George Soros und Osteuropa

Gerade einmal wieder ist der Name von George Soros in zwei Zusammenhängen aufgetaucht: von Malaysien wurde er verantwortlich für die wirtschaftlichen Schwierigkeiten gemacht, und für Ted Turner, der gerade eine Milliarde Dollar an die UN gespendet hat, gilt er als Vorbild, dem andere im Hinblick auf seine Spenden für soziale Zwecke nachfolgen sollten.

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Immer wieder taucht George Soros als einer der reichsten Menschen der Welt, als Währungsspekulant und als freizügiger Unterstützer von Projekten vor allem in Osteuropa in den Schlagzeilen auf. John Horvath hat versucht zu erkennen, was Soros wirklich will.

Weil George Soros immer stärker im Rampenlicht steht, werden sein Name und seine Taten in den Regionen der Erde zu Schlagzeilen, in denen sein Einfluß und seine Aktivitäten wahrgenommen wurden. Er wurde, wie manche sogar behaupten, zu einem "Medienvirus". Wegen der hohen Beachtung, die er erfahren hat, wurden in letzter Zeit auch viele falschen Informationen über seine sozialen Aktivitäten vor allem in Ost- und Zentraleuropa verbreitet.

Umstritten ist vor allem sein Konzept der Offenen Gesellschaft. Letztlich aber will Soros, wie John Horvath meint, wahrscheinlich einfach nicht nur als Milliardär und Börsenspekulant berühmt sein, sondern auch als politischer Philosoph anerkannt werden.

Onkel Soros
Soros und die europäische Vereinigung
Das Soros Netzwerk

Ein Beispiel für eine in die Irre führende Darstellung ist der kürzlich gesendete australische Radiobericht über Soros mit dem Titel The Freedom Broker. Der Bericht war ausführlich und gut, aber trotzdem wurden Unterstellungen als Wahrheiten ausgegeben. Innere Konflikte zwischen dem Konzept der "Offenen Gesellschaft" und den wirklichen Gesellschaften Ost- und Zentraleuropas, auf die man es anwendet, wurden verschleiert. Überdies lag allem eine allgemeine und negative westliche Perspektive auf die Region zugrunde, die zudem noch weiter vertieft wurde.

Der undankbare Osten

Für einen zufälligen Beobachter mag der Umstand, daß man vor allem in Ost- und Zentraleuropa "die noblen Ziele von Soros nicht immer gutheißt", verwirrend erscheinen, wenn man davon ausgeht, daß er hier so viel Geld in wichtige Projekte gesteckt hat. Wenn man Soros und seine Aktivitäten besonders aus einer osteuropäischen Perspektive nicht akzeptiert, dann ist dies aber nicht nur die Folge dessen, daß man "Soros alles Mögliche unterstellt hat, angefangen damit, er sei Agent einer Verschwörung internationaler kapitalistischer Juden, bis hin zum Verdacht, er sei ein komunistischer Kollaborateur."

Eine grundlegende Annahme des Konzepts der "Offenen Gesellschaft", wie es von Soros verstanden wird, geht davon aus, daß die Gesellschaft gegenüber Risiken offen sein und keine Angst haben sollte, mit neuen Ideen zu spielen. Während man die Vorstellung begrüßt, daß eine Gesellschaft für neue Ideen und unterschiedliche Gesichtspunkte offen sein soll, betrachtet man das Element des Risikos aber vielfach mit Sorge.

Soros versteht sich selbst als ein "Analyst des Unsicheren", und Tom Morton meint, daß "Soros ein Mensch ist, der das Risiko und die Ungewißheit liebt." Soros gilt überdies als einer der wenigen, der "einen großen gesellschaftlichen Wandel von der Gewißheit und Sicherheit der Nachkriegszeit zu einem Zeitalter wachsender Risiken und Unsicherheiten korrekt erkannt hat."

Auch wenn vieles davon stimmt, übersehen Soros und seine Unterstützer doch, daß Osteuropa eine andere Erfahrung mit der Gesellschaft als die westlichen Industrienationen durchgemacht hat und daß die tiefgreifenden Veränderungen während des letzten Jahrzehnts dieses Jahrhunderts für viele Menschen sozial, ökonomisch und psychologisch sehr schmerzlich waren.

