Gelenkte Balkan-Demokratie

Die EU hat gezielt Einfluss auf die Wahl in Serbien genommen. Das Kosovo-Problem bleibt ihr dennoch erhalten

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Immerhin eine Hürde hat die Europäische Union genommen: Bei den Wahlen in Serbien am Sonntag hat das EU-freundliche Lager unter Führung des Präsidenten Boris Tadic knapp gewonnen. Sein Sieg stützt sich indes auch auf eine massive Einflussnahme der EU: Mit Erleichterungen und Zugeständnissen sollten die Serben von der Wahl der EU-kritischen Nationalisten abgehalten werden. Bis zuletzt hatte deren Radikale Partei (SRS) noch in Führung gelegen - beflügelt von der aus Brüssel und Washington unterstützten Abspaltung (Konfliktherd Kosovo) des Kosovo. Doch auch wenn Belgrad der EU nun zugeneigter ist: Das Problem Kosovo bleibt bestehen.

Die Wahl in Serbien hatte auf der EU-Agenda in den vergangenen Wochen ganz oben gestanden. Mitte April lud der Hohe Repräsentant der Europäischen Union für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, Javier Solana, Vertreter der Mitgliedsstaaten zu einem informellen Arbeitsessen ein. Mit Blick auf die Wahlen müsse auf jeden Fall eine Annäherung Belgrads erreicht werden, forderte der Brüssler Chefdiplomat nach Berichten beteiligter Diplomaten. Die EU müsse "alles in ihrer Macht Stehende tun", um bis zu der Abstimmung "ein positives Signal nach Belgrad zu senden".

Nach dieser Forderung gab Solana den Anwesenden konkrete Aufgaben auf den Weg: Zum einen solle ein Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen (SAA) mit Serbien abgeschlossen werden. Zum anderen empfahl er den EU-Mitgliedern, serbischen Staatsbürgern die Visagebühren für die EU zu erlassen.

Beide Schritte wurden in den Wochen nach dem Arbeitsessen bei Solana umgesetzt. Am 29 April berichtete die Nachrichtenagentur AFP:

Die Europäische Union hat Serbien überraschend die Tür für einen späteren Beitritt geöffnet. Die EU-Außenminister unterzeichneten am Dienstag in Luxemburg ein Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen (SAA) mit dem serbischen Vize-Ministerpräsidenten Bozidar Djelic. Der slowenische Außenminister und amtierende EU-Ratspräsident Dimitrij Rupel sprach von einem "starken Signal" an die prowestlichen Kräfte in Serbien knapp zwei Wochen vor den Parlamentswahlen am 11. Mai.

Bericht der AFP

Wenige Tage später wurde auch die zweite Vorgabe Solanas zu Beeinflussung der Wahlen in Serbien umgesetzt: 17 EU-Staaten einigten sich darauf, künftig auf die Visagebühren von bis dahin 35 Euro für serbische Staatsbürger zu verzichten.

Die EU-Führung versuchte so, die negativen Folgen der eigenen Balkan-Politik zu neutralisieren. Nach der aus Brüssel und Washington forcierten Loslösung der südserbischen Provinz Kosovo, hatten die serbischen Nationalisten massiv Aufwind bekommen. Noch in der vergangenen Woche wurde der Radikalen Partei (SRS) unter Führung von Tomislav Nikolic ein Vorsprung von mehreren Prozentpunkten vor der proeuropäischen Demokratischen Partei (DS) von Präsident Tadic vorhergesagt. Besonders getroffen hatte Tadic, dass im März die Demokratische Partei Serbiens (DSS) von Ministerpräsident Vojislav Kostunica die Koalition verlies. Streitpunkt war auch dabei die Haltung zur westlich beförderten Sezession.

Kosovo: Politisch isoliert, von Gewalt bedroht

Doch auch wenn eine Verschärfung der andauernden Kosovo-Krise aus Serbien nun abgewendet scheint, bleibt das originäre Problem bestehen: Zwei Monate nach der einseitigen Loslösung des Kosovo von Serbien ist die Lage labil. Ende April erst kam es im serbisch dominierten Norden zu einem Sprengstoffanschlag in der Stadt Leposavic. Unbekannte griffen mit Handgranaten eine Gruppe Passanten an, es gab mehrere Schwerverletzte. Im Norden des Kosovo leben 40.000 der insgesamt 120.000 verbleibenden Serben. Seit der Loslösung der Provinz war es mehrfach zu Unruhen gekommen.

