Gegen Rechts, aber bitte nicht zu links: Anti-AfD-Demos und der liberale Meinungskorridor

Der Minimalkonses. Was darüber hinausgeht, finden einige Ampel-Anhänger schwierig. Foto: PantheraLeo1359531 / CC-BY-4.0

Nach den Großdemos: Das Demokratieverständnis mancher Ampel-Anhänger ist bedenklich. Soll die linke Opposition unsichtbar werden? Ein Kommentar.

Es spricht sich langsam herum, dass die Erzählung der AfD von sich selbst als einzig wahre Opposition und den angeblich von Regierungsparteien gesteuerten Großdemonstrationen "gegen Rechts" nicht stimmt. Auch wenn sich manche Anhänger von Regierungsparteien durchaus wünschen, die AfD hätte in diesem Punkt Recht.

Vor allem auf der Münchner Demonstration am Sonntag gab es jede Menge Kritik an der Ampel-Regierung im Bund sowie an der bayerischen Landesregierung aus CSU und Freien Wählern, die im liberalen Blätterwald für Aufregung sorgte.

Wer bestimmt, welche Stimmen der guten Sache schaden?

"Was hätte noch kommen können? Nicht viel Gutes im Sinne der guten Sache, so ist zu befürchten", schrieb ein Kommentator der Süddeutschen Zeitung, nachdem die Münchner Demonstration wegen des unerwarteten Andrangs von mehr als 200.000 Menschen abgebrochen werden musste.

Noch mehr Redebeiträge, die vielleicht am wärmenden Lagerfeuer eines linksautonomen Protestcamps wohlfeil tönen, aber nicht in der Mitte einer Stadtgesellschaft, die gerade über alle Lagergrenzen hinweg gemeinsame Sache gegen eine drohende Wiederkehr des Nazi-Unwesens macht.

Martin Bernstein / Demo-Abbruch zur rechten Zeit, Süddeutsche Zeitung, 22. Januar 2024

Minimalkonsens gegen die AfD

Einige hatten sich nicht nehmen lassen, ihre Einschätzung kundzutun, dass auch die Ampel-Parteien zum Aufstieg der AfD beigetragen hätten – sei es durch ein Entgegenkommen in der Migrationspolitik, durch den fehlenden sozialen Ausgleich für die CO2-Bepreisung oder allgemein durch Sparmaßnahmen, die Existenzangst erzeugen und die Suche nach Sündenböcken befeuern.

Diese Kritik wurde nicht von allen Anwesenden geteilt – es gab einen Minimalkonsens gegen eine mutmaßlich drohende Machtübernahme der AfD und deren "Deportationsfantasien", wie der SZ-Autor schreibt.

Wann aber eine Abschiebung als Deportation bezeichnet werden darf und wann es sich um eine "Rückführung" im Sinne des gerade beschlossenen "Rückführungsverbesserungsgesetzes" der Ampel handelt, darüber gab es zum Beispiel keinen Konsens.

Huch, das war gar keine Solidaritätsbekundung für die Ampel?

Ein Cicero-Autor zitiert einen Freund mit der Aussage, es seien eben auch "Nicht-Grüne" dabei gewesen, deren Protest gegen die AfD ja nicht zwangsläufig dasselbe sei wie eine Solidaritätsbekundung für die Ampel-Regierung.

Der Autor schreibt, er habe mit diesem Freund diskutiert, weil "nicht nur nette, weltoffene Menschen" sondern auch "Linksextremisten, Israelhasser und Organisationen, die vom Verfassungsschutz beobachtet werden; Schulter an Schulter mit Fridays for Future, den Jusos und irgendwelchen Gender-Queer-Aktivisten" auf der Demo gewesen seien.

Den Vorwurf des Israel-Hasses macht unter anderem die Bild am Vorwurf des Völkermords gegen die Netanjahu-Regierung in Israel fest, wenn von der Bombardierung des Gazastreifens die Rede ist.

Regierungskritik war zu erwarten

Dass nicht nur Gruppen und Personen anwesend waren, die gut auf die Ampel-Parteien zu sprechen sind, kam allerdings nicht völlig überraschend, denn die Organisation der Münchner Großdemo lag von Anfang an in den Händen von Menschen, die schon häufiger und unabhängig von der AfD Gründe für Protestaktionen gesehen hatten.

Sie hätten keinen Aufruf der SPD zum "Aufstand der Anständigen" gebraucht, um aktiv zu werden. Auch die Demo-Anmelderin Lisa Pöttinger war vorab als Klima-Aktivistin und Mitorganisatorin der Proteste gegen den G7-Gipfel 2022 in Elmau bekannt. Die G7-Staaten, darunter auch Deutschland, seien "demokratisch nicht legitimiert, um Entscheidungen zu fällen, die sich auf die ganze Welt auswirken", hatte sie damals erklärt.

Nicht nur AfD-nahe Kreise warfen ihr im Sommer 2022 vor, sie habe "Gewalt gegen Andersdenkende" gerechtfertigt. Tatsächlich ging es um die Twitter-Äußerung: "Ich halte es für legitim, die Adressen von Nazis, Klimafaschos und Konzerneigentümer:innen zu veröffentlichen. Die Frage ist halt, was dann damit gemacht wird: Das Haus mit Farbe bewerfen oder Graffiti, cool. Gewalt gegen Leute, schwierig…"

Wer instrumentalisiert wen?