Ganz allgemein wollen die Osteuropäer keine Risiken eingehen. Es gibt sogar viele, die sich mit einer gewissen Nostalgie zu den "guten alten Tagen" während des Kommunismus zurücksehnen. Diese guten alten Tage haben nichts mit einer Befürwortung des Kommunismus als solchem zu tun, aber die kurze Zeit zwischen den späten 60er Jahren bis in die Mitte der 80er Jahre hinein brachte den Menschen ein gewisses Maß an Sicherheit und vor allem an Stabilität.

Unglücklicherweise mißverstehen westliche Beobachter solche Wünsche gerne als reinen Konservatismus. Für manche hängt das zwar tatsächlich mit dem Verlust von Privilegien zusammen, die sie unter der alten Herrschaft besaßen. Die konservativen Einstellungen der anderen aber sind nicht so leicht einzuordnen. Weil sie sich Veränderungen widersetzen, die ihnen eigentlich zugute kommen würden, wird diesen Menschen von westlichen Beobachtern Ignoranz unterstellt. Sie können nicht erkennen, daß die Menschen in Osteuropa gegenüber Veränderungen müde geworden sind. Sie mußten schon zu Beginn mit der Veränderung des Systems genug riskieren, und für viele wurden die Versprechungen eines besseren Lebens zu langsam oder überhaupt nicht eingelöst. Andere sind zerrissen zwischen Gefühlen der Dankbarkeit und der Unzufriedenheit, da sie nicht sicher sind, daß die Vorteile der Zeit nach dem Kalten Krieg die Nachteile überwiegen. Die Bedingungen, von denen ihr Platz im Leben abhängt, sind zudem unsicher und werden oft nicht ganz verstanden.

Die Rede von einer Offenen Gesellschaft und von der Risikobereitschaft ist ganz schön, wenn es einen Spielraum für das Risiko gibt. Da jedoch die meisten Menschen hier diesen Spielraum nicht haben (oder er sehr klein ist), und es bei allem, was man noch nicht ausprobiert hat, ein Risiko gibt, fühlen sie sich besser, wenn sie mit etwas zu tun haben, das Sicherheit verspricht.

Osteuropäer haben nicht nur aus Gewohnheit vor allen Veränderungen wegen der damit einhergehenden Risiken Angst, sondern wegen der tragischen Erfahrung mit Veränderungen in ihrer Geschichte. Die Grundannahme der westlichen Industriegesellschaften, die auch die Analysten des Ungewissen teilen, geht davon aus, daß Veränderung identisch ist mit neuen und besseren Produktions- und Organisationsformen. Das gilt nicht nur für Dinge wie Waren, sondern auch für anderes, z.B. für Ideen. Das Konzept der Offenen Gesellschaft bewegt sich in diesem westlichen industriellen Paradigma. Es wurde zusammen mit dem Kapitalismus zu einem Glaubensartikel, der verkündet, daß alle von fortschreitenden Veränderungen profitieren.

Für die osteuropäischen Länder hat Veränderung jedoch eine andere Bedeutung angenommen. Jahrhundertelang hat Veränderung hier, gefangen zwischen den Interessen von östlichen und westlichen Reichsgründern, traditionellerweise bedeutet, daß jemand zugunsten der Bereicherung eines Außenseiters und auf ihre Kosten Land besetzt, Pacht erhoben oder Steuern eingefordert hat.

Wenn das die psycho-historische Erfahrung des Wandels in Osteuropa war, sollte es keine Überraschung sein, daß viele gegenüber Soros und seinem Konzept einer Offenen Gesellschaft Bedenken haben. Viele glauben, daß sich der geschichtliche Prozeß der Herrschaft ungebrochen weiter fortsetzt. Ausländische Kapitalisten haben jetzt nur die ehemaligen Reichsgründer abgelöst. Da ausländisches Kapital bereits seine Spuren in der Region hinterlassen hat, sind die Menschen aus verständlichen Gründen weniger bereit, an eine "liberale Limousine" zu glauben. Weil er einfach ein ausländischer Kapitalist ist, wird er in Osteuropa nicht begrüßt, und nicht nur weil manche ihn für einer internationalen jüdischen Verschwörer und/oder für einen kommunistischen Kollaborateur halten.

