Gefühlter Linksruck

Während Marx auf die Titelblätter großer Tageszeitungen zurückkehrt und die FAZ vor einem Linksruck warnt, hat sich bei Wahlumfragen bisher wenig geändert

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Eine persönliche Abbitte leistete der Feuilletonchef Arno Widmann der Frankfurter Rundschau am Samstag in einer Randspalte bei einem Politiker der Linkspartei: „Lafontaine erschien mir als der kleine Mann, der seine Fäuste ballte und sie gegen Leute erhob, die mit dem Bruchteil ihres Jahreseinkommens die ganze SPD hätten kaufen können. Sein Fäusterecken hatte etwas Lächerliches. Doch Lafontaine hatte Recht.“

Widmann ist nicht der einzige, der Lafontaine Abbitte leistet. In Zeiten der Bankenkrise erinnert man sich plötzlich der kurzen Amtszeit eines Finanzministers, der die Märkte regulieren wollte. Auch Wirtschaftswissenschafter, die lange Zeit als Keynsianer gescholten, mitleidig belächelt worden, haben plötzlich Dauerpräsenz in den Medien.

Dazu zählt der Bremer Wirtschaftswissenschafter Rudolf Hickel, der immer wieder gefragt wird, wie jetzt der von den Neoliberalen in den Graben gefahrene Karren Weltwirtschaft wieder flott gemacht werden soll. Die aber haben sich in diesen Tagen auffällig rar gemacht. „Wohin sind eigentlich Experten wie Hans Werner Sinn verschwunden, immerhin Präsident des Weltverbandes der Finanzwissenschafter? Wo bleiben die Herren Miegel und Straubhaar? ... Warum holen die Fernsehjournalisten nicht eben diese exponierten Vertreter der neoliberalen Wirtschaftstheologie auf dem Bildschirm, um nach dem Verbleib ihrer Empfehlungen zu fragen?“ stellt der Medienkritiker Fritz Wolf eine berechtigte Frage.

In diesen Wochen sind sie nicht besonders gefragt, ihr Credo wird massiv in Frage gestellt. So titelte die Tageszeitung am 1.10.2008 Kapitalismus gescheitert und die Frankfurter Rundschau bildete nur wenige Tage später einen überdimensionalen Marxkopf mit einem Zitat aus dem Kommunistischen Manifest „Die Pleite des Kapitalismus“ ab. Da hatte man monatelang einen endgültigen Abgesang der 68er abgefeiert und nun hat die Krise dazu geführt, dass ganz unplanmäßig ein Hauch von 68 die deutschen Medien erfasst hat.

Die Veränderungen erstrecken sich nicht nur auf die Medien. Vor einigen Monaten musste sich die Linkspartei noch vorwerfen lassen, sie stünde nicht auf dem Boden des Grundgesetzes, weil sie mit Marx-Zitaten operiert hatte und zumindest der linke Flügel die Verstaatlichung der Schlüsselindustrie nicht ausschließen wollte. Das wurde auch von den Parteirealos um Gregor Gysi gerügt. Jetzt bereiten mit Großbritannien, den USA und Frankreich gleich drei Staaten, deren Regierungen als Gralshüter des freien Marktes galten, die Bankenverstaatlichung vor bzw. haben sie schon vollzogen.

Kassandraruf der Marktwirtschafters

Berthold Kohler von der FAZ hat es auf den Punkt gebracht: Die "Banker" haben die Republik schon verschoben - nach links. Der marktwirtschaftliche Kommentator sieht Deutschland auf dem Weg zu einem Neodirigismus und hat auch schon unverantwortliche Bankiers vor allem aus dem Ausland als Verantwortliche dafür ausgemacht, dass die über Jahre mit viel Engagement geleistete Arbeit von rührigen Lobbygruppen, von denen die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft und die Bertelsmannstiftung die bekanntesten sind, vielleicht keine Früchte trägt.

Ausgerechnet die Banker, "die sich gerne als seine postmoderne Avantgarde gerierten, (haben) die in Deutschland ohnehin nicht tief wurzelnde Idee des freien, sich selbst regulierenden Marktes in einer Weise diskreditiert, die auf Jahre hinaus den politischen Diskurs vorbestimmen und einengen wird." Kohler befürchtet, dass es in Deutschland künftig schwieriger wird, weiter das hohe Lied der Marktwirtschaft zu singen. „Die Krise versetzt nicht nur der Linkspartei eine Hausse, sie versetzt das gesamte Koordinatensystem nach links“, so Kohlers Befund, den er mit einer düsteren Warnung verknüpft. „Das Land wird, wenn der Sturm eines Tages vorüber ist, nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch gezeichnet sein.“

Nun zeigen die Kassandrarufe eines überzeugten Marktradikalen in erster Linie die Panik und Weltuntergangstimmung, die in diesen Kreisen heute herrscht. Doch mit der Realität haben sie wenig zu tun. Ein Marxkonterfei auf der Titelseite einer Tageszeitung macht heute genau so wenig eine Revolution wie vor 40 Jahren. Der verschobene Börsengang der Deutschen Bahn erscheint manchen Neoliberalen nur deshalb als eine verlorene Schlacht, weil sie bis zum Schluss wider alle Vernunft diesen Schritt als eine entscheidende Bataille gegen die letzten Reste von Staatssozialismus gesehen haben. Diese letzte Schlacht wird nun vielleicht nicht mehr in dieser Legislaturperiode stattfinden. Aber rückt deswegen die Republik gleich nach links?

