Gericht kippt Abriegelung des europäischen Coronavirus-Hotspots Madrid
Wie kein anderes Land in Europa ist Spanien vom Coronavirus betroffen. Obwohl Madrid das Zentrum ist, wurde die zu spät erfolgte Abriegelung wieder gekippt
Neun Städte um die spanische Hauptstadt Madrid und die Hauptstadt selbst wurden vergangenen Freitag nach einer langen Verzögerungstaktik der Regionalregierung auf Anordnung der Zentralregierung abgeriegelt, da die Infektionszahlen seit langem fatal waren. Im Kern sollte damit verhindert werden, dass das Virus wieder im ganzen Land verteilt wird.
Im Durchschnitt werden in der Hauptstadtregion nach Angaben der Regionalregierung nur noch 507 neu entdeckte Infektionen pro 100.000 Einwohner registriert. Allerdings gibt es immer größere Zweifel an den von der Region gelieferten Daten. So hatte die Region einen Rückgang bei Ansteckungen gemeldet, aber dafür 9000 einfach nicht berücksichtigt.
Für viele Beobachter ist offensichtlich, dass sie schöngerechnet werden. Mit zweiwöchiger Verspätung werden Infektionen nachgemeldet, die dann zum Teil drei Mal so hoch ausfallen, als ursprünglich gemeldet worden war. Deutschland spricht eine Reisewarnung schon bei 50 Fällen pro 100.000 aus. Viel aussagekräftiger als Infektionszahlen ist aber, dass die Intensivstationen in der Hauptstadtregion wieder überlastet sind und zudem die Todeszahlen steigen. Gerade wurde am Dienstag mit 261 Toten im ganzen Land in nur 24 Stunden ein neuer Rekord in der zweiten Welle aufgestellt. Davon wurde fast die Hälfte allein in Madrid registriert.
Die Abriegelung war dringend nötig, kam aber ohnehin viel zu spät, weil sich die Zentralregierung von der rechten Regionalregierung lange an der Nase herumführen ließ, womit die Infektionszahlen, Einlieferungen in Hospitäler und Todeszahlen wieder explodieren konnten. Und nun muss die sozialdemokratische Regierung von Pedro Sánchez auch noch die Schlappe hinnehmen, dass der Oberste Gerichtshof der Hauptstadtregion Madrid die Abriegelung von Madrid, Alcalá de Henares, Alcobendas, Alcorcón, Fuenlabrada, Getafe, Leganés, Móstoles, Parla und Torrejón de Ardoz wieder gekippt hat.
Parlamentsbeschluss ist für Einschränkung von Grundrechten notwendig
Die Richter sind der Ansicht, dass diese Maßnahmen "die Grundrechte einschränken", weshalb es eine gesetzliche Regelung bedurft hätte, die im Parlament hätte beschlossen werden müssen. Die Richter zeigen sich "erstaunt", dass angesichts der Pandemie keine Regelungen beschlossen worden sind, um sie "effektiv" bekämpfen zu können. Dabei, so die Richter, gäbe es dafür im Land einen breiten Konsens. Die bisherigen Regelungen seien "zweifellos mangelhaft und klärungsbedürftig". Das Gesetz, mit dem die Regierung die Maßnahme begründet hat, "erlaubt keine Einschränkung von Grundrechten", treten die Richter der Regierung vor das Schienbein.
Die Sánchez-Regierung hätte sich einen begrenzten Alarmzustand für die Hauptstadtregion vom Parlament genehmigen lassen müssen, um schwerwiegenden Eingriffe in Freiheitsrechte vornehmen zu können. Wie die Regierung Sánchez nun mit dem Chaos umgeht, dass man über das absurde Vorgehen unter Aushebelung des Parlaments geschaffen hat, ist unklar. Allerdings ist die Entscheidung der Richter noch nicht rechtskräftig, sie kann noch angefochten werden.
Sonderlich ernst hatten aber weder die Regionalregierung noch die Zentralregierung die Abriegelung und die hohen Ansteckungsraten genommen. Während zum Beispiel in Brüssel oder Paris, bei deutlich besseren Zahlen, Cafés, Bars und Kneipen für zwei Wochen geschlossen wurden, sind sie in Madrid weiter geöffnet. In Paris wurden zuletzt 270 neue Ansteckungen pro 100.000 Bewohner registriert. Madrid ist zwar abgeriegelt, doch die Menschen können sich weiter frei in den abgeriegelten Städten bewegen und weiter untereinander anstecken. Was noch schlimmer ist, sie konnten über den Flughafen sogar weiter ohne jegliche Kontrolle die Region oder das Land verlassen. Niemand fordere eine Begründung für eine Reise, nicht einmal auf erhöhte Temperatur werden die Reisenden geprüft.