Versteckte Bedeutungen

Neben dem Soros-Paradox - ein erfolgreicher Kapitalist, der antikapitalistische Meinungen verbreitet - macht die Menschen das vage Konzept der Offenen Gesellschaft bedenklich. Sie können nur mißtrauisch sein, wenn ein erfolgreicher Geschäftsmann mit viel Geld aus nicht klar definierten Gründen um sich wirft. In Mittel- und Südamerika machten die Menschen eine vergleichbare Erfahrung, als Rockefeller unter dem Deckmantel der Philanthropie erfolgreich Bauern von ihrem Land vertrieb, was den geschäftlichen Interessen von Standard Oil diente. Daß Soros in Osteuropa nicht nur mit humanitären Projekte tätig ist, sondern sich auch am Aufbau der Medien und der Telekommunikationsinfrastruktur beteiligt, ließ bei manchen die Angst vor einer Wiederkehr der Geschichte entstehen.

Abgesehen von seinen geschäftlichen Interessen entstand die Frage, was Soros genau unter einer Offenen Gesellschaft versteht. Ralf Dahrendorf, ein Wirtschaftswissenschaftler und enger Freund von Soros, versichert, daß sich seine Philanthropie zum Großteil Karl Popper, seinem Mentor, verdankt. Poppers Buch "Die Offene Gesellschaft und ihre Feinde" definiert nicht wirklich, was sie ist, sondern führt nur aus, was sie nicht ist und was sie anstrebt. Neben der Unterstützung eines nicht gewaltsamen Wandels sollten "Institutionen" für eine "friedliche" Umgestaltung der Gesellschaft verantwortlich sein - im Gegensatz zu einer holistischen Gesellschaftsveränderung, die sie auf einmal oder auf tiefgreifende Weise umkrempelt.

Über die ungenaue Definition der Offenen Gesellschaft hinaus wurde Poppers Konzept auf vielseitige Weise kritisiert. Der Aspekt der Gewaltfreiheit gerät im Ernstfall unter Druck, besonders in Auseinandersetzung mit dem Nationalismus. Auf der Konferenz "Geist und Natur", die 1996 in Hannover stattfand, stellte Popper beispielsweise fest, daß sich der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs vorwiegend den Bemühungen verdankte, den Krieg zu vermeiden. Rechtfertigt diese kryptische Bemerkung den Gebrauch von Gewalt?

Am Verwirrendsten ist Poppers Vorstellung von einer friedlichen Gesellschaftsorganisation. Es gibt bestimmte Ähnlichkeiten zwischen seinen Werten und denen des Nationalsozialismus und Kommunismus, auch wenn die Bedrohung der persönlichen Sicherheit nicht dieselbe ist. Gemeinsam ist allen Ideologien, daß Gesellschaftsorganisation und Bevölkerungskontrolle im Zentrum stehen, so daß eine allgemeine Unzufriedenheit unterdrückt oder so kanalisiert werden kann, daß sie den Kontrollmechanismen der Gesellschaft - dem Staat, der Partei oder den "Institutionen" - nicht mit Macht oder gewaltsam gegenübertreten kann. Worin sich aber Nationalsozialismus, Kommunismus und Popperismus/Sorosismus unterscheiden, ist die Ebene, auf der die Gesellschaftsorganisation stattfindet: der Nationalsozialismus begründet seine Werte auf der nationalen, der Kommunismus auf der internationalen und der Popperismus/Sorosismus auf der individuellen Ebene.

Die offene Gesellschaft scheint daher die Form einer Gesellschaft anzunehmen, die von einer wohlmeinenden Oligarchie regiert wird und in der das auf einen kleinen Raum beschränkte Privatleben mit weitreichenden Einschränkungen verbunden ist, die von verschiedenen Institutionen überwacht und kontrolliert werden. Mit der Lehre der Kontrolle durch Ermächtigung als ihrem Kern würden sich die Menschen stärker um ihre unmittelbaren Umgebung kümmern und weniger um das Ganze, das die Angelegenheit einer technokratischen Elite sein würde. Reform würde die Revolution ersetzen, und der Staat würde schließlich bedeutungslos werden.

Da der Staat in einer demokratischen Gesellschaft theoretisch aus seinen Bürger besteht - mit anderen Worten: "Wir sind der Staat" -, bedeutet der Niedergang der staatlichen Macht zugunsten bestimmter Institutionen (deren Bestandteil wir nicht sind), daß der Bürger in der Theorie ein Stück politischer Macht verliert. Auch wenn er noch immer das Recht besitzen, eine abweichende Meinung zu haben, wird dieses Recht bedeutungslos, wenn diese abweichenden Meinungen nicht durch uns selbst und auf unsere Weise zur Geltung gebracht werden können. Für den einzelnen mag es psychologisch gut sein, sagen zu können, was er denkt, aber das ist auch schon alles.

