Gewalt gegen Journalisten: "Dann werden wir alle Waffen dabei haben"

Bild: Wassilis Aswestopoulos

Griechenland: Der Gesellschaft im Land droht die Spaltung. Das zeigt sich auch an Angriffen gegen Journalisten und daran, dass sie in rechten Milieus gutgeheißen werden

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Ebenso wie in Deutschland sehen sich Vertreter der Presse auch in Griechenland einer Welle der Aggression von Seiten eines Teils der Bevölkerung ausgesetzt. Einen vorläufigen Höhepunkt erlebten Fotoreporter am vergangenen Samstag in Thessaloniki. Die Gewalt bleibt indes nicht auf Demonstrationen beschränkt. Auf der Insel Lesbos streiken die Journalisten aus Protest gegen die Gewalt, der sie ausgesetzt sind.

Makedonien-Kämpfer vs Fotografen

Bei der Eröffnung der 83. Internationalen Messe von Thessaloniki gab es, wie in den Jahren zuvor, Demonstrationen gegen die Politik der Regierung. Vor allem seit dem Ausbruch der Staatsfinanzkrise 2010 ist es kaum mehr eine Meldung wert, wenn in Griechenland seitens der Polizei Tränengas eingesetzt wird.

Die Bereitschaftspolizei Griechenlands geht bei Demonstrationen nicht gerade zimperlich mit den Protestierenden um. So gibt es statt einer Aufforderung zur Platzräumung oder einem Aufruf zur Mäßigung direkt und ohne Vorwarnung Kaskaden von Tränengasgranaten und Blendgranaten. Dieses seit Jahren von der jeweiligen Opposition als übermäßige Gewalt der Polizei angeprangerte Phänomen, wird von den gleichen Parteien, sobald sie an der Regierung sind, geduldet.

Am vergangenen Samstag gab es gleich zwei Demonstrationen. In einer protestierten linke Gruppen und Anarchisten gegen die fortgesetzte Austeritätspolitik. Die zweite Protestversammlung hatte den Namensstreit mit der nördlichen Nachbarrepublik zum Thema.

Die Makedonien-Kämpfer genannten Bürger wehren sich gegen den im Prespes-Vertrag ausgehandelten Kompromiss (vgl. Streit um Ma(k)zedonien). Anders als bei den linken Demonstranten handelt es sich nicht um demonstrationserprobte Bürger. Vielmehr ziehen die Nationalisten meist mit Frau und Kind zum Protest los.

Die Polizei nimmt auf so etwas keine Rücksicht. Sie gehorcht den Vorgaben der politischen Führung. Diese, in Person der frischen Staatsministerin für Bürgerschutz Katerina Papakosta, gab offen zu, dass die Bereitschaftspolizei angewiesen war, auf gar keinen Fall Demonstranten in die Nähe des Ausstellungsgeländes zu lassen.

Dort, im Vellidion Kongresszentrum, eröffnete Premierminister Alexis Tsipras feierlich die Messe. Ihm, der tags zuvor den US-Handelsminister Wilbur Ross empfangen hatte, hörte geballte US-amerikanische Politik- und Wirtschaftsprominenz zu. Die USA sind bei der aktuellen Messe die geehrte Nation. In der Makedonien-Frage spielt die US-Außenpolitik, welche den Kompromiss fördert, eine entscheidende Rolle.

Umso mehr fürchtete die griechische Regierung die nationalistisch gesinnten Demonstranten. Diese werden von Medienberichten im Privatfernsehen und in der Presse weiter aufgestachelt. Sie fühlen sich von der konservativen Nea Dimokratia verraten.

Denn die größte Oppositionspartei stichelt zwar verbal gegen den Kompromiss und fordert die Bürger zum Protest auf. Sie hat aber bereits klargestellt, dass sie den Vertrag von Prespes nicht anzweifeln wird, sofern dieser endgültig von den Parlamenten beider Staaten ratifiziert wird.

Die Demonstranten haben zudem, gelinde ausgedrückt, eine Aversion gegen zahlreiche Bildberichterstatter. Fotografien von "Makedonomachen", wie die Nationalisten nicht immer in positiver Absicht genannt werden, sorgen immer wieder für Heiterkeit. Viral wurde am Samstag ein Foto des AFP-Fotografen Aris Messinis, der einen Demonstranten mit heruntergelassener Hose knipste.

