Gigantisches Tor zum Radiokosmos

Seite 3: Angemessene Lobgesänge

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In einem Radiowellen-Empfangsbereich, der von 3,5 Millimeter bis 90 Zentimeter reicht, sorgte der 3200 Tonnen schwere Koloss seit 1972 für wissenschaftliche Durchbrüche und persönliche Höhepunkte.

Einen davon aus dem Stegreif besonders hervorzukehren, fällt selbst dem Radioastronomen Michael Kramer schwer: "Das ist natürlich schwierig zu beantworten, da jeder Wissenschaftler eine etwas andere ‚Rangliste‘ haben wird. Vielleicht das bekannteste Ergebnis - weil man es fast in jedem Buch über Radioastronomie findet - ist die Aufnahme des Radiohimmels in der berühmten 408-Megahertz-Durchmusterung durch ein Team um Glyn Haslam."

Aufnahme des weißen Riesenohrs vom letzten Jahr. Bild: MPIfR

Norbert Junkes, selbst Radioastronom und am MPIfR für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig, favorisiert eine andere Beobachtung: "Ich war stark beeindruckt, als das Effelsberger Teleskop 2008 Wassermoleküle in dem entfernten Quasar MG J0414+0534 detektierte, der elf Milliarden Lichtjahre von uns entfernt liegt."

Alle bisherigen Observationen im Ahrtal mehrten das astronomische Wissen, keine war erfolglos. Mal detektierten Forscherteams mit dem Eifel-Ohr riesige extragalaktische Magnetfeldstrukturen oder maßen die Polarisation von Galaxien. Ein anderes Mal spürten sie in den kältesten Regionen des interstellaren Mediums mithilfe spektrografischer Analysen große organische Moleküle wie Ammoniak (1978) oder komplexe Verbindungen wie Cyanoallene (2006) auf.

Andromeda-Galaxie (NGC 224). Bild: NASA/Hubble

Ein weiteres Mal nutzten die Radioastronomen die Antenne wie ein Visier und nahmen Nachbargalaxien gezielt ins Fadenkreuz. Gleich mehrfach sezierten sie dabei den 2,5 Millionen Lichtjahre entfernten Andromeda-Nebel (M 31) im Radiolicht - das erste Mal bereits 1972.

Für den bekannten deutschen Astrophysiker Harald Lesch, der eine Zeit lang am MPIfR forschte, ist die Erfolgsstory der deutschen Antennenschüssel unvergleichlich: "Es ist eines der großartigsten Teleskope weltweit. Auch nach 40 Jahren ist die Effelsberger Antenne ganz dicht dran an den Grundfragen der Physik. Mit ihm blicken Astronomen tiefer ins Universum als mit fast jedem anderen Teleskop auf der Welt."

Herausragend an der 100-Meter-Schüssel sei vor allem, dass Kramers Gruppe mit ihr bereits eine der fundamentalsten Theorien der Physik prüfen konnte: die Allgemeine Relativitätstheorie. "Und dafür mussten sie noch nicht einmal unter die Erde gehen wie etwa beim CERN", schwärmt Lesch.

SETI und VLBI

Tatsächlich konnte das am MPIfR 2009 neu gegründete Team Radioastronomische Fundamentalphysik um Prof. Kramer unlängst mit dem Effelsberger Instrument erstmals den relativistischen Effekt der geodätischen Präzession bestätigen - sowohl außerhalb des Sonnensystems als auch in starken Gravitationsfeldern. Zuvor war dies keinem Radioastronomen gelungen. "Für mich persönlich war es ein tolles Ergebnis", gesteht Kramer voller Stolz.

Einzigartig und einmalig war auch ein Suchlauf, der Ende der 1970er Jahre fast unbemerkt über die Bühne ging. Damals visierte kein Geringerer als Richard Wielebinski drei Sterne als Eichquellen an, suchte dort zeitgleich aber nach Anzeichen außerirdischer Intelligenz. Zwei Stunden lang lauschte er auf einer Frequenz von 1420 Megahertz nach künstlichen Radiosignalen. Auch wenn Wielebinski seine erfolglose SETI-Observation eher spaßeshalber durchführte, katalogisierte das SETI-Institut in Kalifornien (SETI=Suche nach außerirdischer Intelligenz) seinen kleinen Lauschangriff offiziell als SETI-Operation - sehr zum Unwillen einiger MPIfR-Mitarbeiter.

Dass das weiße Riesenohr beim Belauschen der kosmischen Sphärenmusik auch mit anderen Teleskopen harmoniert, zeigt das Very Long Baseline Interferometry-Netzwerk (VLBI) am nachhaltigsten. Bereits 1973 nahm die 100-Meter-Antenne erstmals am VLBI-Experiment teil und vernetzte sich mit mehreren Radioteleskopen, die über den Globus verteilt waren.

Bild: NASA

Basierend auf dem Prinzip der Interferometrie wurden diese zusammengeschaltet und die eingehenden Daten computergestützt überlagert und gespeichert. Heute ist dieses Procedere Standard. Dank der kombinierten Antennen lässt sich ein virtueller Schüssel-Durchmesser von mehreren tausend Kilometern erreichen, wodurch sich die Auflösung des Teleskops enorm erhöht und sogar Radiowellen aus der Frühzeit des Kosmos leichter zu lokalisieren sind.

Pulsarkarte als nächstes großes Ziel

Den Gedanken, Effelsberg könnte angesichts der neuen Armada hocheffektiver Radioteleskope in absehbarer Zeit die Segel streichen, hält Michael Kramer für abwegig. "Großteleskope wie Effelsberg werden immer ihre Nischen haben und die Nordhalbkugel weiterhin auf einzigartige Weise scannen."

Nicht zuletzt sei das Instrument auch für die Ausbildung des Nachwuchses unverzichtbar. Und dank der gewaltigen Fortschritte in der Digitalelektronik arbeite die 100-Meter-Antenne immer effektiver, zumal man ständig darum bemüht sei, den Frequenzbereich und beobachteten Himmelsabschnitt zu vergrößern. "Wir arbeiten daher an sehr breitbandigen Empfängern und Systemen, die das Gesichtsfeld um einen Faktor zehn oder mehr vergrößern." Dadurch könne man den Himmel einerseits schneller scannen, andererseits auch den anvisierten Himmelsausschnitt länger belichten.

Kein Wunder also, dass Kramer bei seinem neuesten Vorhaben ebenfalls auf das Effelsberger Teleskop setzt. "Zum ersten Mal in der Geschichte der Radioastronomie wollen wir den kompletten Nordhimmel mit gleicher Empfindlichkeit nach Pulsaren durchmustern und katalogisieren." Dies sei eine äußerst spannende Aufgabe, die bislang noch keiner bewältigen konnte, betont Kramer. "Ich bin jedoch optimistisch, dass wir es mit unserer Schüssel schaffen."

Ein Film über den Effelsberger Riesen.

Webcam des MPIfR.