unsere Nasenschleimhäute, sondern es erfolgt eine aktive Exploration, selbst wenn man die Beschaffenheit des Materials vielleicht nicht einmal bewusst registriert. Dabei arbeiten sensorische und motorische Systeme Hand in Hand. Die Beschaffenheit eines Gegenstands verrät vielleicht, mit welchen Muskeln er bequemer zu halten ist, und durch ein aktives be-greifen gelingt es noch besser, alle sensorischen Informationen auszulesen.

Ein mit Sandpapier beklebtes Puzzle, das die Sichtweise der Studienteilnehmer unterbewusst beeinflusste

Bewerbungsgespräch

Wie äußert sich diese Verknüpfung in der Praxis? Die Forscher haben ihre Probanden gleich mehreren Experimenten unterworfen. Zunächst galt es für 54 Passanten, die Eigenschaften eines Job-Kandidaten einzuschätzen - und zwar mit Hilfe von 340 Gramm leichten beziehungsweise zwei Kilogramm schweren Clipboards. Tipp Nummer 1: Geben Sie dem Interviewer beim Bewerbungsgespräch ein schweres Notebook in die Hand - das erhöht in seinen Augen Ihr Gewicht, genauer: Ihre Wertigkeit. Die Probanden jedenfalls werteten mit dem schweren Notizblock in der Hand im Mittel deutlich besser als mit dem leichten. Allerdings mit einer Einschränkung: Den „schweren“ Kandidaten wurde auch ein schwieriger Umgang mit Kollegen zugeschrieben.

In einem zweiten Versuch simulierten die Forscher eine Umfrage-Situation, bei der den Befragten leichte beziehungsweise schwere Notizbücher in die Hand gegeben wurden. Darauf sollten sie die Bedeutung verschiedener sozialer Maßnahmen bewerten. Das Ergebnis: Während physisch schwer belastete Männer sozialen Vorhaben mehr Geld zukommen lassen wollten, ließen sich Frauen nicht beeinflussen - sie wählten unabhängig vom Gewicht des Clipboards stets den höchstmöglichen Betrag für soziale Zwecke.

In einem weiteren Experiment tauschten die Wissenschaftler das Kriterium „Gewicht“ gegen das Kriterium „Textur“. Dazu mussten die Testpersonen zunächst ein Puzzle lösen, dessen Teile teilweise mit Sandpapier beklebt waren. Anschließend mussten sie eine textlich beschriebene soziale Interaktion beurteilen. Hatten sie vorher mit dem Sandpapier-Puzzle zu tun gehabt, fiel ihre Beurteilung deutlich anders aus - sie bewerteten das Gespräch als rauer...

Schließlich ließen die Forscher ihre Probanden auch noch die Situation eines Autokaufs durchspielen. Dabei mussten sie auf harten Holzstühlen beziehungsweise einem Polsterstuhl sitzen. Die hart sitzenden Autokäufer schätzten ihr Gegenüber, den „Händler“ , als deutlich „härteren Hund“ ein und gingen mit ihren Preisangeboten weit weniger nach unten als die weich platzierten Testkunden. Wenn Sie vor jemandem als kompromisslos erscheinen wollen, sollten sie ihn also besser auf einem Holzstuhl platzieren.