Gericht verdonnert Habeck und Co. zu mehr Klimaschutz

Symbolbild: succo / Pixabay Licence

Umwelthilfe klagt erfolgreich. OVG Berlin-Brandenburg zwingt Bundesregierung zu Nachschärfungen. Mit Folgen vor allem im Verkehrssektor.

Auf ganzer Linie schuldig: Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat am Donnerstag die Bundesregierung wegen mangelndem Klimaschutz in allen Punkten verurteilt. Geklagt hatten die Deutsche Umwelthilfe DUH und drei Privatpersonen.

Ihr Vorwurf: Das von der Ampel-Koalition 2023 beschlossene Klimaschutzprogramm sei rechtswidrig, weil mit ihm die im Klimaschutz-Gesetz festgelegten Ziele nicht erreicht werden können. "Das ist eine Ohrfeige für die Pseudo-Klimapolitik der Ampel-Regierung", so Matthias Walter, Sprecher der Deutschen Umwelthilfe.

Im Kern ging es der DUH um die sogenannten "Klimaschutzprogramme": Dort werden politische Maßnahmen aufgelistet, die dafür sorgen sollen, dass der deutsche Treibhausgas-Ausstoß tatsächlich sinkt. Erfunden hatte diese "Klimaschutzprogramme" 2019 die damalige Bundesregierung von Angela Merkel (CDU), als sie erstmals ein deutsches Klimaschutz-Gesetz beschloss. Als Ziel formulierte dieses Gesetz, die deutschen Emissionen bis zum Jahr 2030 um mindestens 55 Prozent gegenüber 1990 zu senken.

Erreicht werden sollte diese Reduktion nach Paragraph 9 mit dem sogenannten Klimaschutzprogramm: Darin muss die Regierung festlegen, "welche Maßnahmen sie zur Erreichung der nationalen Klimaschutzziele in den einzelnen Sektoren ergreifen wird", wie es im Gesetzestext heißt.

Zentral: CO2-Redaktionsziele für einzelne Sektoren

Um das Ziel diesmal auch wirklich zu erreichen, wurde jedem einzelnen Lebensbereich – also den Sektoren Verkehr, Gebäude, Energie, Bau, Industrie, Landwirtschaft – ein einzelnes Reduktionsziel vorgegeben.

Zu überwachen hat diese Reduktion ein Expertenrat, der unabhängig von der Regierung prüft, ob sich die einzelnen Sektoren tatsächlich auf dem Zielpfad 2030 befinden – und zwar jedes Jahr. Sollten in einzelnen Bereichen zu wenige Treibhausgase eingespart werden, muss die Bundesregierung nach Paragraph 8 des Klimaschutz-Gesetzes ein Sofortprogramm auflegen – um wieder auf Kurs zu kommen.

Allerdings befand die Deutsche Umwelthilfe bereits 2021, dass die im Klimaschutz-Programm beschriebenen Maßnahmen viel zu unkonkret für eine Berechnung des Erfolgs oder Misserfolgs einzelner Maßnahmen sind.

"Wenn ich in das Programm 'Abbau klimaschädlicher Subventionen' reinschreibe, kann niemand seriös berechnen, wie viele Treibhausgase dadurch eingespart werden können", erläutert DUH-Anwalt Remo Klinger. Ohne konkrete Reduktionszahlen könne aber nicht abgeschätzt werden, ob das Reduktionsziel des Klimaschutz-Gesetzes eingehalten werde.

Vorgängerurteil verschärfte deutsches Klimaziel

Zumal das 2021 verschärft wurde: Damals hatten mehrere Personen, darunter neun junge Menschen, eine Verfassungsbeschwerde gegen das Klimagesetz von 2019 eingereicht, und mit ihr der Regierung unterstellt, zu wenig für künftige Generationen zu tun. Tatsächlich urteilte das Bundesverfassungsgericht, dass das Klimaschutz-Gesetz von 2019 die Freiheits- und Grundrechte der jungen und kommenden Generationen beeinträchtigt.

Weshalb die Koalition aus Union und SPD 2021 ein neues Klimaschutz-Gesetz erarbeiten musste. Ziel war jetzt, die deutschen Emissionen 65 Prozent unter das Niveau von 1990 zu senken. Das Instrument des Klimaschutzprogramms für die notwendigen Maßnahmen zum Erreichen des Zieles behielt der Gesetzgeber bei.

Nach der Bundestagswahl legte deshalb die Ampel-Regierung ihr Klimaschutzprogramm vor. Allerdings blieb die neue Regierung dabei ähnlich unkonkret in ihren Maßnahmen wie die Vorgänger-Regierung: "zu wolkig formuliert, zu unkonkret", wie es DUH-Anwalt Klinger am Donnerstag im Gerichtssaal formulierte.

Angemahnt: Berechenbare Maßnahmen zum Klimaschutz

Denn nur wenn es berechenbare Maßnahmen gebe, könne der Expertenrat entscheiden, ob sich Deutschland im rechtlichen Rahmen bewege: minus 65 Prozent bis zum Jahr 2030. Im Jahr 2023 lag die Bundesrepublik erst bei minus 46 Prozent.

