Gene und kulinarischer Opportunismus
Seite 2: Fehlende Milch
Ein weiterer Aspekt meiner Kindheit in Teheran war die fehlende Milch. Es gab keine Kuhmilch zu kaufen. In Persien gab es Schaf- und Ziegenmilch. Selbst in dem Milch- und Käseladen am Basar von Tadshrish gab es keine Kuhmilch. Mein Vater musste einen 90jährigen Mann auftun, der zwei Kühe besaß. Ihm gab mein Paps dann zwei gereinigte Weinflaschen mit, und die brachte der Mann, nun mit Milch von seinen Kühen gefüllt, zurück. Ich schätze einmal, das waren etwas über zwei Liter.
Wir besaßen keinen Eisschrank — bzw. der Eisverkäufer kam nicht bei uns vorbei, wir wohnten da schon außerhalb der Innenstadt von Teheran — die Milch musste deshalb relativ bald verkocht werden. Mein Bruder und ich bekamen zum Frühstück einen Haferflockenbrei, den wir so schnell wie möglich aus dem Fenster hinausschütteten, und die Teller ließen wir dazu auch noch rasch von den Hunden sauber lecken.
Der zahnlose Alte mit seinen Milchflaschen musste für seine zwei Toman wahrscheinlich zwei Kilometer bis zu unserem Haus laufen, und dann wieder nach Hause zu sich zurück tappen. Und dort musste er die Kühe melken. Was er sagte, verstand ich auch nicht. Und selber trinken mochte ich die Milch ebenfalls nicht. Irgendwie schäme ich mich heute noch, dass wir dem alten Mann so viel Mühe bereiteten, nur um den Milchbrei an die Hunde zu verfüttern.
Käsenarkose
Aber es gab Schaf- und Ziegenmilchkäse und auch Joghurt, man trank, im Sommer, saure Milch gemischt mit Mineralwasser, statt zum Beispiel amerikanische Limonaden, und als besondere Spezialität gab es einen gelben europäischen Käse in einer Art Plastikwurst, der den schönen deutschen Namen "Kraft" trug. (Der Erfinder dieser Käsesorte trug witzigerweise in seinem Namen ein Doppel-F: "Krafft". So richtig schön "Starkdeutsch". — Die amerikanische Firma "Kraft" aber musste mit nur einem F im Namen Vorlieb nehmen.)
Es gab in Persien auch einen französischen Schmelzkäse, importiert natürlich, der "La vache qui rit" hieß, "die Kuh, die lacht". All diese zauberhaften Wunderkäse gab es aber nicht, als ich endlich selber in Deutschland eintraf. Es gab Tilsiter, Schweizer, Gouda, Edamer, Quark, Hüttenkäse, Handkäse, Limburger und weitere Sorten dieser Art, die mir aber allesamt nicht mundeten. Auf die Idee, auf ein Käsebrot Marmelade zu schmieren, kam ich nie, genausowenig, wie ich jemals gesüßten Joghurt gegessen hätte.
Aber ich mochte frisches Weißbrot, insbesondere ein frisches französisches Baguette, mit frischer Butter und Schweizer Käse. Das Komische dabei war nur dies: Hatte ich ein solches Stück Brot gegessen, etwa ein Viertel eines Baguettes, mit Butter und Käse, wurde ich jedesmal kurz darauf total dusselig und schläfrig und musste mich sofort hinlegen, weil ich keinen Moment länger wachbleiben konnte. Einmal hatte ich gerade einen Moment vorher eine Schallplatte aufgelegt. Zwanzig Minuten später, kurz bevor die Platte zu Ende war, hatte ich das Gefühl, in meinem Kopf sei ein Lichtschalter angeworfen worden. Es machte "klick" und ich war wieder da. Kurz darauf klickte sich dann die Platte aus.
Mit anderen Worten, dieser Koma-ähnliche Sofortschlaf dauerte ungefähr 20 Minuten, dann war er vorbei. Es handelte sich dabei auch nicht um ein "Einschlafen" und "Aufwachen". Es war vielmehr genau wie eine Narkose. Bumm, und man war weg getaucht, und "klick" war man wieder da. Ein Gefühl des Erfrischtseins gab es dabei nicht, aber der geistige Nebel, der einen umfangen hatte, war nun wie fort gewischt.
Unverträglichkeiten
Natürlich konnte ich dem Geschmack eines Käsebaguettes trotzdem nicht widerstehen, und manchmal, wenn ich dann aus irgendeinem Grund nicht in einer Ecke kurz mal ein Nickerchen machen konnte, wandelte ich zwei, drei Stunden wie benommen durch die Gegend, ein halbwacher Zombie. Ein schlaftrunkener Käse-Zombie.
Ich sprach mit meinem Vater darüber. Er hatte vor langer Zeit ungefähr zwei Jahre in Rom gelebt, und es gab dort offenbar schon um 1920 herum das Phänomen "Pizza". Jedesmal, wenn er eine Pizza aß, sagte mein Vater, hätte er anschließend unbeschreibliche Magen- und Darmkrämpfe erleiden müssen. Und siehe da, nicht lange, und auch ich fuhr regelmäßig mit meiner Freundin in ihrem schönen blauen VW Käfer nach Frankfurt ins Kino, und anschließend führten uns unsere Schritte in die nächste Pizzeria. Und was geschah dann? Die nächste Stunde oder so litt ich an teuflischen Unterleibsschmerzen, und der ganze Darm rumorte und gurgelte auf seiner gesamten Länge von siebeneinhalb Metern.
Trotzdem dauerte es noch weitere Jahre, bis ich erfuhr, dass meine Mutter zeitlebens keine Milch vertragen konnte, und auch meine Tochter kam mit Kuhmilch nicht klar. Sie bekam als kleines Kind Jahre lang Soyamilch. Ihre Kinder trinken jetzt Reismilch, aber sie löffeln Joghurt, der ihnen offenbar nicht zusetzt.
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