Es ist ausgerechnet Lafontaine, der vor einer falschen Euphorie warnt. Staatliche Garantien für marode Banken oder andere Industriezweige sind kein Sozialismus. Lafontaine, von dem seine jahrelangen Kritiker jetzt ein triumphales Auftrumpfen erwarteten, gibt sich betont staatsmännisch. Er, der immer als Vertreter eines nationalen Sozialdemokratismus gescholten wurde, betont das gemeinsame Handeln im EU-Rahmen und kritisiert die Nationalstaatsfixiertheit der Bundesregierung.

Der Verdacht, dass da schon einer für den Posten des Ministerpräsidenten des Saarlandes übt, ist nicht von der Hand zu weisen. Denn die Linkspartei dürfte bei Wahlen von den Zweifeln an der ordnenden Hand des Marktes profitieren. Zumal ihr erst kürzlich einer Studie des DIW bescheinigt wurde, dass sie zunehmend auch mehr Arbeitnehmer und die Mitte anspricht. Allerdings könne von einer festen Bindung an die Partei zumindest im Westen keine Rede sein.

Auch die aktuellen Wahlumfragen zeigen, dass ein linksparteilicher Durchmarsch selbr in Zeiten der Krise nicht zu erwarten ist. Die Linke verbessert sich um einen Punkt auf 12 Prozent und zieht mit der FDP gleich, die sich um 2 Punkte verbessert. Die beiden größeren Parteien und die Grünen verlieren leicht. Der Zuwachs der weiter streng wirtschaftsliberalen FDP gerade jetzt, wo deren Ideologie so unbeliebt wie selten scheint, ist nur scheinbar ein Widerspruch. In Zeiten, in denen schon aus Rücksicht auf die Wähler sich kaum jemand als Wirtschaftsliberaler outen will, sammeln sich deren Anhänger hinter einer Partei, die sich scheinbar auch nicht verstellt, wenn ihr der Wind ins Gesicht weht.

Dem Gerede von einem Linksruck zum Trotz wiederholt sich in diesen Tagen ein immer wieder gepflegtes Ritual. Auch der überzeugteste Neoliberale ruft in Zeiten der Flaute nach dem Staat, der die Verluste tragen soll. Schon Monate vor der aktuellen Krise hatte Joseph Ackermann erklärt, dass der Markt allein mit der Situation überfordert sei und der Staat eingreifen müsse. Wenn der größte Sturm vorbei ist, wird dann wieder das Lied von den Marktkräften angestimmt. Das ist auch jetzt nicht verstummt. Auf den Wirtschaftsseiten der FAZ beispielsweise heißt es weiter, dass durch Privatisierungen aus maroden Staatsbetrieben florierende Unternehmen würden und das als Gier verunglimpfte Gewinnstreben der Motor der Wirtschaft sei.

„So viel Anstand muss sein“

Auch nach der mehrwöchigen Krise blasen die Gewerkschaften und sozialen Bewegungen nicht etwa zum Sturm auf den Kapitalismus, wie man nach den Kassandrarufen der FAZ vermuten könnte. DGB-Chef Sommer fordert von den Managern eine Entschuldigung: „Ich vermisse bis heute das klare Eingeständnis, dass unverzeihliche Fehler gemacht wurden. Eine Entschuldigung haben die Menschen mindestens verdient. So viel Anstand muss sein". Ansonsten verwahrte sich Sommer gegen Lohnzurückhaltung angesichts der Finanzkrise, was auch nicht gerade eine offensive Position ist.

Das globalisierungskritische Netzwerk attac sieht bisher im Verschicken fast täglicher Presseerklärungen mit der Forderung, das Casino zu schließen, seine stärkste Waffe. Für den 30. Oktober will attac mit Bündnispartnern in Berlin zu einer Kundgebung für diese Forderung mobilisieren, wie am Wochenende der attac-Ratschlag beschlossen hat. Von anderen Initiativen, die auch immer den Antikapitalismus sehr betonen, hat man in den Tagen der Krise noch weniger gehört. Das offenbart die desolate Situation dieser Linken. Auch im rechten Lager, das seit Jahren mit deutlich antisemitisch konnotierten Parolen gegen das Finanzkapital wettert, blieb es bisher bei agitatorischen Versuchen, die Bankenkrise für die eigene Propaganda zu nutzen. Wie weit die NPD, die schon seit einigen Monaten eine sogenannte Antikapitalismuskampagne betreibt, von der Krise profitieren kann, bleibt abzuwarten . Abstiegsängste und die Furcht vor der Geldentwertung haben historisch schon öfter auch den Rechten genutzt.