Gläserner Arbeitsloser

Während die Kritik an Hartz IV wieder zunimmt, planen Koalitionspolitiker schon weitere Verschärfungen

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Kritik an dem noch immer kurz Hartz IV genannten Gesetzespaket zur Arbeitsmarktreform wurde in den letzten Zeit schon häufig geäußert. Vor allem Betroffene, aber auch Gewerkschafter und linke Gruppen haben dagegen protestiert. Doch jetzt haben sich Datenschützer in die Debatte eingeschaltet.

In einer gemeinsamen Erklärung warnen Datenschützer von 15 Bundesländern davor, dass der Arbeitssuchende vom Gesetzgeber unter Generalverdacht gestellt wird. Die Gefahr sehen sie in einer Gesetzesmaßnahme, die von der Bundesregierung eingebracht wurde, im Eiltempo verabschiedet und noch im August 2006 in Kraft treten soll (Hartz V in Vorbereitung?). Das Hauptziel des Gesetzes ist, die Kostenlawine der Hartz-Gesetze zu begrenzen. Während Betroffenenvertretungen die gestiegenen Kosten damit erklären, dass der Gesetzgeber bei der Verabschiedung von einem viel zu geringen Anteil von Betroffenen ausgegangen ist, sieht die Regierung vor allem den Missbrauch des Gesetzes als Ursache für die Mehrausgaben.

Mit zusätzlichen Gesetzen und Kontrollmaßnahmen soll dagegen vorgegangen werden. Die Kritik der Datenschützer setzt an mehreren Punkten an. So sollen künftig Angehörige einer Wohngemeinschaft nachweisen, dass es sich dabei nicht um eine eheähnliche Gemeinschaft handelt. Damit wird eine Umkehrung der Beweislast vorgenommen. Bisher mussten konkrete Anhaltspunkte vorliegen, dass es sich nicht um eine Zweck-Wohngemeinschaft handelt, damit die Behörden aktiv werden konnten. Nicht nur die Datenschützer fragen sich, wie im Einzelfall festgestellt werden kann, wann eine Wohnbeziehung eine eheähnliche Gemeinschaft ist. Da ist der Kontrollphantasien, unter Umständen von aufmerksamen Nachbarn, Tür und Tor geöffnet.

Auch der automatische Datenabgleich hinter dem Rücken der Betroffenen wird von den Datenschützern als Verletzung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung kritisiert. Künftig sollen auch andere Behörden über Arbeitssuchende Auskunft geben. So kann es passieren, dass jeder Arbeitssuchende erst einmal beim Kraftfahrtbundesamt nach dem Besitz eines PKW abgefragt wird.

Außerdem wird von den Datenschützern moniert, dass Telefonabfragen von Arbeitssuchenden zur angeblichen Überprüfung von Leistungsmissbrauch an private Call-Center vergeben werden. An diesem Punkt wird der Hinweis vermisst, dass kein Antragssteller verpflichtet ist, diese Fragen zu beantworten, die Teilnahme also absolut freiwillig ist. Weitere Unklarheiten im Gesetzestext gibt es nach Ansicht der Datenschützer bei der Regelung der amtlichen Prüfer, die Antragssteller in ihren Wohnungen aufsuchen, um etwaige falsche Angaben zu enttarnen. Auch hier wird der klare Hinweis vermisst, dass diese Außendienstmitarbeiter kein Recht haben, die Wohnung von Antragstellern ohne deren Zustimmung zu betreten. Eine Verweigerung darf für den Betroffenen keine negativen Folgen für seinen Antrag haben. Insgesamt kommen die Datenschützer zu einen vernichtenden Urteil der Gesetzesinitiative:

Es ist mit dem Menschenbild des Grundgesetzes nicht zu vereinbaren, auf diese Weise, alle Arbeitssuchenden, die Grundsicherung beantragen, unter Generalverdacht zu stellen.

Hartz IV wieder stärker in der Kritik

Der Brief zeigt, dass die Kritik an den immer massiveren Restriktionen für Arbeitssuchende auch außerhalb der unmittelbar Betroffenen wieder thematisiert wird. Auch im gewerkschaftlichen Spektrum ist die Debatte neu entbrannt. So haben sich nicht nur einzelne Untergliederungen des DGB Stellung gegen Hartz IV bezogen. Auch die neu in den DGB-Bundesvorstand gewählte Sozialpolitikerin Annelie Buntenbach hat sich für die komplette Abschaffung von Hartz IV ausgesprochen.

Wie weit sich die neue Debatte auch auf die Protestbereitschaft auswirkt, dürfte sich am kommenden Samstag zeigen. Erwerbslosengruppen rufen zu einer bundesweiten Demonstration in Berlin auf. Der Widerstand gegen Hartz IV in alter wie verschärfter Version soll im Mittelpunkt der Proteste stehen.

Reduzierung bis auf Null

Die Bundesregierung zeigt sich bislang allerdings von dieser Kritik noch relativ unbeeindruckt. Beim gegenwärtigen Streit zwischen der SPD und den Unionsparteien um die Zukunft der Arbeitsmarktreform spielen die Sorgen der Betroffenen und die Proteste von Datenschützern und DGB keine Rolle.

Während die SPD die Reform auf der Grundlage von Hartz IV weiter entwickeln will, favorisieren führende Unionspolitiker einen ganz neuen Ansatz. Bei beiden Konzepten aber sollen die Bestimmungen für die Erwerbslosen verschärft werden. Dabei hat sich besonders CSU-Generalsekretär Markus Söder als Scharfmacher profiliert und Erinnerungen an die Endphase der Weimarer Republik heraufbeschworen, wo mittellose Arbeitslose mit Suppenküchen vor dem Verhungern bewahrt wurden. "Wer zumutbare Arbeit ablehnt, dem muss bis auf Null gekürzt werden können“, erklärte er. Zumutbar sei jede legale Arbeit.