Genveränderte Turbolachse

Europäisches Patentamt contra Greenpeace

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Anfang der Woche stellte das Europäische Patentamt (EPA) in München fest, dass es die Vergabe eines Patents auf gentechnisch veränderte Fische als rechtlich zulässig betrachtet. Damit bleibt das Patent EP 578653, das der kanadischen Firma "Seabright" erteilt wurde, vorerst in Kraft. Greenpeace befürchtet, dass die Horrorvision von überdimensionalen "Turbo-Lachsen", die ihre natürlichen Artgenossen verdrängen könnten, nun allmählich Gestalt annimmt.

Das EPA berief sich bei seiner Entscheidung wieder einmal auf die heftig umstrittene EU-Richtlinie von 1998, die es selbst ein Jahr später übernommen habe. Überdies sei die Patentierung von Pflanzen und Tieren 1998 von der Großen Beschwerdekammer des Patentamtes als rechtlich zulässig anerkannt worden (Europäisches Patentamt gibt Patentierung von Pflanzen und Tieren frei). Und schließlich habe das Zulassungsverfahren noch nichts mit der konkreten Praxis zu tun. Rainer Osterwalder, der stellvertretende Pressesprecher des EPA, wies gegenüber Telepolis darauf hin, dass es sich bei Patenten lediglich um "negative Verbietungsrechte" handele. Die konkreten Ausführungsbestimmungen müssten ohnehin von den nationalen Behörden geregelt werden, und dabei würden dann sicher auch Aspekte des Lebensmittelrechtes oder des Tierschutzes in Betracht gezogen.

Umweltschützer und skeptische Verbraucher sehen die Sache anders. Greenpeace, seit Jahren an heftige Auseinandersetzungen mit dem Patentamt gewöhnt, bestreitet die Rechtmäßigkeit der Patentvergabe, weil besagte EU-Richtlinie in Deutschland noch immer nicht ratifiziert worden ist. Die Umweltschutzorganisation befürchtet, dass sich die "Turbo-Lachse", die sehr viel schneller wachsen als ihre natürlichen Artgenossen, "verheerend auf wilde Fischbestände auswirken", wenn es ihnen gelingt, durch ein Leck im Sicherheitssystem in die Freiheit zu entkommen.

Sie würden wesentlich mehr fressen als ihre frei lebenden Verwandten und damit das ökologische Gleichgewicht stören. Noch dramatischer schätzt Greenpeace die Auswirkungen des so genannten "Trojanischen Gen-Effekts" ein. Im schlimmsten Fall könnten die gentechnisch veränderten Exemplare natürliche Fischbestände vollständig ausrotten: "Falls ein Gen einerseits die Fortpflanzungsfähigkeit eines Fisches erhöht, andererseits aber seine Überlebensfähigkeit beeinträchtigt, kann der Bestand aussterben." Für Greenpeace-Pressesprecherin Carmen Ulmen sind Genmanipulationen an lebenden Organismen "ethisch nicht zu rechtfertigen. Aber in diesem Fall sind sie auch gar nicht notwendig. Schließlich gibt es momentan ein Überangebot an Lachsen."

Das US-kanadische Unternehmen A/F Protein, das mit "Seabright" eng zusammenarbeitet, gilt als Vorreiter bei der Entwicklung gentechnisch veränderter Fische. Die Tochterfirma Aqua Bounty Farms hat an der kanadischen Ostküste bereits Fiberglas-Tanks mit entsprechenden Prototypen aufgestellt. In den Behältern tummeln sich Lachse, die mit Wachstumshormon- und Steuerungsgenen aufgerüstet werden und den schönen Markennamen "AquAdvantage Bred salmon" tragen. Nach Auskunft von "Aqua Bounty Farms" wachsen sie "unter identischen Lebensbedingungen vier- bis sechsmal schneller als frei lebende Lachse" und bescheren der kommerziellen Fischzucht so "außerordentliche finanzielle Vorteile". In verschiedenen amerikanischen Ländern ist die Zulassung bereits beantragt, und nach dem Entschluss des Europäischen Patentamtes könnten die Genfische auch bei uns in absehbarer Zeit auf den Tellern landen.