Von Reuters gab es über den Fotografen Alexandros Avramidis die zusätzlichen Schnappschüsse. Der blank ziehende Mann spazierte inmitten eines surrealen Ambientes voller Tränengas während vor ihm ein ebenfalls gegen den Kompromiss protestierender Priester eine DIN-A2 große Ikone der Jungfrau Maria hoch hielt. Der Priester trug zu seinem Schutz eine Gasmaske.

Die entsprechenden Bilder wurden bereits, während die Demonstration lief, in Medien und in sozialen Netzwerken geteilt und die abgebildeten Personen der Lächerlichkeit preisgegeben. Die Reporter vor Ort hatten von all dem kaum Ahnung, als sich folgende Begebenheit abspielte.

"Wisst ihr, was ich hier habe?"

Ein Demonstrant der Nationalisten näherte sich einer Kamerafrau eines Fernsehsenders, griff sie an und versuchte ihr die Kamera zu entreißen. In unmittelbarer Nähe befanden sich Bereitschaftspolizisten, die nicht eingriffen. Stattdessen eilte eine Gruppe aus Athen angereister Fotoreporter der Kollegin zu Hilfe. Der Angreifer trollte sich zurück zu den Demonstranten.

Aus seiner Gruppe trat ein Mann an die Fotojournalisten heran und sagte "wisst ihr, was ich hier habe? Ihr wisst nicht, was ich hier habe". Die Reporter antworten "was hast du denn schon?" und sahen, wie der Mann aus seiner Tasche eine Schusswaffe zog. Sie informierten direkt die Polizei und konnten beobachten, wie sich die Beamten Zeit ließen. Erst als der Mann verschwunden war, nahmen die Polizisten die fruchtlose Verfolgung auf.

Mit dem Vorfall beschäftigt sich nun die Staatsanwaltschaft. Obwohl es von Seiten der Nationalisten zahlreiche Übergriffe gab, und unter anderem auch eine durch Thessaloniki fahrende türkische Familie verfolgt, bedrängt und ihr Auto beschädigt wurde, gab es keinerlei Festnahme bei den Nationalisten. Auf der anderen Seite, der räumlich durch Polizeibusse getrennten Demonstranten des linken Spektrums kam es zu knapp zwei Dutzend Festnahmen.

Den Fotografen näherte sich kurze Zeit später ein weiterer Demonstrant aus den Reihen der Nationalisten. Zunächst wirkte der Mann ruhig und diskussionsfreudig. Er ließ sich die gesamte Geschichte bis ins letzte Detail erzählen und beschied die verblüfften Reporter dann, "nun, wenn wir bei der Abstimmung über den Prespes-Vertrag nach Athen kommen, dann werden wir alle Waffen dabei haben".

Ein weiteres von den Reportern zufällig gehörtes Gespräch lässt nichts Gutes hoffen. Sie wurden Zeugen, wie eine ältere Frau einen jungen Nationalisten fragte, "eigentlich könnte man die Politiker doch sehr leicht erschießen, oder?"

Thessaloniki glich während der Messereröffnung einer surrealen, belagerten Stadt. Überall waren in durchaus kitschiger Manier US-Symbole zu Ehren der Amerikaner angebracht und auf zahlreichen Gebäuden saßen Scharfschützen. Zu mehreren tausend griechischen Einsatzpolizisten gesellte sich eine unbekannte Zahl an FBI-Agenten.

"Das Mädchen mit dem Kopftuch" - Journalisten mit dem Leben bedroht

Die Insel Lesbos ist die griechische Grenzinsel, auf der wegen des EU-Türkei-Deals unter inhumanen Bedingungen die meisten Flüchtlinge und Immigranten festsitzen. Zahlreiche Bürger haben mit diesem Zustand Probleme. Die einen stört die Präsenz der Flüchtlinge, die anderen missbilligen die Lager wegen der dort herrschenden Zustände.

Beide Gruppen liefern sich zahlreiche Auseinandersetzungen. In diesem Zusammenhang kam es bereits mehrfach zu Angriffen auf Journalisten, die von Demonstrationen der einen oder anderen Seite berichteten. Die Journalisten erhielten nach der Veröffentlichung von Berichten zahlreiche Drohbriefe aus dem nationalistischen und dem rechtsextremen Lager. Tätliche Übergriffe sind keine Seltenheit.