Im Vorfeld der Demonstration am Sonntag hatte sie sowohl die CSU als auch "konkrete Ampel-Politik" als rechts bezeichnet.

Diese Einschätzung nahm sie auch nicht zurück – inzwischen hat sie sich aber dafür entschuldigt, bei regierungskritischen Äußerungen auf der Plattform X nicht explizit klargestellt zu haben, dass es sich um ihre persönliche Meinung handle und nicht der gesamte Unterstützerkreis der Demonstration dahinter stehe.

Nun steht der Vorwurf einer Instrumentalisierung gutgläubiger Ampel-Anhänger im Raum, die auf der Demo in Redebeiträgen mit viel zu radikalen Positionen konfrontiert worden seien.

Doch wer instrumentalisiert wen, wenn allzu linke Stimmen auf Demos gegen Rechts als Zumutung empfunden werden, wenn junge Aktivistinnen wie Lisa Pöttinger zwar die Organisationsarbeit machen, aber nicht wirklich mitreden sollen – und Ampel-Parteien sich die Antifa-Bewegung im Grunde nur noch als politischen Kastratenchor für ihre eigene Agenda des "kleineren Übels" wünschen?

Der erste Aufstand der Anständigen war nicht radikal – leider

Radikal im Sinne von "an die Wurzel gehend" muss der Gefahr eines neuen Faschismus tatsächlich begegnet werden. Welche Umstände ihn begünstigen, muss untersucht und benannt werden dürfen.

Denn eines steht fest: Der erste "Aufstand der Anständigen", den der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) im Jahr 2000 nach dem Brandanschlag auf die Düsseldorfer Synagoge ausrief, war an Oberflächlichkeit nicht zu überbieten. Kurzfristig waren auch damals Hunderttausende auf die Straße gegangen. Aber dieser "Aufstand" hat die breite Öffentlichkeit nicht nachhaltig sensibilisiert.

Er hat nicht einmal verhindert, dass in großen Medien jahrelang von "Döner-Morden" die Rede war und Witwen schikaniert wurden, bevor zwei untergetauchte Neonazis nach einem Banküberfall ums Leben kamen und "Nationalsozialistische Untergrund" (NSU) als Urheber der bundesweiten Mordserie an Kleinunternehmern mit Migrationshintergrund bekannt wurde.

Ohne radikale Linke gegen selbstbewusste Rechte?

Dieser "Aufstand" und ähnliche kurzfristige Massenmobilisierungen, an denen Teile etablierter Parteien beteiligt waren – wie die "Unteilbar"-Demonstration im Jahr 2018 – haben auch den Aufstieg der AfD nicht verhindert.

Deshalb muss die Frage nach dem "Warum" gestellt werden – und wer die AfD tatsächlich stoppen will, darf linke Analysen dazu nicht unterdrücken. "Gegen rechts, aber bitte nicht zu links" ist nämlich keine angemessene Antwort auf eine ultrarechte Kraft, die vor Selbstbewusstsein strotzt.

Ex-Chefin der Grünen Jugend spricht Klartext

Auch Sarah-Lee Heinrich, ehemals Bundessprecherin der Grünen Jugend, hält es für einen Fehler, aus Angst vor der AfD die Ampel und ihre eigene Parteispitze nicht mehr zu kritisieren. Die Wut auf die Grünen sei nicht unbegründet, sie seien mitverantwortlich für unsoziale Regierungspoltik:

"Die Argumentation, man würde noch Schlimmeres verhindern, verbannt die Möglichkeit, Positives im eigenen Sinne umzusetzen, in weite Ferne. Offensichtlich reicht es auch nicht aus, um das Erstarken der AfD aufzuhalten – im Gegenteil", schreibt sie in einem Gastbeitrag für das Jacobin-Magazin. Ihre Überschrift beschreibt das Lebensgefühl der Grünen-Spitze: "Kürzen, abschieben, Kampfjets liefern – aber mit Bauchschmerzen".

Kräfte bündeln gegen rechte Landnahme – nicht nur die AfD

Eine Bundestagsabgeordnete der Partei Die Linke fordert unterdessen in der Tageszeitung Neues Deutschland, der "anti-rechte Kampf" müsse sich auch gegen die Ampel-Politik richten:

"Um der AfD politisch etwas entgegenzusetzen, müssen wir uns auch über mittel- und langfristige Strategien Gedanken machen. Wir müssen uns darauf konzentrieren, so breit wie möglich politische Kräfte gegen rechte Landnahme und die Pläne eines autoritären Staatsumbaus zu entwickeln", schrieb vor wenigen Tagen die Linke-Politikerin Clara Bünger.

Beides, rechte Landnahme und autoritärer Staatsumbau, werde aber auch von der Ampel und der CDU vorangetrieben, "was der AfD und anderen rechten Kräften in die Hände spielt", so Bünger weiter.

Linke Opposition stört Selbstbild von Ampel und AfD

Fest steht: Die Spitzen der Ampel-Parteien hätten es lieber, wenn die linke Opposition sich freiwillig unsichtbar machen würde, damit sie selbst sich ungestört als kleineres Übel präsentieren können. Dann aber würde die AfD Recht behalten: Sie wäre die einzig wahre Opposition, wenn auch keine gute.