"Wir beklagen nicht das Gesetz, sondern das Handeln der Bundesregierung", erklärte im Vorfeld der Verhandlungen DUH-Sprecher Matthias Walter. Das Oberverwaltungsgericht hatte deshalb unter anderem zu erörtern, wie konkret ein Klimaschutzprogramm aufgestellt werden muss.

Ariane Holle, die Vorsitzende Richterin des 11. Senates erklärte, ihr sei wichtig, dies öffentlich zu verhandeln, "damit es Teil der öffentlichen Debatte wird". Und tatsächlich offenbarte diese öffentliche Verhandlung eklatante Meinungsverschiedenheiten beim Kläger und der beklagten Bundesregierung.

Deren anwaltliche Vertretung argumentierte, dass ein solches Klimaschutzprogramm rechtlich gar nicht verpflichtend vorzulegen sei, die Bundesregierung habe es "freiwillig" erarbeitet. DUH-Anwalt Klinger erklärte dagegen, das Programm sei das "zentrale rechtliche Dokument des deutschen Klimaschutzes."

Aktuell: Ein neues Klimaschutz-Gesetz im Bundesrat

Das Urteil dürfte Auswirkungen auch auf die letzte juristische Windung des deutschen Klimaschutzgesetzes haben: Am 26. April dieses Jahres hatte die Ampel ein eigenes auf den Weg gebracht – und in diesem die Sektorziele abgeschafft.

Allerdings ist dieses Gesetz noch nicht in Kraft. "Deswegen ist es für dieses Verfahren unerheblich", erklärte Richterin Frau Holle. DUH-Sprecher Walter machte nach der Urteilsverkündung nach achtstündiger Verhandlung aber klar, dass sich das aktuelle Urteil weitreichend auch auf künftige Gesetzgebung auswirken wird: "Politisch wird diese Verurteilung natürlich neue Maßstäbe setzen." Die Bundesregierung kann gegen das Urteil des 11. Senats vor dem Bundesverwaltungsgericht in Berufung gehen.

Zu einem treffenderen Zeitpunkt hätte das Urteil nicht kommen können: Im Bundesrat nämlich wird an diesem Freitag jenes Klimaschutzgesetz beraten, das "Rot-Grün-Gelb" auf den Weg gebracht hatte. Die Union kritisierte in der Bundestagsdebatte zum Gesetz, dass die Ampel die vormals verbindlich festgeschriebenen Sektorziele gestrichen hat.

Verkehrsminister ohne Plan zur Einhaltung von Klima-Sektorzielen

Damit kann jetzt im Verkehrsbereich Klimaschutz vorangebracht werden – muss aber nicht mehr, wie zuvor unter "Schwarz-Rot". Der aktuelle Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) hatte auch bisher keinen Plan für die Einhaltung der Sektorziele vorgelegt.

Der CDU-Politiker Andreas Jung erklärte zu deren Abschaffung: "Sie nehmen dem Gesetz die Verbindlichkeit und machen es zu einem Papiertiger."

Umwelthilfe nimmt Unionsparteien in die Pflicht

Umweltverbände haben deshalb die Union aufgefordert, das Gesetz heute in den Vermittlungsausschuss zwischen Bundestag und Bundesrat zu überweisen. Wenn die Kritik der Union "mehr als Oppositionsrhetorik" sei, müssten nun Taten folgen, fordern Greenpeace, Naturschutzbund und DUH in einem gemeinsamen Brief an die Ministerpräsidenten der sechs CDU-geführten Bundesländer: Über den Bundesrat könne die CDU noch eine Kurskorrektur nachverhandeln.

In ihrer Urteilsbegründung erklärte die Vorsitzende Richterin Holle, dass das vergangenen Oktober beschlossene Klimaschutzprogramm die gesetzlichen Vorgaben nicht vollständig erfüllt: "Die Bundesregierung muss darauf achten, dass alle Maßnahmen des Klimaschutzprogramms prognostisch geeignet sind, die Klimaziele zu erreichen und die jährlichen Emissionsmengen einzuhalten".

Dies müsse "methodisch einwandfrei" sein und dürfe nicht auf unrealistischen Prognosen beruhen. Denn die im Klimaschutzgesetz festgelegten Klimaziele seien verbindlich. Absehbar sei aber bereits, dass bereits in diesem Jahr viele Sektoren die im Klimaschutzgesetz festgelegten Treibhausgas-Mengen überschreiten.

Grüner Klimaschutzminister legt Revision gegen mehr Klimaschutz ein

Dass die DUH gute Chancen mit ihrer Klage haben würde, war spätestens seit ihrem letzten Prozess gegen die Bundesregierung vor dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg klar im vergangenen Herbst klar: Damals verpflichteten die Richter die Ampel "gesetzeskonforme Klimaschutz-Sofortprogramme in den Sektoren Gebäude und Verkehr" auf den Weg zu bringen.

Passiert ist das bezeichnenderweise noch nicht: Der Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, Robert Habeck (Bündnisgrüne), Kanzler Olaf Scholz (SPD) und Co. gingen gegen das Urteil vor das Bundesverwaltungsgericht in Revision.

DUH-Sprecher Matthias Walter nennt das absurd: "Dass ein grüner Klimaschutzminister jemals Revision gegen ein Urteil für mehr Klimaschutz einlegt, das hätte wohl niemand vor dieser Regierungsbildung geglaubt."

Aktenzeichen: OVG 11 A 22/21 und OVG 11 A 31/22