Örtliche, der Nea Dimokratia nahe stehende Lokalpolitiker verbrüdern sich in der Hetze gegen Flüchtlinge mit Anhängern der Goldenen Morgenröte. Im Mai 2019 stehen Kommunal- und Regionalwahlen an. Ausländerfeindliche Äußerungen gibt es auch von den lokalen Parlamentariern der zur Europäischen Volkspartei gehörenden Nea Dimokratia. Die Grenzen zwischen den konservativen und rechtsradikalen Bürgern auf der Insel sind hinsichtlich der Rhetorik gegenüber Flüchtlingen fließend.

Das sich immer weiter aufheizende politische Klima auf der Insel erreichte vor wenigen Wochen einen traurigen Höhepunkt als eine Gruppe von Rechtsradikalen vor einer Kirche ein neunjähriges Mädchen angriff und schlug. Das "Vergehen" des Kindes war, dass sie ein Kopftuch anhatte und von den Rechtsradikalen für eine Muslima gehalten wurde. Tatsächlich handelt es sich bei dem Mädchen um eine Griechin, was dem rassistisch motivierten, verabscheuungswürdigen Angriff eine neue Dimension gibt.

Der Vorfall landete in den Berichten lokaler und landesweit publizierender Journalisten aus Presse und Fernsehen. Die Kollegen fanden für die Täter keinerlei gute Worte, was wiederum von deren Gesinnungsgenossen nicht goutiert wurde.

In der Folgezeit wurden alle Journalisten, die über den Vorfall berichtet hatten, in Leib und Leben und hinsichtlich des Wohls ihrer Familienangehörigen bedroht. Es blieb nicht nur bei verbalen Attacken. Nach zahlreichen körperlichen Übergriffen entschlossen sich die Journalisten samt der Mitarbeiter in Pressebetrieben zum Streik am 13. September. Sie fordern die Politik auf, dem gefährlichen Treiben rechtsradikaler Gruppen endlich Einhalt zu gebieten.

Die Polizei von Journalisten als rassistisch entlarvt

Die Politik hat jedoch noch ein weiteres Problem, ihre eigenen Ordnungshüter. Als wäre die Situation in Thessaloniki nicht ohnehin bereits explosiv genug gewesen, sahen sich einige Athener Polizisten bemüßigt, ihren Rassismus gegenüber den Bewohnern Thessalonikis Ausdruck zu verleihen. Während die Bereitschaftspolizei einer Gruppe von friedlich auftretenden Nationalisten gegenüber stand, entschlossen sich die Polizisten selbst Ausschreitungen zu provozieren.

Sie riefen den Nordgriechen "Bulgaren, Bulgaren, Bulgaren!" zu. Diese verächtlich benutzte Bezeichnung von Nordgriechen als Bulgaren treibt vor allem nationalbewussten Bürgern die Zornesröte ins Gesicht. Ein Journalist zeichnete den Vorfall mit seiner Kamera auf.

Provokationen gegen Demonstranten sind bei einigen Polizisten ein beliebtes Mittel, um ihrem Einsatz etwas mehr Abenteuer zu verschaffen. Ihr oft brutales Vorgehen gegen Pressevertreter und ihre Teilnahmslosigkeit gegenüber Vorfällen, bei denen Journalisten vor ihren Augen angegriffen werden, lässt sich damit erklären, dass Veröffentlichungen über derartige Provokationen für die ertappten Beamten durchaus Konsequenzen haben können.

Die betreffenden Polizisten wurden nach ihrer Rückkehr nach Athen festgenommen, und müssen sich nun vor Gericht verantworten.

Die Kommentare der Leser

Interessant sind in diesem Zusammenhang auch die Leserkommentare in griechischen Onlineportalen. Für die mit einer Schusswaffe bedrohten Fotoreporter hatten Leser in der rechtspopulistischen Online-Publikation Proto Thema kein Mitgefühl.

Schließlich sei einer von ihnen Angestellter der staatlichen Nachrichtenagentur Athens News Agency / Macedonian News Agency meinte einer der Kommentatoren. Damit sei er als Angestellter der Regierung ein zu Recht bedrohtes Sprachrohr des verhassten Premierministers. Bei Berichten über die Vorfälle auf Lesbos lassen sich zahlreiche den Gewalttaten zustimmende Kommentare finden.

Es ist offensichtlich, dass die Angriffe auf Journalisten im Land nicht ein auf diese Berufsgruppe beschränktes Phänomen ist. Der Gesellschaft im Land droht die Spaltung. Die Rolle der Politik, die nun der Geister die sie selbst rief, nicht Herr werden kann, ist der Kern des Problems.