Was letztlich als Kennzeichen der Offenen Gesellschaft erscheint - eine allgemeine Unzufriedenheit und Apathie gegenüber der Politik und dem Staatsapparat, verbunden mit einem daraus entstehenden Mangel an sozialer Verantwortung -, stellt eine direkte Bedrohung der Demokratie dar. Solange jedenfalls ein wirklich genau definiertes Konzept fehlt, bedeutet die Offene Gesellschaft, wenn Soros über sie spricht, gleichzeitig alles oder nichts.

Was Soros wirklich will

Soros ist weder der erste, noch wird er der letzte sein, der an eine von falschen Voraussetzungen ausgehende und komplizierte Ideologie glaubt, die schön klingt, aber wenig Bedeutung besitzt. Wenn alles gesagt und getan ist, bleibt Soros einfach das Mitglied einer neuen Gruppe von ökonomischen Philosophen, die in der Postmoderne auftreten mußten. Viele dieser "Pomosophen" ("pomo" von Postmodern, "sophos" von "weis") sind Geschäftsleute und Popstars mit einem geplagten Gewissen, die sich gerne mit Intellektuellen und Künstlern umgeben, um ihre Eitelkeit zu befriedigen und sich selbst als intellektuell wichtig zu empfinden. In Europa ist George Soros mit Hubert Burda vergleichbar, der enge persönliche Verbindungen mit dem rechtsgerichteten bayerischen Ministerpräsidenten Stoiber besitzt. Daher können selbst die Pomosophen nach links oder rechts neigen. In diesem Fall unterstützt Soros die Pomolinke und Burda die Pomorechte.

Letztendlich will Soros als großer Philosoph anerkannt und für seine Ideen und Aktivitäten gewürdigt werden. "Soros will diese Anerkennung", schreibt Robert Slater, der eine Biographie von Soros geschrieben hat. "Er erhielt sie nicht von Gorbatschow. Er wäre gerne eine Art Wirtschaftsberater eines amerikanischen Präsidenten oder eines Ministers geworden, und ich glaube, daß es ihn immer geärgert hat, daß er wegen seines vielen Geldes bekannt wurde."

Wie es immer bei den berühmtesten Philosophen und Propheten gewesen ist, sind sie, wenn sie nicht schon für die Größe prädestiniert waren (normalerweise durch eine von Wundern begleitete Geburt oder dem Beginn einer schicksalhaften Entwicklung), Außenseiter oder erfolgreiche Mitglieder der Gesellschaft, die ein psychisches Erlebnis oder eine Erweckung erfahren, durch die sich ihre Werte grundlegend ändern. Das mündet in eine zufällige und selige Veränderung ihres Lebens, die wiederum den Rest der Menschheit ändert. Sie sehen, in anderen Worten, "das Licht".

Soros scheint dieser Tradition der Philosophen und Propheten zu folgen - oder er läßt dies so erscheinen. "In seiner Autobiographie sagt Soros", so Morton, "daß er in den 60er Jahren eine psychische Krise durchmachte. Lange Zeit konnte er einfach nicht akzeptieren, daß er erfolgreich war. Je mehr Geld er verdiente, desto unsicherer fühlte er sich. Er trennte sich von seiner Frau und seinem Geschäftspartner und beschloß, daß er für sein Leben eine neue Orientierung benötigt." Soros schreibt selbst: "Nach langem Überlegen kam ich zum Ergebnis, daß das Konzept einer Offenen Gesellschaft mich wirklich bewegte." Viele weitere Beispiele dieser ostentativen Persönlichkeit kann man in der sechs Stunden dauernden Tonbandversion seiner Autobiographie hören.

Das Gute, das Böse und das Häßliche

Das alles wäre kein Problem, wenn es nur um die eitlen Absichten eines in die Philosophie verstrickten Kapitalisten ginge. Leider aber tauchen viele Hintergrundberichte wie der oben erwähnte des australischen Rundfunks Ost- und Zentraleuropa in ein negatives Licht, wenn es um Soros geht.