Das EPA und Greenpeace gerieten in den letzten Jahren mehrfach aneinander. Im Februar 2000 enthüllte die Umweltschutzorganisation, dass in München ein Patent auf die Genmanipulation menschlicher Embryonen erteilt worden war. Zwei Monate später lehnte die Behörde, die übrigens nicht öffentlich gefördert wird und deshalb finanziell auf die Erteilung von Patenten angewiesen ist, einen Greenpeace-Einspruch gegen Patentanmeldungen des Chemiekonzerns Monsanto ab. Das EPA hatte dem Unternehmen - unter juristisch bis heute umstrittenen Bedingungen - Patente auf zahlreiche Nutzpflanzen wie Mais, Weizen, Reis, Sojabohnen, Baumwolle, Zuckerrüben, Raps, Sonnenblumen, Kartoffeln, Tabak, Tomaten, Pappeln, Kiefern, Äpfel oder Trauben erteilt. Greenpeace, aber auch die Arbeitsgemeinschaft Bäuerliche Landwirtschaft (ABL) warnten seinerzeit nicht nur vor ökologischen Folgeschäden, sondern auch vor der Entstehung neuer wirtschaftlicher Abhängigkeiten.

Der von Monsanto vertriebene Roundup Ready-Mais verträgt sich nämlich ebenso wie die von Monsanto vertriebenen Roundup Ready-Sojabohnen am besten mit dem von Monsanto vertriebenen Pflanzenschutzmittel Roundup Ultra. In den USA scharte das Unternehmen zahlreiche Bauern um sich, die ihrer Begeisterung für Roundup freien Lauf ließen.

Georg Jansen, der Geschäftsführer des ABL, ließ sich von den publikumswirksam in Szene gesetzten Kollegen nicht beirren. Er sah angesichts solcher Monopolbildung die Zukunft seines Berufsstandes gefährdet: "Wenn derartige Patente zugelassen werden, können die Landwirte einpacken, dann gehört den Konzernen alles, vom Saatgut bis zum Lebensmittel. Soweit darf es nicht kommen. Der Bauer muss bestimmen können, was auf seinem Acker und mit der Ernte passiert, nicht irgendein Patentinhaber."

Der Einsatz von Gentechnik in der Landwirtschaft birgt im Grunde noch höhere Risiken als die bedenkenlose Züchtung und Haltung der aktuell umstrittenen "Turbo-Lachse". Das Umweltbundesamt hat vor wenigen Wochen auf die ebenso banale wie bedeutsame Tatsache hingewiesen, dass auch der ökologische Landbau in den Strudel der Gentechnologie geraten kann. Dafür genügt schon die falsche Windrichtung: "Gentechnisch veränderte Pollen können mit dem Wind auch auf weit entfernte Felder gelangen und sich dort mit Pflanzen aus dem Anbau ohne Gentechnik kreuzen. Auch nach der Ernte bestehen Risiken. Werden Warenflüsse von konventionellen, gentechnikfreien Produkten sowie von Öko-Produkten nicht strikt von den Warenflüssen der Produkte mit ŽGrüner GentechnikŽ getrennt, kann es bei Transport, Lagerung und schließlich auch bei der Verarbeitung zu Futter- und Lebensmitteln zu Durchmischungen und Verunreinigungen kommen. Damit sind wiederum die Produktions- und Vermarktungsmöglichkeiten ökologischer aber auch konventioneller Landwirtschaft, die auf Gentechnik verzichtet, gefährdet. Maßnahmen zum Schutz des Öko-Landbaus und des herkömmlichen, gentechnikfreien Landbaus sind notwendig, stehen aber noch aus."

Das beweist auch eine Untersuchung der Stiftung Warentest vom August vergangenen Jahres. In 31 von insgesamt 82 untersuchten Lebensmitteln fanden die Kontrolleure gentechnisch veränderte Zutaten. Kein einziges dieser Produkte, von denen einige aus Bioläden stammten, war entsprechend gekennzeichnet.

So bleibt dem Verbraucher nur der Protest und natürlich die Hoffnung, dass sich die nationalen Gesetzgeber endlich auf verbindliche Regelungen einigen - und mit dem "Patent auf Leben" so sorgsam wie nur irgend möglich umgehen.