Die Führung der KFOR-Mission der NATO ist sich der Gefahr einer Eskalation bewusst. Unmittelbar nach dem Anschlag forderte die KFOR 600 zusätzliche Soldaten aus Großbritannien an. Nach Angaben des britischen Verteidigungsministers Dan Brown sollen die Verbände zunächst einen Monat im Kosovo verbleiben. Das Kontingent ermögliche der KFOR eine "zusätzliche Flexibilität zur Aufrechterhaltung des Friedens und der Stabilität", so Browns euphemistischer Kommentar. Brüssler Diplomaten gehen indes von dem Schlimmsten aus. Man rechne fest damit, dass es vor der geplanten Verabschiedung der "Verfassung" des Kosovo am 15. Juni zu weiteren Unruhen kommt, heißt es aus EU-Kreisen. Das Kosovo wird weiter das Sorgenkind der EU bleiben.

Grund dafür ist auch, dass weniger Regierungen als erhofft den neuen Staat in Europa anerkennen. Selbst innerhalb der EU haben nur 18 der 27 Bündnisstaaten Beziehungen zu der Regierung des Kosovo aufgenommen. In der UNO ist das Verhältnis in Relation zur Gesamtmitgliedszahl noch ungünstiger: Hier erkennen nur 36 der 192 Mitglieder die "Republik Kosovo" an. Die von der EU-Führung angestrebte Mitgliedschaft Pristinas im Internationalen Währungsfonds ist zwar trotz der Skepsis der internationalen Gemeinschaft möglich. In der Weltbank oder gar in der UNO wird die so genannte Republik Kosovo weiter ein Phantomstaat aus der Brüssler Retorte bleiben.

Weiter am Tropf der EU

Damit wird ein langfristiges militärisches Engagement der Schutzmacht EU im Kosovo unabdingbar. Zeitgleich zur Verabschiedung der kosovarischen "Verfassung" Mitte Juni sollte die Europäische Polizei- und Justizmission (EULEX) in Kosovo das Kommando von der seit Juni 1999 bestehenden UN-Verwaltung UNMIK übernehmen. Doch selbst Solana erkannte vor einem Monat in internen Beratungen an, dass eine solche Übergabe "von Tag zu Tag schwieriger" werde.

Die Probleme wurden zunächst mit technischen Hürden bei der Übergabe von Büroräumen und Fahrzeugen begründet. In Brüssel gilt es jedoch als offenes Geheimnis, dass vor allem die politischen Differenzen innerhalb der EU einen erfolgreichen Start der neuen EU-Truppen in Kosovo verhindern: Die slowenische EU-Ratspräsidentschaft hatte zuletzt vehement auf die andauernden Sicherheitsprobleme im Kosovo hingewiesen, andere Staaten wie Spanien verweigern sich der EULEX-Mission, weil sie völkerrechtlich höchst umstritten ist. Denn mit der Loslösung der Provinz von Serbien ist die UN-Resolution 1244 von 1999 nichtig und jede Fremdverwaltung und militärische Besatzung illegal. Als letzter Ausweg wurde zuletzt eine Einladung durch UN-Generalsekretär Ban Ki Moon an die EU-Truppen gesehen. Doch Ban hielt sich zurück - nicht nur wegen der labilen politischen Lage in der Region, sondern wohl auch wegen der oppositionellen Haltung Russlands gegen eine Unterstützung der kosovarischen Regierung.

So ist schon vor der offiziellen Gründung eines Staates Kosovo klar, dass er am Tropf der EU hängen bleiben wird. Die schleppende Stationierung der 2250 internationalen und gut 1200 lokalen Mitarbeiter der EULEX-Mission ist dabei das geringste Problem. Über die militärische Besatzung der südserbischen Provinz hinaus hat die EU-Kommission die finanziellen Zuschüsse für das Kosovo für das Jahr 2009 mit 122 Millionen Euro im Vergleich zu 2008 fast verdoppelt. In internen Beratungen aber gesteht die Brüssler Kommission zugleich ein, dass die wirtschaftliche Lage der Zielregion nach wie vor prekär ist. Grund dafür ist die Isolierung durch Serbien und Russland. Als die vehementesten Gegner der Sezession können sie ohne große Probleme (und offene militärische Auseinandersetzungen) dafür sorgen, dass das Kosovo sicherheitspolitisch und finanziell von der EU abhängig bleibt.

Vor diesem Hintergrund sorgte eine Wortmeldung des ehemaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder in der vergangenen Woche für Aufregung. Der SPD-Politiker bezeichnete die Anerkennung des Kosovo durch die Bundesrepublik und andere EU-Staaten als Fehler. Es seien dadurch neue Probleme geschaffen worden, statt die alten zu lösen, sagte Schröder im Gespräch mit der russischen Nachrichtenagentur RIA Nowosti. Dass in seine Amtszeit der Kosovo-Krieg fiel, ließ er im Interview aus.