Der erste Fehler ist eine allzu allgemeine Einteilung der Region in "gute" und "schlechte" Gebiete. Die Tschechische Republik gilt beispielsweise als eine der besten Regionen. Der australische Hintergrundbericht erwähnte die Lila Revolution und daß Soros einige führende Personen wie Jan Urban unterstützt hat, der wiederum sagte, daß das Überleben des Bürgerforums während der kritischen Zeit des Übergangs Tschechoslowakiens Soros zu verdanken sei.

Im Gegensatz hierzu wird Ungarn normalerweise wegen "bösartiger politischer Angriffe" auf Soros und wegen seines Rassismus und Anti-Semitismus kritisiert. Kaum ein Aufheben macht man jedoch davon, daß in der Tschechischen Republik und der Slowakei anti-semitische und gegen die Roma gerichtete Haltungen genauso verbreitet sind, was für ganz Ost- und Zentraleuropa zutrifft. Die vorherrschende Perspektive sieht Ost- und Zentraleuropa als Brutstätte des Rassismus, des Anti-Semitismus und eines erwachenden Nationalismus. Tom Morton und andere Journalisten müssen jedoch gar nicht so weit in die Ferne schauen, um Rassisten, Anti-Semiten und Nationalisten zu finden. Vor kurzem hatte in Australien eine Politikerin, die Mitglied des Parlaments ist, Unruhe ausgelöst, als sie kategorisch die Notwendigkeit der Einführung schärferer Maßnahmen zur Kontrolle der Einwanderung feststellte, um die Zuwanderung von unerwünschten Asiaten zu verhindern. Man könnte sogar behaupten, daß Australien vielleicht eines der rassistischsten Ländern des pazifischen Raums ist.

Gerechtigkeitshalber gilt dieser doppelte Standard für die meisten westlichen Industrieländer. Kanadas Problem mit dem Nationalismus im Osten ist bekannt. Er droht weiterhin, das Land auseinanderbrechen zu lassen. Gleichzeitig ist in Westkanada der Rassismus gegen Einwanderer aus Asien offensichtlich. Viele seit langem in Vancouver lebende Bürger, die ihre Provinz als "Gottes Land" betrachten, beklagen das veränderte Aussehen ihrer Stadt und tauften sie um zu "Hongcouver".

In Europa ist die EU, sieht man von Ungarn einmal ab, in vieler Hinsicht rassistischer und anti-semitischer als Ost- und Zentraleuropa. In Dänemark ist die Nazipartei nicht verboten. In Frankreich hat die extreme Rechte mit Jean-Marie Le Pen einen weitaus größeren Erfolg als in Ungarn, wo Istvan Csurka und seine rechtsextreme Wahrheits- und Lebenspartei nicht einmal einen Abgeordneten ins Parlament schicken konnten. In Rumänien wurde der gemäßigte Emil Constantinescu gewählt, während der ehemalige Präsident Ion Iliescu keine Chance hatte, der sich auf eine anti-ungarische Rhetorik verließ, um Furcht und Haß gegenüber der großen ungarischen Minderheit des Landes auszulösen.

Martin Krygier, Rechtsprofessor und ehemaliger Dozent an der von Soros unterstützten CEU in Budapest, bekräftigte in dem Hintergrundbericht den westlichen Chauvinismus gegenüber dem Osten, der nicht mit dem Eisernen Vorhang verschwunden ist. Dieser Chauvinismus ist weit verbreitet und durchdringt alle Ebenen des Diskurses und selbst von Soros unterstützte Aktivitäten, wie die Nettime-Konferenz in Slowenien, die im Frühjahr dieses Jahres stattgefunden hat. Der Konferenztitel The Beauty and the East bringt unmißverständlich herabwürdigende Vorstellungen mit sich, die viele Künstler und Theoretiker, auch solche aus Ost- und Zentraleuropa, gegenüber dem "Osten" besitzen.

Zweifellos gibt es rassistische und ethnische Diskriminierung in Ost- und Zentraleuropa. Aber das ist kein ausschließliches Merkmal der Region. Während der Osten seine Gesellschaften zu öffnen versucht, ist der Westen damit beschäftigt, die seinen zu schließen. Wenn man sie ihrer Scheinheiligkeit beraubt, lassen die Verbunkerungsmentalität der EU und die ablehnenden Stimmung gegenüber Einwanderern in Kanada, der USA und Australien Ost- und Zentraleuropa hier freizügiger erscheinen.

