Genetik und Rasse

Wie spricht man am besten über den kleinen, großen Unterschied? US-Forscher schlagen zehn Prinzipien vor, nach denen die Wissenschaft Rassen-Eigenschaften in der Genforschung beschreiben sollte

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Man muss es ja nicht gleich treiben wie James Watson: Der für zuweilen ungewöhnliche Kommentare bekannte Mitentdecker der DNS hatte im vergangenen Herbst erhebliche Aufregung angerichtet, als er Schwarzen eine niedrigere Intelligenz als Weißen zusprach. Der Nobelpreisgewinner, der infolgedessen sogar aus dem Aufsichtsrat eines renommierten Instituts verbannt wurde, war über die plötzliche öffentliche Aufmerksamkeit so erschrocken, dass er sich mehrfach entschuldigte und darauf hinwies, es gebe keinerlei wissenschaftliche Erkenntnis, die es gestatte, Afrika als dem Rest der Welt genetisch unterlegen einzuordnen.

Nun ist es allerdings bekanntermaßen so, dass es Menschen mit verschiedenen Körpergrößen, kurzen und langen Nasen und sogar solche mit unterschiedlichen Hautfarben gibt. Und dass diese Anlagen sich aus den Genen ableiten, ist Schulwissen. Bekannt ist ebenso, dass zum Beispiel manche Medikamente bei einigen Probanden besser wirken als bei anderen.

Bidil ist so ein Exempel, das schon bis zum Begriff der "Ethnomedizin" geführt hat. Doch wo liegt die Grenze zwischen einer simplen Aufzählung genetischer Faktoren und einer darauf aufbauenden Beurteilung ganzer ethnischer Gruppen, die bis hin zum Rassimus gehen kann? Im Online-Fachmagazin Genome Biology schlägt ein vielköpfiges Forscherteam der Stanford University nun zehn Prinzipien vor, an denen sich die Wissenschaft in dieser Frage orientieren könnte.

  1. Punkt 1: Es gibt keine wissenschaftliche Grundlage dafür, aus den Muster der menschlichen Genvarianz ethnisch oder rassisch begründete Hierarchien unter Menschengruppen abzuleiten. Die Gleichheit als Menschenrecht, als moralische Forderung, so die Forscher, lässt sich nicht durch wissenschaftliche Erkenntnisse angreifen.
  2. Punkt 2: Individuen von zwei verschiedenen geografisch definierten Populationen unterscheiden sich mit höherer Wahrscheinlichkeit an einem bestimmten Punkt ihres Genoms als zwei Individuen aus derselben lokalen Gruppe. Die Stärke der Genvarianz wird vor allem von der menschlichen Geschichte und den Wanderungsbewegungen des Menschen bestimmt, so dass es mittlerweile eine Korrelation zwischen genetischer Varianz und geografischer Verteilung gibt.
  3. Punkt 3: Wer genetische Informationen zur Bestimmung der geografischen Abstammung eines Individuums nutzt, sollte diese im größeren Kontext der allgemeinen (also etwa auch der kulturellen) Abstammung eines Menschen präsentieren.
  4. Punkt 4: Rassische und ethnische Kategorien entstehen in bestimmten soziopolitischem Kontext - und sie ändern sich mit der Zeit.
  5. Punkt 5: Es ist naiv, Gruppenunterschiede in komplexen menschlichen Eigenschaften wie etwa dem IQ oder der Gewaltbereitschaft genetisch zu erklären. Für die meisten Eigenschaften, so die Forscher, trage die Änderung irgendeines Gens weit weniger zur Varianz dieser Eigenschaft bei als die Umgebungsfaktoren zusammengenommen.
  6. Punkt 6: Forscher, die in ihren Arbeiten ethische oder rassische Kategorien einführen, sollten die jeweilige Ursache dafür darstellen und zudem erklären, ob Rasse oder Ethnie zu den Versuchsvariablen gehörten.
  7. Punkt 7: Forscher sollten die Rasseneigenschaft nicht zur Beschreibung biologischer Ähnlichkeit nutzen. Obwohl einige seltene Krankheiten nur in einigen Bevölkerungsgruppen zu finden sind, treten sie doch auch bei den anderen auf. Zudem berge die Verwendung so einfacher Etiketten die Gefahr einer naiven Verallgemeinerung - dass nämlich die Gene Gesundheitszustand und Verhalten bestimmten.
  8. Punkt 8: Nötig wären interdisziplinäre Studien verschiedener Gruppen, die außer genetischen auch sozial- und naturwissenschaftliche Betrachtungen einbeziehen
  9. Punkt 9: Wissenschaftliche Ergebnisse werden oft schnell politisiert. Die Grenzen einer Studie fallen dann regelmäßig unter den Tisch. Tatsächlich könnten wissenschaftliche Daten den Glauben an biologisch unterschiedliche Rassen und Ethnien unterminieren.
  10. Punkt 10: Bestandteil der Lehre der Genetik sollten auch historische und soziale Informationen darüber sein, wie Wissenschaft früher zur Beförderung des Konzepts der Rache eingesetzt wurde.

Die Forscher wollen mit ihrer Liste vor allem die Aufmerksamkeit der Forscher im Elfenbeinturm stärken. Im technisierten Wissenschaftsbetrieb benutze man oft einfach das gängigste Etikett, ohne dessen aktuellen und vergangenen Wirkungen zu betrachten. Eine ähnliche Überraschung erhielt übrigen Nobelpreisträger Watson, als er sein eigenes Genom analysiert bekam - 16 Prozent seiner Gene lassen sich afrikanischer Herkunft zuschreiben.