Geisterjäger der stillen Art

Die faszinierende Anime-Serie "Mushishi"

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Die unerhörte Animationsfilm-Produktion in Japan hat den Vorteil, dass neben Bergen von Müll auch immer wieder Produkte entstehen, von denen europäische Trickfilmer nicht einmal zu träumen wagen. Zum Beispiel die Sage vom Geisterjäger Gingko und seinen ungewöhnlichen Abenteuern. Wie so oft beim Anime ist es nicht so ganz leicht, zu erklären, worum es eigentlich geht.

Mushishi

Denn der Begriff Geisterjäger ist in seiner Grobheit eine gerade noch akzeptable Vereinfachung - sagen wir, Gingko beschäftigt sich mit den bisweilen hochgradig unangenehmen Wechselwirkungen zwischen der Welt der "Mushi" und der der Menschen. "Mushi" (eigentlich jap. für Insekten) sind eine Art Naturgeister, die quasi direkt vom Strom des Lebens abstammen, einer Art Vis Vitalis, die, für normale Menschen unsichtbar, die Erde in Kraftlinien durchzieht.

Diese deutlich vom Shintoismus inspirierten Wesenheiten können vage tierische oder pflanzliche Gestalt haben und werden in "Mushishi" oft als eine Art spirituelles Plankton dargestellt, das leuchtend in der Luft schwebt. Wer "Prinzessin Mononoke" von Hayao Miyazaki gesehen hat, dem werden die "Mushi" und ihre Welt bekannt vorkommen, denn Miyazaki hat aus der gleichen Quelle geschöpft wie das "Mushishi"-Team: der japanischen Märchen- und Sagenwelt.

Mushishi

Allerdings, und das fällt positiv auf, geht es bei Mushishi nicht wie oft bei Miyazaki um den Konflikt zwischen Technik und Natur. "Mushishi" vermeidet die dramaturgische Zwangsjacke, die sich Miyazaki von diesem Grundkonflikt aufzwingen lässt und beschäftigt sich ganz mit der nie endenden Aufgabe des Mushishis selbst, die negativen Interferenzen zwischen der Geisterwelt und der menschlichen Gesellschaft zu entwirren.

Moralisch indifferent, weder böse noch gut

Allein der Mushishi als Mittelding zwischen Arzt, Detektiv und Schamane kann das - Menschen ohne seine Begabung sehen die Mushi nicht, glauben vielleicht nicht einmal an sie, können aber sehr wohl von ihnen befallen, respektive heimgesucht werden. Die Mushi sind dabei moralisch indifferent, sie sind weder böse noch gut, leben nur ihr rätselhaftes, auf eigenen Gesetzen beruhendes Leben, darin eben doch Tieren und Pflanzen gleich. Die manchmal schrecklichen Folgen ihres Handelns für die Menschen sind ihnen nicht bewusst, da sie kein moralisches Bewusstsein haben.

Oft genug aber hat der Mushishi Gingko auch damit zu tun, dass Menschen das Wirken der Mushi für ihre eigenen Zwecke missbrauchen. Zum Beispiel in Folge 6, in der ein findiger Vater seine befallene Tochter zur Zentralfigur einer Kunstreligion aufbaut, oder in Folge 9, wo ein Arzt glaubt, sein Wissen um die erntefördernden Kräfte eines bestimmten Mushis zum Wohl seines Dorfs benutzen zu müssen - auch wenn das immer wieder den ein oder anderen Dorfbewohner das Leben kostet.

Mushishi

Bemerkenswert ist, dass die Konflikte in dieser Serie ohne dramaturgisch zugespitzte Randale auskommen. Es geht häufig um Leben und Tod, aber nie benutzt der Mushishi andere Mittel im Kampf als sein Wissen, sein Mitgefühl und sparsam eingesetzte, auf die Situation abgestimmte Tricks, die die Mushi in ihre Grenzen weisen - oder eben nicht, denn nicht immer gewinnt er. Mit dieser wohltuenden Zurückweisung des Theaterdonners, die für den Anime absolut ungewöhnlich ist, korrespondiert die ganze Ästhetik der Serie.

Das deutsche Publikum hat sich zu sehr daran gewöhnt, dass im Anime die Fetzen fliegen

Ohne in fragwürdigen Traditionalismus abzugleiten, setzen die Zeichner im Rahmen ihrer Möglichkeiten bestimmte japanische Werte um, die den Westen fasziniert haben, seit er davon erfahren hat: Sparsamkeit und Eleganz des Ausdrucks, Konsequenz, Reduktion auf das Wesentliche. Dazu gehört auch, dass die "Patienten" des Mushishi wenig eigene Kontur haben, sondern vielmehr, analog zu den Charakteren im japanischen Theater, als Fallbeispiele dafür dienen, was geschehen kann, wenn sie mit bestimmten Emanationen des Geisterreichs konfrontiert werden.

Mushishi

Und die Zentralfigur Gingko ist keineswegs ein allmächtiger Erlöser, sondern bloß ein nüchtern-resignierter Zauberdoktor zwischen Ratio und Geisterwelt, der weiß, wie die schrecklichen Eigenschaften der Mushi durch menschliche Leidenschaften und Vorurteile, durch gesellschaftliche Zwänge und individuelle Verbohrtheiten potenziert werden können. Fast erinnert seine Haltung ein wenig an Herbert Achternbuschs Motto: "Du hast keine Chance, also nutze sie."

Die Musik von Masuda Toshio passt sich den zentralen Anliegen der Serie voll und ganz an, nie versucht sie das Geschehen künstlich voranzutreiben oder in bekannter Manier den Zuschauer emotional zu überwältigen. Auf diese Art ist Mushishi etwas Besonderes - gleich weit entfernt von Albernheiten wie "Ghost Hunt" und Extremen der Animekunst wie "Blame!". Es gibt zwar bereits eine Live-Action-Verfilmung - interessanterweise von Katsuhiro Otomo gemacht - die auch auf dem diesjährigen deutschen Fantasy-Filmfest (siehe In der Extremzone des Kinos) im Sommer zu sehen war. Dass der Anime je nach Deutschland kommen wird, ist dennoch nicht ausgemacht.

Mushishi

Erster und banalster Grund: Der Name, der bei Deutschen immer wieder die gleichen Hardcore- und Hentai-Assoziationen hervorruft. Zweitens hat sich das deutsche Publikum zu sehr daran gewöhnt, dass im Anime die Fetzen fliegen. Das ist an sich kein Problem, weil es auch sehr gute Serien gibt, bei denen ganz gehörig die Fetzen fliegen, wie zum Beispiel Samurai Champloo. Aber bei Mushishi trifft eine solche Erwartungshaltung auf Entschleunigung und auf Spannung durch Konstellation statt durch Action. Wer weiß, vielleicht findet Mushishi dennoch im deutschsprachigen Raum seine Zuschauer.