Abgesehen von der heuchlerischen Wahrnehmung des Ostens, haben viele Westler eine falsche Vorstellung vom Nationalismus. Er hat in und an sich einen kulturellen Wert, den viele Menschen, zusammen mit anderen soziokulturellen Werten wie Familie, Region, Stadt etc. in ihre Identität einbauen. Natürlich zerstören ein intoleranter Nationalismus und Fremdenhaß die Menschenwürde und die Freiheit. Leider können die westlichen Beobachter oft nicht die Komplexitäten der ethnischen und kulturellen Vermischung in Ost- und Zentraleuropa sehen und betrachten wie Krygier die ganze Region als einen Block, der nur aus "wiedererwachenden nationalistischen Ländern" besteht.

Der wirtschaftliche Nationalismus

Wenn man den Nationalismus als gemeinsamen Nenner benutzt, werden nicht nur die Unterschiede im Osten verwischt, sondern kann auch der Westen nicht erkennen, daß er selbst aus wiedererwachenden nationalistischen Ländern besteht, auch wenn sich das ganz verschieden ausprägt. Die Amerikaner berufen sich stolz auf ihren Nationalismus als Patriotismus - ein Begriff, der angeblich keine der negativen Assoziationen des ersten enthält. In Wirklichkeit sind jedoch Nationalismus und Patriotismus nicht nur dasselbe, sondern im Westen ist auch eine möglicherweise gefährlichere Form des Nationalismus entstanden.

Der wirtschaftliche Nationalismus bedroht wahrscheinlich die Menschheit stärker als ein ethnischer, da er nicht nur global, sondern auch unkenntlich ist. Der Mythos des Welthandels verschleiert nicht nur ein System des Handels, in dem die Kontrolle und die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen seitens multinationaler Unternehmen nicht nur Menschen aus unterentwickelten Ländern vertreibt und das die Mehrheit der Menschen in Elend und Armut stürzen läßt, sondern es ist wegen der von ihm herbeigeführten Umweltzerstörung auch eine Bedrohung der kommenden Generationen. Auf der anderen Seite werden Konsumenten und kleine lokale Unternehmen durch die Macht der Multis auf dem Markt überwältigt, der wenig Spielraum für Auswahl und Unabhängigkeit läßt.

Der wirtschaftliche Nationalismus ist vermutlich nicht nur in der Form ein Problem, in der heute wirtschaftlich gehandelt wird, sondern weil er mit dem ethnischen Nationalismus vieles gemeinsam hat. Symbole benutzt man nicht allein für Werbezwecke, sie sollen auch die Herkunft bestätigen. Die Fahnen der Multis flattern nicht bloß im Wind, ihre Symbole befinden sich auch auf Kleidern, so daß der "Swoosh" von Nike eine ganz ähnliche Funktion wie das Hakenkreuz der Nazis hat. Die Werbesprüche hingegen sind die nationalen Hymnen der Multis.

Die politische Macht der Multis ist so groß geworden, daß sie sogar die des Staates bedroht. Viele Multis verhalten sich gegenüber sich selbst wie Staaten. Daher besteht die Wirtschaftspolitik vieler Staaten heute darin, um den Markt der Unternehmen zu konkurrieren, während die Unternehmen zuvor in Konkurrenz um den Markt der Länder standen.

Ironischerweise geht Soros selbst auf dieses Problem in seinem Artikel The Capitalist Threat im Atlantic Monthly ein. Hier sieht er Ähnlichkeiten zwischen dem Kapitalismus und dem Faschismus (sowie dem Kommunismus), wenn auch vor allem hinsichtlich ihres Glaubens an Gewißheit und an den Besitz einer wissenschaftlichen Wahrheit. Er schreckt allerdings davor zurück, den heutigen Kapitalismus als wirtschaftliche Variante des Nationalismus zu verstehen. Wenn sich Soros vielleicht mehr auf diesen Aspekt der kapitalistischen Bedrohung konzentrieren würde, was auch hieße, daß man den Problemen der Armut direkt mehr Zeit und Geld widmen müßte als den Problemen der Philosophie, dann würde er möglicherweise die Anerkennung erwerben, nach der er sucht.

Aus dem Englischen übersetzt von Florian Rötzer