Gerhard Schröder: SPD muss Entspannungspolitik erneuern

Porträt Schröder aus dem Jahr 2005

Archivfoto (2005): 360b / Shutterstock.com

Redet sich der Ex-Kanzler jetzt um Kopf und Kragen? Gerhard Schröders Auftritt in der rechtsoffenen "Weltwoche": Trump als Friedensbringer. Kommentar.

Was war das jetzt? Ausgerechnet bei der ehemals liberalen, heute himmelweit rechtsoffenen Schweizer Wochenzeitschrift Die Weltwoche trat SPD-Altkanzler Gerhard Schröder in der vergangenen Woche auf.

Und wer nur ein paar Schlagzeilen im Netz las, konnte sich die Schlagworte Trump-Unterstützung, Putin-Freundschaft und Antiamerikanismus auf eine Weise zusammenreimen, dass man das Schlimmste fürchten musste um Schröder.

Der war von offiziellen Seiten der "Ampel"-Bundesregierung und seiner Partei bereits in den letzten Jahren fast zur "Persona non grata" erklärt worden, mit viel uninformierten Vorverurteilungen und manchen Fake-News konfrontiert, sowie mit einem Parteiausschlussverfahren der SPD, das allerdings 2023 endgültig eingestellt worden war.

Und alles begann auch wie eine Sendung aus dem Rentnerprogramm eines Privatfernseh-Nachmittags: Schröder schwelgte, von einem willfährigen Stichwortgeber chronologisch geführt, in Kindheitserinnerungen, teilte Anekdoten über Perry Mason-Filme und Pferdebraten.

Differenzierte Ansichten und bittere Wahrheiten für die politisch Handelnden

Doch sehr schnell war das öffentlich geführte und auf YouTube präsentierte, danach in einer deutlich redigierten und gekürzten Form auch verschriftlichte Gespräch mit dem immer wieder gewöhnungsbedürftigen Weltwoche-Herausgeber Roger Köppel bald substantieller, weitaus differenzierter und ausgewogener, als es dieser erste Eindruck vermuten ließ.

Es drehte sich vor allem um deutsche und europäische Außenpolitik und hier wieder um den Ukraine-Konflikt und das Verhältnis zu den USA einerseits und zu Russland auf der anderen Seite. Die Öffentlichkeit des Westens – wenn sie es denn zur Kenntnis nehmen will – dürfte über manche Details überrascht sein.

Der Altkanzler hielt dabei für die heute politisch Handelnden eine ganze Menge guter Ratschläge und auch einige bittere Wahrheiten parat.

"Die Demokraten sind ideologischer in Bezug auf Russland und China als die Republikaner"

Deutlich im Zentrum aller Fragen steht für Schröder die Beendigung des Ukraine-Kriegs.

Es ist ja wichtiger, dass man zu einer Lösung dieses Konfliktes kommt, als die Frage wer amerikanischer Präsident wird.

Schröder äußert hier zwar eine gewisse Hoffnung in die Erklärungen Donald Trumps, ohne sich aber zu einer klaren Parteinahme hinreißen zu lassen. Stattdessen verweist er auf europäische Erfahrungen mit den unterschiedlichen außenpolitischen Grundpositionen der beiden US-Parteien.

Auf die Frage, wem er in Zukunft eher zutraue, auf Verhandlungen zu drängen, sagte Schröder:

Ich glaube, dass es die Republikaner traditionell leichter haben, einen solchen Schritt zu gehen – es ist ja eine der Konstanten in der europäisch-amerikanischen Politik, dass in Europa sehr viel häufiger darauf geachtet wurde, was sich bei den Republikanern tut. Die Demokraten sind ideologischer in Bezug auf Russland und China als die Republikaner.

Dabei machte Schröder deutlich, dass aus seiner Sicht die USA in der Außenpolitik vollkommen vom Eigeninteresse dominiert handeln, und Ukraine-Krieg vor allem ein Mittel sehen, um Russland und China zu schwächen – auch auf Kosten der Ukraine. Darum sei Washington vorläufig gegen Verhandlungen zwischen Kiew und Moskau.

Istanbul 2022: "Die ukrainische Seite war nur begrenzt entscheidungsfähig"

Im April 2022 habe es – unter seiner, Schröders Beteiligung – reale Chancen auf einen Waffenstillstand und Frieden gegeben - dies sei auf Druck der USA nicht zustande gekommen.

Ich hielt eine Einigung für möglich. Mein Eindruck ist: Die russische Seite war entscheidungsfähig, die ukrainische nur begrenzt. Ich möchte niemanden diffamieren, aber ich glaube, mein Eindruck ist nicht ganz falsch, weil die Ukraine nachfragen musste: Wie sieht das denn in Amerika aus?

Da hat es offenkundig Probleme gegeben, ebenso in England. So ist das dann abgebrochen worden, zu meinem großen Bedauern. Das war eine Zeit, in der viel Blutvergießen hätte vermieden werden können.

