Gift in Erdbeeren und Nudeln – Klage gegen Pestizide

Seite 2: Abdrift vergiftet Bienen, Regenwürmer und Vögel

Im Auftrag der Initiative "Enkeltaugliches Österreich" stellten Wissenschaftler in verschiedenen Regionen im Osten Österreichs für mehrere Monate Luftfilter auf, um diese auf Pestizide zu untersuchen. Die Ergebnisse veröffentlichten sie im September 2022 in einer Studie.

Insgesamt wurden 67 gefundene Pestizide im Hinblick auf ihre Nebenwirkungen auf Mensch und Umwelt analysiert. Anzahl und Konzentrationen der Stoffe seien abhängig von der landwirtschaftlichen Bewirtschaftung in der Umgebung, erklärte Studienautor Johann Zaller. Aber auch höhere Temperaturen förderten deren Verbreitung, so der Wissenschaftler an der Universität für Bodenkultur Wien. Viele der gefundenen Stoffe stufen die Wissenschaftler als giftig für Bienen, Regenwürmer und Vögel ein.

Sogar in Nationalparks fanden sie bis zu 33 giftige Wirkstoffe. Dies sei besonders brisant, weil in diesen Gebieten eigentlich gefährdete Pflanzen und Tiere geschützt werden sollen. Etwa die Hälfte der gefundenen Pestizide stuften die Wissenschaftler als schädlich für die menschliche Gesundheit ein: Sie reizen Schleimhaut und Haut, stören das Hormonsystem und schädigen die Fortpflanzungsfähigkeit. Ein Viertel der gefundenen Substanzen habe krebserregendes Potenzial.

Zwar seien die Konzentrationen der Pestizide in der Luft oft gering, doch selbst kleinste Mengen bergen ein Gesundheitsrisiko und können über lange Zeit Wohlbefinden und Gesundheit beeinträchtigen, weiß Hans-Peter Hutter, Umweltmediziner an der Medizinischen Universität Wien.

Die Wissenschaftler waren überrascht, über welche Strecken und wie breitflächig sich die Ackergifte von ihrem Ausbringungsort aus verbreitet hatten. Generell fände die Verbreitung von Pestiziden in der Luft und deren gesundheitliche Schäden bei der Zulassung von Pestiziden zu wenig Beachtung, erklären sie. Dieses Problem ließe sich nur mit einer Umstellung auf ökologischen Landbau lösen.

Im Vergleich zu synthetischen sind natürliche Pestizide harmlos

55 Prozent der rund 260 meist synthetischen Pestizidwirkstoffe können für Gesundheit oder Umwelt gefährlich sein; bei den 134 natürlichen Wirkstoffen sind es nur drei Prozent. Zu diesem Ergebnis kommt eine im Dezember veröffentlichte Studie der Initiative Global 2000, die im Auftrag des Europäischen Dachverbandes der Biolandwirtschaft synthetische mit natürlichen Pestiziden, die im Ökolandbau eingesetzt werden, miteinander verglich.

Demnach tragen 16 Prozent der konventionellen Pflanzenschutzmittel Warnhinweise über mögliche Schäden für das ungeborene Kind, den Verdacht auf Karzinogenität oder akute tödliche Wirkungen. Die im Ökolandbau zugelassenen Mittel tragen keinerlei derartige Kennzeichnung. Die europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) hielt für 93 Prozent der konventionellen Wirkstoffe die Festlegung ernährungs- und arbeitsmedizinischer Richtwerte für angebracht, jedoch nur bei sieben Prozent der natürlichen Wirkstoffe.

Erstautor Helmut Burtscher-Schaden überraschen diese Unterschiede nicht. Rund 90 Prozent der konventionellen Pestizide seien chemisch-synthetischen Ursprungs, erklärt der Biochemiker. Bei einem Großteil der natürlichen Wirkstoffe – konkret bei 56 Prozent der zugelassenen Biopestizide – handelt es sich eher um lebende, ungefährliche Mikroorganismen. Weitere 19 Prozent der Biopestizide seien von vornherein als "Wirkstoffe mit geringem Risiko" (etwa Backpulver) eingestuft oder als Grundstoffe (Sonnenblumenöl, Essig, Milch) zugelassen.

Weil Biobetriebe sich eher auf vorbeugende Maßnahmen konzentrieren, werden auf rund 90 Prozent ihrer landwirtschaftlichen Flächen weder künstliche noch natürliche Stoffe eingesetzt. Jennifer Lewis, Direktorin des Dachverbands der Hersteller biologischer Pflanzenschutzmittel (IBMA), verwies auf die "enormen Potenziale", die natürliche Pflanzenschutzmittel und -methoden sowohl für die konventionelle Landwirtschaft als auch für die Biolandwirtschaft haben.

Die Zulassungsverfahren für die biologische Schädlingsbekämpfung sollten daher beschleunigt werden. Derzeit werden natürliche Wirkstoffe in ihrem Risiko völlig überbewertet, die Risiken chemisch-synthetischer Pestizide jedoch deutlich unterschätzt, kritisiert Bio Austria, Netzwerk der Biobauern in Österreich, mit Verweis auf den aktuellen EU-Verordnungsentwurf zur nachhaltigen Verwendung von Pflanzenschutzmitteln.

Für eine pestizidfreie Landwirtschaft bis 2035

Im Juni 2022 brachte die EU-Kommission ein ambitioniertes Naturschutzpaket auf den Weg, mit dem Ziel, den Einsatz von Pestiziden bis 2030 zu halbieren. Dafür soll der Ökolandbau EU-weit um ein Viertel ausgeweitet werden. Auch Umweltverbände, Verbraucherorganisationen, aber auch die europäische Bürgerinitiative "Save Bees and Farmers" fordern, die Ackergifte bis 2030 deutlich zu reduzieren. Damit das gelingen kann, braucht es eine wirksame Ausstiegsstrategie aus der Pestizid-Landwirtschaft.

Wie die aussehen könnte, zeigt foodwatch in seinem Report "Locked-in Pestizide": Neben einer EU-weiten Pestizidsteuer fordert die Initiative die Reformierung der Zulassungspraxis für Pestizide und eine Umverteilung der EU-Agrarsubventionen. Die Anwendungen von Pestiziden müssten auf ihre absolute Notwendigkeit hin überprüft werden, fordern die Autoren. Um wirtschaftliche Einbußen zu vermeiden, könnte man die Auszahlung von EU-Agrarsubventionen an den Verzicht auf Pestizide knüpfen.

Inzwischen kommt massiver Gegenwind von Agrarindustrie und den EU-Agrarministern. Sie suggerieren, die Reduktion von Pestiziden würde die Ernährungssicherheit gefährden, da die Ernteerträge geringer seien. So warnen Pestizidhersteller wie Bayer, Syngenta und Corteva vor ökologischen Zielkonflikten, die mit einer Zunahme der Biolandwirtschaft einhergingen, während gleichzeitig das Gesamtvolumen der Pestizideinsätze in Europa steige.

Das Gegenteil ist richtig: Nur gesunde Ökosysteme garantieren eine resiliente und nachhaltige Landwirtschaft. Doch leider fällt die Argumentation der Agrarlobby auf fruchtbaren Boden. Denn die EU-Agrarminister schieben die Umsetzung des Naturschutz-Vorhabens auf die lange Bank mit der Begründung, die EU-Kommission habe nicht genug Daten bereitgestellt. Ein klassisches Ablenkungsmanöver, um auf Zeit zu spielen, kritisiert der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND).