Geschlecht: unbestimmt
Der australische Bundesstaat New South Wales hat erstmals einen Menschen offiziell als Neutrum anerkannt: Ende der Dualität von Mann und Frau?
Vor wenigen Tagen wurde vermutlich der erste Mensch weltweit von staatlicher Seite offiziell als geschlechtslos anerkannt. Das(?) 48-jährige Norrie May-Welby war in Schottland als Junge geboren worden, hatte sich aber im Alter von 28 Jahren zur Frau umoperieren lassen. Auch damit wurde Norrie nicht glücklich, nahm dann 20 Jahre lang keine Hormone und versteht sich nun als Neutrum. Das Register of Births Deaths and Marriages des australischen Bundesstaates New South Wales stellte Norrie nun ein Recognised Details Certificate aus, das für Immigranten den Stellenwert einer Geburtsurkunde hat. Dort wird festgestellt, dass May-Welby weder Mann noch Frau ist: "sex not specified".
Damit bricht Australien mit der grundsätzlichen und in aller Regel alternativenlosen Einteilung der Menschen in zwei Geschlechter. Zwar können in vielen Staaten Menschen inzwischen ihr Geschlecht wechseln und dies mit dem entsprechenden geänderten männlichen oder weiblichen Vornamen auch in ihre Ausweise eintragen lassen. Doch ein Mensch, der geschlechtlich ein Neutrum ist, war bislang nicht vorgesehen: tertium non datur. Allerdings hat "es" damit noch nicht geschafft, dass das neutrale Geschlecht auch in den Pass eingetragen wird.
Mit dem Aufkommen des Bürgertums entwickelte sich auch in der Kritik an der Adelsgesellschaft mit ihrem Schein die Anerkennung des Authentischen, eine Spielart der Aufklärung, die hinter die Kulissen und Masken zu schauen sucht, um das Wirkliche und Unverfälschte aufzudecken. Zur Aufklärung, die sich freilich zunächst unter der Knute des Absolutismus vollzog, gehört aber auch, dass sich die Geheimdienste ausbreiten und die Erfassung der Menschen, die bereits im Mittelalter beginnt, immer umfassender wird. Während immer mehr Daten von den Obrigkeiten gesammelt werden, werden die Bürger als "Personen" ab dem 15. Jahrhundert mit bestimmten Eigenschaften auch als Körper in eine Identität gezwungen, dem staatlichen Pendant zur authentischen Individualität, ausgehend von den Siegeln, Wappen und Begleitbriefen sowie den Registern in Kirchen oder Städten. Die seit 1792 in Frankreich beginnende zentrale Personenerfassung steht am Anfang des modernen staatlichen Passwesens. Der Pass hält die zugewiesene Identität nicht nur durch persönliche Daten fest (Name, Geburtstag und –ort, Staatszugehörigkeit, Wohnort, Augenfarbe, Größe und eben männliches oder weibliches Geschlecht), sondern auch durch ein Passbild und neuerdings durch weitere biometrische Merkmale.
Für Norrie May-Welby ist die übliche Einteilung in Mann und Frau repressiv und nur noch geschichtlicher Ballast. Norrie versteht sich als "androgyner Anarchist", der "Menschheit und den Ökosystemen des Planeten verpflichtet und daher gegen rein profitgesteuerte Unternehmen sowie Regierungs-Bullying und –terror" gerichtet. Es gebe keine Notwendigkeit mehr, dass die Menschen staatlich in eine Geschlechtsidentität eingesperrt werden, sagt Norrie. Das würde zur Diskriminierung Anlass geben, zudem gebe es einfach auch Menschen, die intersexuell sind, also weder ganz männlich oder weiblich, sondern Zwitter oder Hermaphroditen sind. Manche seien auch von der Orientierung her bisexuell oder transsexuell, manchmal so, manchmal eben anders. Das duale Weltbild mit zwei gegensätzlichen Geschlechtern ist überwunden, was sich schon alleine daran zeige, dass die Transgender-Szene in den Städten ohnehin immer größer werde.
I was once a boy, before being first chemically then physically castrated, and had my penis fashioned into vagina over twenty years ago. But I haven't taken hormones for about 20 years, preferring my body and brain to be as they are naturally without being dependent on externally supplied hormones or plastic implants, happy to be androgynous and to be seen as such. I bond with female friends as a female, I bond with gay friends as a fellow queen. … Stating my sex as male or as female makes the statement false, which is not acceptable for legal identity documentation, and puts me in danger of detention and assault. The simplest solution is simply to not have any sex identification on my legal documentation
Norrie May Welby
Norrie konnte allerdings nicht einfach erklären, ein Neutrum zu sein, das manchmal eher männlich, manchmal eher weiblich ist. "Es" musste medizinische Gutachten vorlegen, die belegen, dass es sexuell neutral ist, also auch die Anatomie nicht eindeutig erkennen lässt, ob es sich um einen Mann oder eine Frau handelt.
Offenbar waren die Nachweise überzeugend, so dass die Behörde nach anfänglichem Zögern doch bestätigte, dass das Geschlecht "unbestimmt" ist. Norrie spricht von sich selbst als "zie", um die Verwendung von "he" und "she" zu vermeiden, oder "hir" anstatt "her" oder "him". Von sich selbst in der Ich-Form zu sprechen, verlangt schon einmal keine Geschlechtsentscheidung. Allerdings wird es schwierig sein, die normalen Formulare auszufüllen, in denen stets gefragt wird oder man ankreuzen muss, ob man eine Frau oder ein Mann ist. Wird es bald die Möglichkeit geben, "Neutrum" oder "androgyn" anzukreuzen?
Die Australian Human Rights Commission hatte letztes Jahr den Bericht Sex Files: The Legal Recognition Of Sex In Documents And Government Records veröffentlicht. Hier wurde eine Liberalisierung der vom Staat verlangten Geschlechtsidentität gefordert. Die Menschen sollen sich relativ frei entscheiden können, welches Geschlecht sie für offizielle Dokumenten angeben können, und erwachsene Menschen sollen sich auch dafür entscheiden können, dass sie auf Dokumenten "unbestimmtes Geschlecht" angeben können.