Wollen die USA überhaupt Verhandlungen, oder entspricht ein weiter schwelender militärischer Konflikt im fernen Europa eher ihrem Interesse? Ist es möglich, "dass Amerika wenigstens die Chance eröffnet, dass solche Verhandlungen erfolgreich sind"?

Auf Donald Trump setzt Schröder gewisse Hoffnungen. Denn er sei am ehesten imstande, diesen Krieg in einem Dialog mit Russland zu beenden.

"Die EU-Kommission kann man vergessen in solchen Fragen"

Zum Schlüssel wird für Schröder die Frage, ob Europa zu alter Stärke zurückfinden und mittelfristig gemeinsam und autonom von Washington agieren kann. Der Altkanzler schlägt hier eine deutsch-französische Initiative vor.

Er habe die Hoffnung, Deutschland und Frankreich würden mehr Verantwortung übernehmen.

"Das muss auf der Ebene von Regierungen geschehen. Es kann nur ausgehen von Europa selbst."

Er vermisse neben der Hilfe für die Ukraine auch ernsthafte Verhandlungsangebote.

Der Ukraine-Krieg sei in erster Linie ein europäisches Problem.

Wir erwarten, dass die USA diese Verhandlungen unterstützen und nicht etwa konterkarieren. Das sollte man Washington signalisieren.

Auf Brüssel setzt Schröder dagegen überhaupt nicht: "Die EU-Kommission kann man vergessen in solchen Fragen. Die muss man da außen vor lassen und die Dame, die da sich besonders hervortut", meinte Schröder unter Bezug auf EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen.

"Es ist auch in früheren Zeiten nie geschafft worden, Russland zum alleinigen Verlierer zu machen"

Das Bild von Russland und die von politischen Akteuren und veröffentlichte Meinung, Putin sei nichts als "ein Killer" (US-Präsident Joe Biden) und mit ihm zu verhandeln, sei Appeasement "wie einst mit Hitler", müsse korrigiert und differenziert werden:

Das entspricht nicht meiner Wahrnehmung. Und wir sollten da etwas abrüsten in der Wortwahl. Wenn man verhandeln will, kann man doch nicht von vornherein behaupten, dass sie nutzlos sind. Ich würde auch warnen, da auf Meinungen aus dem Baltikum abzustellen.

Da sind die Verhältnisse zu verhärtet, um es mal freundlich zu sagen. Nur Frankreich und Deutschland bringen in Europa die nötige Power auf. (...)

Es ist auch in früheren Zeiten nie geschafft worden, Russland gleichsam zum alleinigen Verlierer zu machen, und es ist vielleicht auch gar nicht sinnvoll. So hat man die Pflicht, sich dem entgegenzusetzen. Und man muss das auch aussprechen.

Der Ukraine-Krieg ist laut dem Altbundeskanzler nicht allein die Schuld Russlands. Der Angriff Russlands sei zwar nicht zu rechtfertigen. Doch zugleich wisse er um "die Konflikte, die es vor dem Krieg gegeben hat und an denen viele nicht unschuldig sind. Ich weiß, man hätte andere Möglichkeiten schaffen können".

Gleichzeitig muss man vielleicht darüber nachdenken, "ob Waffenlieferungen allein und die militärische Unterstützung der Ukraine wirklich die Alternative ist".

Verteidigung der Entspannungspolitik: Forderungen an die Ukraine

Im Gegensatz zu den meisten seiner Parteigenossen, die sich zumindest nicht trauen, dies heute öffentlich zu sagen, um nicht sofort als "Putinknecht" gescholten zu werden, verteidigte Schröder die Ostpolitik der sozialliberalen Koalition (1969-1982) und ihre sozialdemokratischen Architekten Willy Brandt und Egon Bahr

Es sei "Quatsch", die Ostpolitik zu einem Fehler zu erklären. Schröder verwies auf die deutsche Verantwortung. Sie gälte aber in beiden Richtungen. Die SPD sei gefordert, diese Entspannungspolitik in der Gegenwart zu erneuern.

Von der Ukraine ein Verhandlungsangebot zu verlangen in der jetzigen Situation, würde eine große Erleichterung in Deutschland bedeuten. Wenn angesichts der Geschichte unseres Landes eine Partei so ein Angebot machen sollte, würde ich erwarten, wäre dies die SPD, die Partei von Willy Brandt und Helmut Schmidt.

"Meine Kinder lieben mich und auch meine Frau. Das reicht mir an Liebe"

Wie nicht anders zu erwarten, wirkt Schröder in dem fast zweistündigen Gespräch sehr mit sich im Reinen:

Man muss bei sich bleiben. Man muss überzeugt sein. Man macht zwar Fehler. Und man soll zu dem, was man für richtig hält, auch stehen, selbst wenn es Ämter kostet oder Anfeindungen produziert. Meine Kinder mögen mich, lieben mich und auch meine Frau. Das reicht mir an Liebe.