Gemeinsame Nutzung der Festplatten und Prozessoren

O'Reillys umfassende und grundlegende Anthologie zu Peer-To-Peer-Ansätzen

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Napster, Gnutella, Freenet und SETI@Home sind im Augenblick die Projekte im Rampenlicht der Medien on- und offline. "Peer-To-Peer" ist in aller Munde, aber umstritten. "O'Reillys Peer-To-Peer: Harnessing The Power of Disruptive Technologies" ermöglicht einen umfassenden Einblick.

Auf fünf Kontinenten breitet sich Katzenjammer wegen der nichterfüllten Verheißungen des World Wide Web aus: Die Aktionäre sind bankrott, die Suchmaschinen ertrinken in einem Tsunami aus Dackel-Pages und die Redefreiheit orientiert sich - wie in Fahrenheit 451 - zunehmend am kleinsten gemeinsamen Nenner in- und ausländischer Ayatollahs. Doch gerade als Mundwinkel und NASDAQ ihren tiefsten Stand erreichen, tritt das Internetphänomen Napster eine Lawine neuer Hoffnungen los: sogenannte Peer-To-Peer-Netzwerke wie die beliebteste Musiktauschbörse der Welt bekommen im Augenblick sehr viel optimistische, aber noch mehr skeptische Presse. Die neue Art und Weise Computer zu vernetzen verspricht unzensierbare Veröffentlichung von dissidentem Material, bietet verbesserte Verfahren zur Suche nach Dokumenten im weitesten Sinn und kann die Auslastung von Rechnern und Bandbreite besser balancieren.

Falls Sie erst jetzt auf diesen Kanal geschalten haben und wissen wollen, was Peer-To-Peer ("P2P") genau bedeutet, bringen Sie die Experten in Verlegenheit, denn die Technologie ist so neu, dass die Zeit noch nicht einmal zu einer Präzisierung des Begriffs reichte. In diesen konfusen Stand der Dinge soll O'Reillys Anthologie "Peer-To-Peer: Harnessing The Power of a Disruptive Technology" Licht bringen und all jenen eine Entscheidungshilfe bieten, die selbst etwas zur noch embryonalen Technologie beitragen wollen oder wegen des Rummels um P2P einfach nur neugierig geworden sind. Tim O'Reilly definiert Peer-To-Peer im Vorwort so: P2P lässt die Endpunkte eines Netzwerks, also die Computer von Normalverbrauchern ihre Ressourcen wie Plattenspeicher und CPU-Zyklen poolen und gemeinsam nutzen. Alle Thesen und weiteren Erörterungen des Buches bauen auf dieser Überlegung auf.

Der Erfolg von und der juristische Nervenkrieg gegen Napster rückte eine Reihe von alternativen Projekten ins Rampenlicht, die aber allgemeinere oder völlig verschiedene Zielsetzungen haben. Die prominentesten von ihnen werden in P2P aus vorwiegend technischem Blickwinkel behandelt. In bewährter O'Reilly-Manier verpflichtete man gleich die Projektleiter und Gründer der prominentesten Peer-To-Peer-Projekte Gnutella, Freenet, SETI@Home und einigen anderen als Autoren der einzelnen Kapitel (Zur O'Reilly Peer-to-Peer-Konferenz und den wichtigsten Positionen siehe die Artikelfolge von Erik Möller: Treffen unter Gleichen, Teil I: Napster, SETI, Freenet, Gnutella, espra und Groove).

Der Titel verrät, dass man bei O'Reilly P2P nicht nur ernst nimmt, sondern auch für das Lager der P2P-Optimisten Partei ergreift, was keine Selbstverständlichkeit ist. Die Urteile über die neue Technologie reichen zur Stunde von "technische Spielerei ohne praktischen Wert" über "Internet-Hysterie für alle, die den WWW-Zirkus verschlafen haben" bis zu "bahnbrechend", "der nächste Goldrausch" und "das Ende der Web-Epoche".

Obwohl O'Reilly als Verlag bemüht ist, auf die großen ökonomischen Aussichten von P2P hinzuweisen, ist das kein Schwerpunkt der Anthologie. Im Zentrum steht die Technik selbst, die teilweise auf einem sehr hohen Niveau erörtert wird: Protokolle, Verschlüsselung, Beglaubigung von Urheberschaft, Caching, Suchen, Anonymisierung. Der technische Teil ist der umfangreichste und mit ihm hört das Werk auf, Inflight-Entertainment zu den Frühstücksflocken zu sein - es geht um kryptographische Verfahren, Indizierung, Bandbreitenoptimierung, Best- und Worst-Case-Szenarien.

Als ein großes Plus kann der Herausgeber der Anthologie sein hohes Prestige und die hohe Glaubwürdigkeit verbuchen, die er unter Entwicklern und Autoren genießt. Vermutlich war es für O'Reilly sehr einfach, die eindrucksvolle Schar an Beitragleistern zusammenzutrommeln. Die Liste liest sich wie ein Who Is Who der Peer-To-Peer-Szene: David Anderson von SETI@Home, Jeremie Miller von Jabber, Adam Langley, Postdirektor anonymisierter Email und jetzt berühmt durch Freenet, Gene Kan von Gnutella, um nur die prominentsteten zu nennen. Sie alle sprechen sehr objektiv über Schwerpunkte, Stärken und Schwächen der eigenen und der Systeme ihrer freundlich konkurrienden Kollegen - und das in unterhaltsamer und stellenweise sehr humorvoller Weise.

O'Reillys P2P ist das erste derartige Kompendium und repräsentiert das aktuelle Wissen zu Peer-To-Peer. Obwohl die Gefahr groß gewesen sein muss, möglichst schnell auf den Zug aufzuspringen und einfach irgendeine Collage zusammenzuleimen, ist es ein nützliches und gelungenes Produkt geworden. Ich rechne damit, dass in nächster Zeit noch viele ähnliche Bücher herauskommen werden, vermutlich aber nicht in der selben Qualität und Vollständigkeit. Auf eine deutsche Übersetzung zu warten, lohnt sich übrigens nicht - es wird, so der Verlag, keine geben.

Peer-To-Peer: Harnessing the Power of Disruptive Technologies, O'Reilly & Associates, ISBN 0-596-00110-X 448 Seiten, DM 65.-